In seiner ersten Einzelausstellung in Europa verwandelt Troy Montes Michie (geb. 1985) die Räume der Kunsthalle Basel mithilfe von Archiven, Erinnerungen und Kulturgeschichte in ein Geflecht aus Fragmenten. Seine Praxis bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Sichtbarkeit und Unterdrückung und bringt zusammen, was dominante Erzählungen zum Schweigen bringen: persönliche Geschichten und stille Trauer, ebenso wie kulturelle Überlieferungen und Erfahrungen von race, Sexualität und Klasse, die – trotz aller Versuche, sie auszulöschen – fortbestehen.

Im Zentrum seiner Arbeit steht das öffentliche wie private Archiv. Er sammelt Familienfotografien, intime Bildbestände und Fundstücke und setzt sie wieder zusammen – ganz in der Tradition des Scrapbooking, einer Technik, bei der durch Fotos und Texte erzählerische Collagen in einem Buch zusammengebracht werden. Doch anstatt geschlossene Sinnzusammenhänge zu erzeugen, lässt er Brüche und Leerstellen bestehen. Diese Unterbrechungen sind keine Lücken, die gefüllt werden sollen, sondern Orte der Spannung, an denen Bedeutung instabil und umkämpft bleibt.

In seinen Händen gerät ein solches Buch zu weit mehr als einem Andenken. Es wird zu einem fragilen Träger der Erinnerung, in dem Abwesenheit und Anwesenheit ebenso wie Stille und Stimme nebeneinander bestehen. Diese Prozesse verdichten sich in ziehharmonikaartig gefalteten Objekten, neu montierten Stoffcollagen und Assemblagen, die sich jeder abschliessenden Ordnung entziehen. Sein Umgang mit haushaltsüblichen und gefundenen Materialien, mit Sorgfalt wiederangeeignet, verweist auf persönliche Überlieferungen und die in alltäglichen Handlungen von Arbeit, Begehren und Überleben eingeschriebenen politischen Dimensionen.

Der Titel der Ausstellung, The jawbone sings blue, ist angelehnt an eine Quijada (span. für Kieferknochen), ein Perkussionsinstrument, das aus einem Tierunterkiefer hergestellt wird. Das aus afrikanischen Musiktraditionen stammende Instrument gelangte im Zuge des transatlantischen Sklavenhandels nach Amerika und wurde in afro-lateinamerikanischen und afroamerikanischen Kulturen zu einem Symbol für die Verbindung von Leben und Tod. Hier wird der Kieferknochen zur Metapher, zu einem Objekt, das mit Geschichten vibriert, die nicht zur Ruhe kommen.

Michies gestaltet Räume, die keine Nostalgie wecken, auch wenn sie an häusliche Interieurs erinnern. Sie entfalten sich als Zwischenräume, wo sich Intimität an Distanz reibt und Vertrauen an Entfremdung lehnt. Durch das Schneiden und Schichten von Archivmaterialien zeigt der Künstler, wie Geschichte konstruiert wird und wie sie neu geordnet werden kann. Seine Praxis ist eine Form des Erzählens, die das Vergessene belebt und dem Niegehörten Resonanz verleiht.

Troy Montes Michie lädt uns in einen Raum ein, der Erinnerung, Begehren und Sichtbarkeit freilegt und ineinanderfliessen lässt. In dieser Ausstellung ist das Archiv kein regloses Gebilde; es wird verwoben, beschnitten, verschleiert und neu belebt. Was im Schatten einer Darstellung lebt, ist ebenso machtvoll wie das, was ans Licht tritt.

Die Werkgruppe entspringt Michies Auseinandersetzung mit den fragmentierten Archiven von Richmond Barthé (1901–1989), einem Bildhauer der Harlem Renaissance – jener Blüte der Schwarzen Literatur, Musik, Theater- und Bildkünste sowie des Denkens im frühen 20. Jahrhundert, die eine eigenständige Schwarze Modernität und Selbstrepräsentation gegenüber rassistischer Ausgrenzung behauptete. In Barthés unvollständigem Scrapbook, dessen Fotografien verloren oder Seiten leer geblieben sind, fand Michie eine Ausdrucksweise, die seiner eigenen Praxis gleicht. Das Album ist dabei weniger Vorlage als Spannungsfeld: von Brüchen durchzogen, aber schöpferisch; schwer greifbar und doch sehr präsent. Statt diese Risse zu schliessen, nutzt Michie sie als Quelle. Er fragt nicht «Was fehlt?», sondern «Was bedeutet dieses Fehlen?».

Komponierte sichtbarkeit

Michies Interventionen handeln davon, wie durch Schichtung, Naht und Schnitt neue Bedeutungen hervortreten, und fragen danach, wie Sichtbarkeit überhaupt entsteht. Er arbeitet mit bronzen wirkenden Texturen: einer Patina aus Papier und Faden, die an Barthés Skulpturen erinnert und doch dezidiert bildhaft bleibt. Dieses «Bronze» ist kein Metall, sondern Temperatur und Ton, eine Haut, die schützt und enthüllt.

Die Collagen aus Familienfotografien, erotischen Bildwelten, Zeichnungen und Archivmaterial verbinden Untersuchungen von Intimität und Begehren mit den Herausforderungen von Queerness, race und Repräsentation. Die Arbeit am Material bedeutet, dass das Archiv nicht statisch ist. Es lebt, es ist verletzlich und kann stets aufs Neue aktiviert werden. Materialien sind keine neutralen Oberflächen, sondern Medien der Erinnerung, der Herkunft und des Bruchs. Mit jedem Stich, jedem Schnitt, jedem umgewidmeten Fragment nimmt sich der Künstler dessen an, was ausgelöscht oder vernachlässigt wurde.

Einige Figuren sind Seiten entnommen, die einst queeres Begehren nach Schwarzen männlichen Körpern inszenierten und ansprachen. Diese Verkleidung unterdrückt die erotische Kraft nicht: Sie lenkt sie um. Die Dargestellten begegnen unserem Blick mit prüfender Intensität. Konfrontativ und doch zurückhaltend lösen sie im aktuellen Kontext die Bedingungen auf, unter denen ihre Bilder ursprünglich konsumiert wurden. Indem er auswählt, was weitergetragen wird, vollführt Michie eine malerische Entscheidung: Sichtbarkeit wird komponiert, nicht einfach enthüllt.

Fragmente als methode

Im Zentrum des ersten Ausstellungsraums entfaltet sich eine akkordeonartige Struktur. Seite für Seite, Fotografie für Fotografie deutet die Abfolge eine Erzählung an, und doch entzieht sie sich jeder Chronologie. Zeit ist hier rhythmisch, zufallsbedingt, ohne Ankerpunkt. Rund um diese Geste verdichten sich einzelne Objekte in der Ausstellung zu spürbaren Echos. Ein Hemd, bereit, getragen zu werden, ein Stuhl, an den sich Fotografien statt eines Körpers lehnen, skelettartige Gestelle, die Kleiderständern ähneln – sie alle schwanken zwischen Spur und Erscheinung.

Die Szenografie der Ausstellung macht eigene Sichtweisen physisch erfahrbar. Erzählungen entstehen auf vielerlei Arten und werden durch unterschiedliche Perspektiven und Lücken uneindeutig, was sich wiederum in den Ausstellungsräumen niederschlägt. Statt klarer Antworten bieten sie Unterbrechungen; statt Vertrautem zeigen sie Abweichungen. Durch Fenster und über Schwellen hinweg können Besucher:innen Blicke auf die Arbeiten werfen. Beim Herantreten und Zurückweichen, Innehalten und Wiederkehren wird der Blick choreografisch. Ihre Bewegungen spiegeln die Schnitt- und Montagetechniken der Collagen: Jedes Werk steht für sich und bleibt doch Teil eines gemeinsamen Rhythmus.

In der Ausstellung können Betrachter:innen sich nicht nur anderer Leben bewusst werden, sondern werden auch mit ihrem eigenen Blick konfrontiert. Lücken zwischen den Bildern, ausgeschnittene Formen, gefaltete Seiten bergen eine Spannung. Dieses Schweigen wiegt schwer: Geschichten, die nicht erzählt; Körper, die nicht gezeigt; Gesten, die zurückgehalten werden. Sie verweisen auf kollektive Trauer, die aber nicht in Verzweiflung endet, sondern zu anhaltender Aufmerksamkeit führt. In einer Gegenwart, die Schwarze Männlichkeit allzu oft als Bedrohung vorzeichnet, verweigern die Arbeiten Lesbarkeit zu auferlegten Bedingungen. Sie vervielfachen Schwarze und Braune Subjekte chromatisch und kompositorisch und lenken Begehren um, statt es auszustellen.

In The jawbone sings blue wird Trauer zur Methode. Die Ausstellung bringt einen kulturellen Zustand zum Ausdruck: das allumfassende Leid von Geschichte, die durch systematische Exklusion und Marginalisierung unbewältigt bleibt. Sie führt nicht zur Auflösung, sondern steckt ein Beziehungsfeld ab zwischen An- und Abwesenheit, Stimme und Schweigen, Bruchstück und Vollständigkeit. Abwesenheit hallt wider, sie verlangt, gehört zu werden.