Als ich im Flugzeug auf dem 22-stündigen Flug von New York nach Hanoi sass, begann mein Körper zu verkrampfen. Plötzlich hallten Lênas Worte – skin in my stomach – in meinem Kopf wider, während sich die Bilder ihrer Arbeiten lebhaft vor mir entfalteten. In diesem Moment, weit entfernt von meiner gewohnten physischen Umgebung – entfremdet von allem, was der menschliche Körper zu registrieren und zu kennen gelernt hat – fühlte sich meine Verbindung zu ihnen umso unmittelbarer an. Die unter Druck stehende Luft, das gedämpfte Hören und die räumliche Weite verstärkten dieses Bewusstsein und offenbarten ein Gefühl der Verletzlichkeit und stillen Reflexion darüber, wie unsere physische Präsenz uns mit der Welt verbindet.

skin in my stomach ist die erste Einzelausstellung von Lêna Bùi in der Galerie Urs Meile. Sie präsentiert eine kleine sorgfältig zusammengestellte Auswahl an Werken, die die Erforschung von Materialität, natürlichen Formen und der Vorstellung des Körpers als wandelbares Spiegelbild der Welt nachzeichnen – in verschiedenen Medien wie Seidenmalerei, Fotografie, handgewebtem Teppich und Bewegtbild.

Ausgehend von den inneren Prozessen des Körpers und vom Konzept des Ökologen David Abram, der den Körper als „Ort der Veränderung“ beschreibt, versteht Lêna den Körper als „direkten und einzigen Weg, die Welt zu erfahren, sowie als Ort, an dem Verbindungen entstehen oder sich lösen“. In vielen medizinischen Traditionen wird der Bauch oder Magen zu einem kraftvollen Symbol – dem Sitz von Fürsorge, Intuition und Kommunikation, einer Schnittstelle zwischen uns und der äusseren Welt. Die Künstlerin betrachtet den menschlichen Körper als ein Zeitgefäss, das uns fortwährend mit unseren Vorfahren und dem Umfeld verbindet, das uns im Laufe der Geschichte geprägt hat. Der Magen ist das verletzlichste und zugleich widerstandsfähigste Organ – er registriert jede kleinste Veränderung und reguliert den Austausch des Körpers mit der Aussenwelt auf effiziente und zugleich elegante Weise.

Diese komplexe Idee entfaltet sich vom Erdgeschoss bis zum Untergeschoss der Galerie in unterschiedlichen, aber miteinander verbundenen Abschnitten. Beim Betreten der Galerie begegnen die Besucher einer Serie von Seidenarbeiten in verschiedenen Formaten und Präsentationsformen – teils an der Wand gehängt, teils frei im Raum stehend. Die fluktuierende Transparenz der Werke entsteht durch den variierenden Einsatz der Materialien – von Seide auf Seide über Seide auf Fotodruck bis hin zu Seide auf Papier. Fragil, absorbierend und schwer zu kontrollieren – Seide „atmet“ durch die Fäden, reagiert auf die unmittelbare Umgebung und verlangt folglich Geduld, Geschick und Anpassungsfähigkeit.

Lênas scharfes Auge hält häufig Fragmente der Natur fest – Nahaufnahmen von Pflanzen und filigrane Lebensformen – die sie faszinieren und ihr als stille Inspirationsquelle dienen. Diese organischen Details, fotografisch dokumentiert, finden mühelos ihren Weg in ihre Arbeiten, verwoben mit präzisen Pinselstrichen. Dabei verwendet sie die Technik der Nassseidenmalerei, die im vietnamesischen Kunsthandwerk fest verwurzelt ist. Dabei werden Pigmente auf eine feuchte Oberfläche aufgetragen, sodass Wasserfarbe und Tusche fliessen, sich mischen und allmählich entfalten können. Diese Methode verleiht ihren Bildern eine leuchtende, ätherische Qualität, die die Transparenz von Luft, Feuchtigkeit und flüchtigen Momenten des Lebens widerspiegelt.

Die Arbeit mit Seide ist eine Erkundung verborgener Geheimnisse: Helle Farben können darunterliegende Schichten verdecken oder betonen, während dunklere Töne Durchblicke ermöglichen – optische Umkehrungen, die die Komplexität der Wahrnehmung widerspiegeln. In diesem Prozess gleicht ihr Vorgehen dem poetischen Spiel der fotografischen Belichtung – einem Akt des Enthüllens und Verbergens, der eine mehrschichtige Tiefenschärfe erzeugt und zur Reflexion über die Vergänglichkeit und Flüchtigkeit des Lebens einlädt.

Lênas Materialwahl – ob zufällig oder bewusst – steht stets in Resonanz mit ihrem thematischen Interesse. Ihre Kombination aus fotografischen Motiven und malerischer Darstellung auf Seide verstärkt diese Harmonie zusätzlich, da beide Medien eine eigene Zeitlichkeit in sich tragen. Gemeinsam formen die Malereien eine präzise Landschaft, in der innere Strukturen als intime, verletzliche und rhythmische Gebilde neu gedacht werden – oszillierend zwischen konkretem Bild und abstrakter malerischer Geste.

Im Untergeschoss tauchen die Besucher in einen Raum ein, in dem sich haptische Erinnerung und Ritual begegnen. Im Zentrum liegt cosmos no. 1, ein in Nepal handgewebter Teppich, der auf einer leicht erhöhten Plattform ruht und die Betrachter einlädt, ihn zu umrunden. Entstanden im Rahmen eines Projekts mit der Oxford University Clinical Research Unit Nepal in Kathmandu, vereint er Beobachtungen westlicher Wissenschaft, traditioneller Heilkunst und spiritueller Praktiken. Die feinen Linien der menschlichen Figur erinnern an das Ritual des Einhüllens von Verstorbenen. Der Teppich wurden in Zusammenarbeit mit lokalen Webern des Surya Rug House entworfen und mit handgefärbter Naturwolle gefertigt. Verbringt man Zeit mit dieser textilen Arbeit, verankert seine Textur den Betrachter in einem Gewebe aus Erinnerung, zirkulierender Energie und dem endlosen Kreislauf von Leben und Tod.

Rund um diese Arbeit summt eine Videoprojektion – Insekten bewegen sich hypnotisch einem hellen Licht entgegen. Atmosphärisch und vieldeutig vermitteln die Werke ein komplexes Verständnis von Vergänglichkeit und Erneuerung. Flüsternde Stimmen, diffuse Bilder und der sanfte Rhythmus des Denkens verweben sich zu einem sinnlichen Erlebnis – einer Einladung, den fragilen Übergang zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem zu reflektieren.

skin in my stomach lädt uns in eine körperlich erfahrbare Landschaft ein – haptisch, eindringlich und zutiefst poetisch. Die Künstlerin offenbart ihre Hinwendung zu einem inneren Sein und lässt die Grenzen zwischen körperlicher Erfahrung und äusserer Welt verschwimmen. Um es mit Lênas eigenen Worten zu beschreiben:

Erst jetzt habe ich das Gefühl, einer eigenen Sprache näherzukommen, um die Welt um mich herum und mein Dasein in ihr auszudrücken. Ausgehend von diesem Körper, der mir selbst ein Rätsel bleibt, spüre ich, dass ich eine Form von Freiheit erreicht habe – zu oszillieren zwischen staunender Wahrnehmung und einer unversöhnlichen Leere, zwischen Erhabenem und Konkretem. Ich kann hinaus zoomen, um die grossen Zusammenhänge zu erkennen, während ich zugleich mit dem Alltäglichen beschäftigt bin – und verwebe all dies in Geschichten und Farben. Ich fühle mich nicht länger an „Realismus“ gebunden, wie in meinen frühen Jahren, und erkenne, dass ein magischer Realismus die menschliche Existenz weit präziser einfängt als jede „objektive“ Beschreibung, denn wir leben ebenso sehr in unseren Gedanken wie in einem physischen Raum.