[...] Wenn ich male, denke nicht an Struktur oder Thema; wonach ich suche ist ein gewisser «Geschmack» - eine Rhythmisierung von Geist und Energie, so als ob die Seele einem Schatten des Geistes gleich, durch das Gemälde driftet. Alles ist flach und ruhig. “Form” ist nicht von Bedeutung. [...]1.
Die Galerie Urs Meile freut sich, die erste Soloausstellung des chinesischen Künstlers Qiu Shihua (g. 1940, in Zizhong, Provinz Sichuan, China) in ihrer Zürcher Galerie an der Rämistrasse anzukündigen.
Qiu Shihua’s scheinbar fast monochrome Landschaften eröffnen sich den Betrachter:innen nur in der Begegnung mit dem Original – in deren direkter Betrachtung – wobei sie sich zugleich der tatsächlichen Erfassung durch das Auge laufend zu entziehen scheinen. Sichtbarwerden und Entschwinden charakterisieren den Zugang zu den Werken, bei welchen der antrainierte Prozess des motiverkennenden Sehens redundant wird. Die Werke verweigern sich jedes auf seine Art der heute geläufigen visuellen Aufnahmegeschwindigkeit und fordern mit ihrem entschleunigenden Moment Konzentration, Kontemplation und Geduld.
Stück für Stück trägt Qiu Shihua kaum mit Öl verdünnte Pigmente auf die Leinwand auf und lässt so die Umrisse von inneren Landschaften entstehen, welche Ausdruck sowie Resultat seiner daoistischer Praxis sind. Die sich entfaltenden und verschwimmenden Motive entspringen einer Mischung aus Erinnerung und durch Meditation entleertem Geist. Sie sind Zeugnis für den Werdegang des Künstlers auf seinem Weg des Dao.
Qiu Shihua gilt als Phänomen in der zeitgenössischen Kunstszene: Ausbildung im Stil des Sozialistischen Realismus, Interesse an diversen französischen und deutschen Stilrichtungen, schliesslich ein prägender Aufenthalt in Paris in den 1980er Jahren. Aufgewachsen in bitterer Armut im Südwesten Chinas, scheint es zunächst kaum vorstellbar, dass er einmal zeitgenössischer Künstler werden würde. Doch trotz widriger äusserer Umstände wird das Malen für Qiu Shihua schon in jungen Jahren zu einem Rückzugsort – zunächst ganz ohne akademische Ausbildung.
Seine Gemälde sind im klassischen Sinne nicht zu verstehen. Sie sind Spiegel seiner Lebenserfahrungen, Ergebnis tiefer Meditation und zugleich ein Zufluchtsort vor den Herausforderungen, die sein Leben geprägt haben. In einer Welt, die zunehmend von marktorientierter Kunstproduktion und standardisierter Kunstausbildung bestimmt wird, steht Qiu Shihua’s Werk sinnbildlich für eine bewusste Abkehr von diesen Strömungen. Es erinnert an die bleibende Kraft der Kunst als Ort der Einkehr. Seine Malerei stellt unsere Wahrnehmung infrage und lädt dazu ein, über eine andere Dimension der Kunst nachzudenken – eine, die Zeit überwindet, sich gängigen Kategorien entzieht und schliesslich sowohl für den Künstler als auch für das Publikum zur Zuflucht wird.
Qiu Shihuas Bedeutung liegt in seiner unerschütterlichen Hingabe an die ursprüngliche Idee der Kunst als Refugium – selbst in einer heutigen Welt, die sich scheinbar immer weiter von diesen Ursprüngen entfernt.
Notizen
1 Qiu Shi-hua, Qiu Shi-hua on the art of painting, exhibition leaflet, Chang Tsong-Zung, 1st ed., Hanart TZ, 1995.