Die mit palästinensischem Hintergrund in London geborene und lebende Künstlerin Rosalind Nashashibi zeigt in ihrer ersten Einzelausstellung in der Galerie Urs Meile in der Rämistraße eine aktuelle Gruppe von Gemälden. In den neuen Galerieräumen in der Ankerstraße wird gleichzeitig ihr Film Bachelor machines part 1 (2007) in einer Gruppenausstellung präsentiert. Der Titel dieses 31-minütigen 16-mm-Films, der auf einem Frachtschiff auf dem Weg von Süditalien nach Schweden gedreht wurde, ist nicht nur einem der Teile von Die Braut von ihren Junggesellen entblößt, sogar (La Mariée mise à nu par ses célibataires, même), dem im Allgemeinen als Das große Glas (Le Grand Verre, 1915–23) bekannten Werk von Marcel Duchamp entlehnt, sondern auch Michel Carrouges’ Buch Les machines célibataires (1954) sowie der gleichnamigen Ausstellung, die 1975 von Harald Szeemann kuratiert wurde. Nashashibis Film ist ein Anti-Epos über die Reise einer Filmemacherin über das Meer, die die tägliche Arbeit einer ausschließlich männlichen Crew an Bord ihres Schiffes, der ultimativen Junggesellenmaschine, beobachtet. In seiner konkreten Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen weist die Arbeit auf einen anderen Film voraus, nämlich Why are you angry? (2017), der derzeit im Kunsthaus Zürich zu sehen ist und von Nashashibi/Skaer (dem Künstlerduo Nashashibi und Lucy Skaer) realisiert wurde. In diesem Film werden Paul Gauguins malerische Eroberungen auf Tahiti von zwei Künstlerinnen kritisch nacherzählt, die tahitianische Frauen von heute beim Autofahren und Einkaufen neben beiläufigen Nachstellungen der von Gauguins Modellen eingenommenen Posen zeigen.
Nashashibis Werk seit Ende der 1990er Jahre umfasst Filmprojekte, Fotografien, Drucke, Gemälde, Zeichnungen und mehr. Ihre Arbeit ist weder um eine einzige Erzählung herum gestaltet, noch folgt sie einem singulären thematischen Fokus – abgesehen davon, dass sie eine andauernde Untersuchung der persönlichen Umstände und der politischen Dimensionen des täglichen Lebens ist: die kleinen Geschichten, die großen Dramen und die unvermittelten Kurzschlüsse zwischen beiden, durch die das Private öffentlich wird. Häufig lassen sich scheinbar alltägliche Motive in Nashashibis Bildern auf realistische, impressionistische und später postimpressionistische Darstellungen des modernen Lebens von zumeist männlichen Malern des 19. Jahrhunderts zurückführen – so unter anderem Pierre Bonnard, Gustave Caillebotte, Edgar Degas und Claude Monet. Sie enthalten aber auch Anspielungen auf Protagonisten und Objekte aus Nashashibis eigenen Filmen, wie etwa die Arbeit Stone and table (2004), die nichts anderes als diese beiden titelgebenden Objekte sowie einen darüber hinwegziehenden Schatten zeigt. In den Gemälden Vase with flowers, hand with stone und Chrysanthemums, hand with stone von 2025 umgreift eine Hand ruhig, aber entschieden einen Stein neben einem Tisch und einer Vase mit Blumen; Kontemplation und Gewalt sind nur einen Steinwurf voneinander entfernt. In Nashashibis Arbeiten verbinden sich der modernen Malerei entlehnte Genres und Motive mit unserer Zeitgenossenschaft: ein Pferd, ein Hund, ein Akt auf einem Sofa, eine Katalogseite mit dem Bild eines Akts auf einem Sofa (A book left out, 2025), ein Blumenstrauß auf einem Tisch, eine Hand mit einem Stein, wieder ein Pferd, bebrillte Zuschauer einer Theateraufführung – die sich aber, statt auf Degas’ Ballerinen zu blicken, einem Vorhang mit einem Muster von Pferdekutschen gegenübersehen (At the theatre, 2025). Diese Details sind der Geschichte der modernen Kunst entnommen und werden als Teil von Nashashibis eigenen Kompositionen in einen neuen Zusammenhang gestellt.
Neu inszeniert, treten sie in anderen Konfigurationen auf. In The painting lesson (2025) liegt eine junge Frau wie eine Puppe auf einem überdimensionierten Sofa – eine Umdeutung von Gustave Caillebottes Nu au divan (Akt auf einem sofa, um 1880) – mit der Hinzufügung der mageren, geisterhaften Gestalt einer älteren Frau: eine Malerin bei der Arbeit, ein Schatten oder ein Alter Ego, das dem Traum der Protagonistin entspringt. Eine weitere Arbeit von Nashashibi ist eine Umkehrung desselben Gemäldes von Caillebotte (Thought, 2025). Sie zeigt eine braunhäutige Frau in einem weißen Kleid, die auf einer gelben Couch sitzt und nachdenklich ins Leere blickt (bei Caillebotte verbirgt die nackte weißhäutige Frau ihr Gesicht unter ihrem Arm, in einem konventionellen Ausdruck von Scham oder vielleicht auch nur aus Müdigkeit). Hinter Nashashibis Figur nimmt in der Ecke des Raumes das Bild eines Jockeys auf einem Pferd als uneindeutige Erscheinung Gestalt an, die zwischen einem Gemälde im Gemälde, einer Gedankenblase oder einer großen ovalen Linse changiert – das Gelb des Sofas färbt sich auf den Boden unter den Beinen des Pferdes ab.
In der Ausstellung mit dem leicht kryptischen Titel Tender horse werden darüber hinaus Gemälde mit Rastern aus jeweils vier Farbfeldern gezeigt: Rose black, Lilac green, Ruby white, Turquoise pink und Red blue (alle 2025). Neben den anderen, auf offensichtlichere Weise „gegenständlichen“ Arbeiten (die per definitionem „etwas darstellen“, als ob es möglich wäre, nicht etwas darzustellen) können sie dennoch nicht als völlig abstrakt bezeichnet werden, da ihre Geometrien unvollkommen sind und ihnen somit etwas Intimes eignet. Sie erinnern an Farbtafeln, könnten aber auch übermalte figurative Werke sein oder Freistellungen von Farben aus früheren Gemälden, die sich in ihnen aufgelöst haben. Die Felder aus Rot, Blau, Gelb und Lila oder Lila, Schwarz, Grün und Blau bilden je vier Flächen, wobei unter den Farbschichten andere Farben hindurchdringen und auch zwischen den rechteckigen Formen dünne Linien oder Lücken von unten durchscheinen. Unsere Versuche, in Worten ein Bild von Farben zu schaffen, erinnern unweigerlich an Ludwig Wittgensteins Bemerkung: „Unsere gewöhnliche Sprache hat kein Mittel, um einen bestimmten Farbton zu beschreiben. Sie ist also unfähig, ein Bild dieser Farbe zu erzeugen.“
Symmetrien und Asymmetrien, Wiederholungen und Verschiebungen von Motiven gliedern die Arbeiten – nicht entlang binärer Gegensätze, sondern vielmehr als Wiedergabe komplementärer, sich anziehender Kräfte in unvollkommenen Spiegelungen, beinahe Gegensätzen: Ein Gemälde mit zwei Fischen, die sich auf einem Teller heraldisch spiegeln, wurde mit einer rosafarbenen Seerose vor einem rechteckigen gelben Hintergrund neben einer rosafarbenen Seerose vor schwarzem Hintergrund übermalt (Lilies, 2025); zwei Pferdekutschen schmücken den Vorhang, der ein weiteres Theaterstück vor den Augen des Publikums verbirgt; zwei Schwäne (Departure, 2025) und so weiter. Nashashibis Malerei ist kein Nullsummenspiel mit der Geschichte des Mediums. Sie greift die Malerei kritisch wieder auf, um ihre ausgedienten Gewohnheiten zu überprüfen und ihre ideologischen Codes offenzulegen. Das Gemälde mit der Frau auf dem gelben Sofa (Thought) konterkariert die entfernt orientalisierende erotische Fantasie von Caillebottes „Diwan“: Es basiert auf einem Bild aus einem künstlerischen Buchprojekt von Ania Dabrowska, das eine junge, moderne arabische Frau zeigt, die auf einem Sofa in einer Privatwohnung sitzt. A lebanese archive: from the collection of Diab Alkarssifi (Book Works, 2015) re-präsentiert und rekontextualisiert das Privatarchiv eines libanesischen Emigranten in London, das Familienfotos von Alltagsszenen im Libanon während des letzten Jahrhunderts enthält. Eines der Bilder ist, vermittelt über Caillebottes Gemälde, in Nashashibis eigene Arbeit gewandert – oder vielleicht war es Caillebottes Gemälde, das über das von Dabrowska in A lebanese archive aufgenommene Archivbild in Nashashibis Werk gewandert ist.
Der Titel einer Ausstellung sollte all ihre unterschiedlichen Themen miteinander verbinden – und hier tut er dies auf höchst persönliche Weise. Tender horse ist eine Anspielung auf die Etymologie von Nashashibis Vornamen, der sich aus den urgermanischen Wörtern „hros“ (Pferd) und „lind“ (zart, weich) zusammensetzt. Vielleicht spielt es auch auf Degas’ Bilder von Pferderennen an, jene Szenen aus dem bürgerlichen Leben von Männern, die auf andere Männer auf Pferden schauen. Man denke nur an den Jockey blessé (Verletzter jockey, 1896–98), der in seinen grellgelben Hosen hilflos im grünen Gras liegt, während sein Pferd über ihm davonrennt.
(Text von Adam Szymczyk)