Da Tobias Kaspar selbst keine Interviews führt, hat sich Samuel Haitz – der mit Tobias’ Werk bestens vertraut ist – bereit erklärt, mit Ramona Diem (Galerie Urs Meile) über die Ausstellung Atelier in der Galerie Urs Meile in Zürich zu sprechen. Im Gespräch ging es zudem um grundlegende Fragen zu Kunst, Mode, Autorschaft und Produktion in Kaspars Praxis. Samuel Haitz (g. 1997, Muri) ist Künstler. Er lebt in Zürich und ist derzeit Resident bei Wiels in Brüssel.
Tobias Kaspar (g. 1984, Basel) lebt seit 2018 in Zürich, zuvor arbeitete er in Berlin, New York, Rom und Riga, wo er weiterhin einen Wohnsitz unterhält. Bekannt wurde er in den frühen 2010er-Jahren mit fotografischen und installativen Werken, die sich mit Fragen von Identität, Autorschaft und Konsum im Kontext von Appropriation, Conceptual Art und Institutional Critique auseinandersetzten. Immer wieder entwickelt der Künstler experimentelle Ausstellungsformate – etwa die anonym realisierte Einzelausstellung Independence (Kunsthalle Bern, 2018) oder The street (Cinecittà Film Studios, Rom, 2017) oder jüngst Rented life (MAMCO Geneve, 2022 und Migros Museum für Gegenwartskunst, Zürich, 2025). Tobias Kaspar ist ausserdem Mitbegründer des Künstler:innen- und Publikationskollektivs Provence, dem auch Samuel Haitz angehört. Seit 2009 erscheint Provence regelmässig in Print- und Digitalformaten und versteht sich als Agentur für zeitgenössische Kunst.
Ramona Diem: In Atelier richtet Tobias Kaspar den Fokus auf seine textile Fotografie – auf Stoffe, Oberflächen und Gesten, die zwischen Mode, Kunst und Alltag oszillieren. Wie siehst du Tobias’ fotografischen Ansatz?
Samuel Haitz: Ich werde manchmal belächelt, wenn ich Kunst als sexy bezeichne. Bei Tobias habe ich oft diese Reaktion: “Sexy.” Das hat ziemlich wenig mit Erotik zu tun, aber ganz viel mit anderen Arten von Fetisch; Materialität, Oberfläche, wirklicher Lust an Kunst, vielleicht auch mit Humor, der ja auch anziehend sein kann. Tobias spielt mit diesen vielfältigen Formen der Anziehung. Manchmal hat seine Arbeit auf mich den gleichen Effekt wie eine gute Werbung – ich will vielleicht nicht unbedingt das Produkt kaufen, das abgebildet wird (I really don’t need another sweater…), aber ich identifiziere mich mit der Brand, der Attitude dahinter. Tobias’ Fotografien sind kompositorisch und ästhetisch gute Bilder, und öffnen gleichzeitig Referenzsysteme hinter der wortwörtlichen Oberfläche. Ich glaube aber, dass es zu kurz gegriffen wäre zu sagen, dass sich Tobias für Fashion interessiert, wie es oft getan wird. Mir scheint es viel interessanter darüber nachzudenken, wie er gewisse Mechanismen der Modewelt beleuchtet – zum Beispiel wie sie sich der Kunstgeschichte bedient – indem er diese Strategien aufnimmt und zurück in die künstlerische Praxis bringt. Um die Frage zu beantworten: Fotografie ist ein naheliegendes Medium für dieses Spiel mit Strategien und Sprache aus Mode und Werbung. Tobias’ kamerabasierte Arbeiten zeichnen sich oft durch ein Abtasten aus, in dieser Ausstellung sind es Textilien, aber auch die Körper, die sie tragen, welche in ihrer Materialität untersucht werden.
RD: Lass uns die einzelnen Werke der Ausstellung im Detail besprechen. Zum einen gibt es Fotografien verschiedener Kleidungsstücke, zum anderen Aufnahmen von Schuhschachteln. Die Schachtel dient als Hülle für ein Produkt, so wie Textilien letztlich den Körper umhüllen.
SH: Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich zum ersten Mal ein eigenes, neues iPhone bekommen habe. Ich bin mit meinem Vater vom Apple Store zurück nach Hause gefahren und habe es noch im Auto ausgepackt. Der Deckel ist so konstruiert, dass man beim Abheben ein kleines bisschen Widerstand spürt. Dann liegt das iPhone passgenau in der Box: eine glänzende, schwarze Oberfläche. Diese Verpackung ist akribisch geplant, sie ist ein essenzieller Teil der Nutzer*innenerfahrung, des Marketings. UnboxingVideos sind eine ganze Kategorie in sozialen Medien. In der Luxusmode funktioniert das ähnlich: wenn ich mir ein Kleidungsstück für mehrere hundert Franken kaufe, dann kaufe ich eben nicht nur ein Statussymbol und hoffentlich gutes Design, sondern auch eine Experience. Dann ist es plötzlich wichtig, dass die Schuhschachtel genau so viel Aura hat wie der Schuh, sogar wenn ich sie Zuhause sofort wegwerfe. Interessanterweise unterwandern Luxus-Onlineshops, für die sich Tobias ja auch interessiert, genau dieses Prinzip. Ich bestelle im Hochpreissegment, aber die Zustellung fühlt sich an wie eine Zalando-Sendung. Die Analogie von Kleidung als Verpackung des Körpers ist etwas banal, aber wenn man das Prinzip von Apples Verpackungen auf den Körper anwendet, sieht man, dass Mode die Qualitäten ihrer Träger:innen auf eine ähnliche Weise betonen kann.
RD: In der Ausstellung gibt es gleich zwei Referenzen zu Werken des französischen Künstlers Henri Matisse. Zum einen, ganz konkret, in der Werkreihe Love under capitalism (2025), eine Serie von acht Rahmen, bestehend aus jeweils mindestens zwei Fotografien und einem auf Passepartout gedruckten Textfragment. Diese Kombination von Bild und Text ist in Tobias’ Arbeit eine wiederkehrende Strategie. Mit Serien wie Lumpy blue sweater (2010) oder Bodies in the backdrop (2013) hat Tobias erste institutionelle Anerkennung erhalten. Die reproduzierten Malereien von Matisse sind so beschnitten, dass nur Textilien, Tapeten und Dekor zu sehen sind. Dazu setzt Tobias Screenshots aus einem chinesischen Werbefilm, der eine androgyn aussehende Person zeigt.
SH: Diese Bild-Text-Kombinationen, Anspielungen auf Arbeiten Louise Lawlers, waren wahrscheinlich die ersten Arbeiten von Tobias, die mich interessiert haben. Bei den erwähnten frühen Arbeiten war der Zusammenhang zwischen Bild und Text noch klar ersichtlich, später wurden sie spielerischer und abstrakter, teilweise fast schon Nonsense. Konkret zu diesen neuen Arbeiten: Eine Faszination an der Funktionsweise von Mode kommt immer mit einem Interesse am Generischen zusammen. Wenn ich mir in den letzten Monaten ein Labubu gekauft habe, dann kaufte ich auch die Zugehörigkeit zu einem Trend. Aber Trends nutzen sich eben auch – aufgrund ihres eigenen Erfolgs – ab. Die hohe Kunst im Umgang mit ihnen scheint es zu sein, die Balance zwischen dieser Zugehörigkeit und Individualität zu finden. Man will schliesslich nicht den Eindruck erwecken, dass man nur der Masse hinterherläuft. Wie wir Matisse rezipieren, ist in dieser Hinsicht interessant. Die Nus bleus sind zum Merchandise geworden, den sich “Uninteressierte” als Poster in die Küche hängen. Wir “Eingeweihten” rümpfen die Nase – nicht, weil wir die Arbeiten per se schlecht finden, sondern weil sie zu kommerziell aufgenommen werden. Die Matisse-Arbeiten, die Tobias hier verwendet, fallen in die andere Kategorie – diejenige des guten Geschmacks. Durch den Beschnitt der Reproduktionen, eignet sich Tobias diese Malereien an, lenkt aber vor allem auch unseren Blick. Das oben bereits erwähnte Interesse an Oberfläche, Materialität, und hier vielleicht auch an malerischem Duktus, wird betont. Der chinesische Werbefilm, den Tobias dazu kombiniert, wurde im Gästehaus einer Sammlerin in Shanghai gedreht, in dem er während eines Ausstellungsaufbaus im letzten Jahr wohnte. Während er Matisse-Bilder zu Stillleben macht, betont Tobias in diesen Screenshots die Aktivierung des Settings durch die Person, die mit ihm interagiert. Schlussendlich wirken diese beiden bourgeoisen Interieurs in Tobias’ Arbeiten aber gleichermassen distanziert. Wer in den auf den Passepartouts aufgedruckten Bildunterschriften spricht, ist unklar, es scheint weder Tobias, Matisse, noch die Person auf den Screenshots zu sein. Die Textfragmente reiben sich an den Bildinhalten, decken sich aber nie wirklich mit ihnen. Als Betrachter:in kann man sich mit diesen Arbeiten durchaus etwas verloren fühlen. Ein Gefühl, das Tobias immer wieder bewusst zu provozieren scheint.
RD: Die Ausstellung heisst Atelier und Tobias hat im Vorfeld das Werk L’Atelier Rouge, das sich in der Sammlung des MoMA in New York befindet, erwähnt. Matisse malte sein Atelier in Rot. Weitere Gemälde hängen und stehen an den Wänden, die Szene ist eine Art Ausstellung im Bild. Wie steht Tobias zur Idee des Ateliers?
SH: Dass Tobias L’atelier rouge gefällt, macht Sinn. Das Bild zeigt eine Komposition, die sich scheinbar zufällig durch alltägliche Studiopraxis akkumuliert hat. Gewissen Malereien, die Matisse darin reproduziert, kommt eine skulpturale Qualität zu, manche stapeln sich. Andere sind vielleicht unfertig. Das erinnert mich an Ausstellungen von Tobias, in denen Bilder eben nicht nur autoritär an der Wand hängen, sondern oft objekthaften Charakter haben. Die Frage nach dem Atelier als Produktionsort ist heute vielleicht gar nicht mehr so interessant. Mein Vater hat früher für eine Grossbank Outsourcing/Offshoring-Projekte betreut, also zum Beispiel IT-Arbeitsplätze von der Schweiz nach Indien übersiedelt. Es ist etwas unromantisch analog dazu über Produktionskosten von Kunst nachzudenken, aber in einer globalisierten Welt scheint es relevant, sich zu fragen, wo man welches Know-how zu welchem Preis bekommt. Tobias macht diese globalisierte Produktion auch zum Thema seiner Arbeit, etwa kürzlich mit der in der Schweiz konzipierten und in China fabrizierten Skulptur Lumpy purple can (2025), die auf einem auf ihr aufgebrachten Text als Ich-Erzählerin erklärt, wie sie von Asien in die Schweiz gebracht wurde, oder mit den seriell – und ebenfalls in China – produzierten Schneekugeln Bartleby (My dreams and nightmares) (2024) für eine Ausstellung in Shanghai. Dieses mit industriellen Fertigungsprozessen kokettierende Outsourcing kontrastiert mit Arbeiten, in denen der künstlerische Gestus, die Arbeit im Atelier, fast schon überzeichnet wird; Arbeiten, in denen Tobias malt, zeichnet und collagiert und jeden Arbeitsschritt selbst vornimmt. Das Atelier ist dabei nicht unbedingt ein fixer Ort, auch wenn es dieses gibt. Tobias produziert auch zu Hause, wenn seine Tochter schon schläft oder im Hotel.
RD: Das zentrale Werk der Ausstellung ist Anti-conformist conformist Chandelier (Evian) (2025), ein Kronleuchter aus siebzig Evian-Glasflaschen.
SH: Als Tobias mir zum ersten Mal von der Idee des Kronleuchters aus leeren Evian-Flaschen erzählte, habe ich mir an den Kopf gefasst. Kronleuchter, besonders deren zeitgenössischen Neuinterpretationen sind meiner Meinung nach eher geschmacklos. Aber wenn wir nochmal auf alles zurückschauen, was wir in diesem Gespräch bereits verhandelt haben, ist diese Arbeit ziemlich interessant. Die bereits erwähnten Mechanismen von Marketing und Zugehörigkeit werden fast nirgends so deutlich und beinahe pervers wie bei abgefülltem Wasser. Klar, eins ist vielleicht ein bisschen besser als ein anderes, aber schlussendlich läuft die Kaufentscheidung über die Positionierung des Produkts. Perrier, das ich in Brüssel gerade gerne trinke, geht mit einem Hauch hedonistischer Lust einher, obwohl schlussendlich wenig daran wirklich luxuriös ist. “Wem soll das schlechte Leben nutzen?”, denke ich und schenke nach, bis mein Glas halb voll ist und spüle damit Methylphenidat und Ibuprofen herunter. Die Markenidentität von Evian fokussiert hingegen neben Exklusivität, auch auf Wellness und Gesundheit. Die Evian-Werbung (“Live young”) scheint mir zu versprechen, dass das Bergquellwasser meinen Dopaminmangel, meine Kopfschmerzen, meine unreine Haut und den Stress, der sie verursacht hat, alleine beseitigen kann.
RD: Zum Abschluss möchte ich noch auf einen Aspekt ansprechen, der Tobias’ Spiel mit Kunstreproduktion und Alltagsobjekten anschaulich macht: Die Kühlschrankmagneten.
SH: Tobias hat für Atelier Magneten produziert, welche die Arbeiten in der Ausstellung und weitere Klassiker seiner bisherigen Praxis reproduzieren. Damit verweist er natürlich auf ähnliche Produkte im Museumsshop, die normalerweise nicht-zeitgenössische Werke abbilden. Man könnte das als Selbsthistorisierung abtun, ich sehe es aber eher in der Tradition des Merchandise, dessen Ähnlichkeit mit den Künstler:inneneditionen Tobias immer wieder untersucht – zum Beispiel mit seiner Jeans-Brand oder den Harlequin-Teddybären. Ich habe die Idee von gutem und schlechtem Geschmack ja bereits angesprochen – eine Kunstreproduktion auf einem Magneten ist ziemlich sicher Zweiteres. Das Spannende an Tobias ist, dass er das weiss, trotzdem Magnete macht und es schafft, dass ich am Ende auch einen an meinen Kühlschrank hängen will.














