Galerie Urs Meile freut sich, mit A pre-arranged life die erste Einzelausstellung der chinesischen Künstlerin Miao Miao (g. 1986, China) in Zürich zu präsentieren. Als eine führende Stimme der jungen Generation chinesischer Künstlerinnen bewegt sich Miao Miaos Praxis fließend zwischen Malerei, Skulptur und Installation. Die Ausstellung präsentiert eine neue Werkgruppe von Gemälden, ein skulpturales Ensemble sowie ihre charakteristischen Paravents – ein Format, das derzeit im zeitgenössischen Kunstdiskurs neue Aufmerksamkeit erfährt.
Mit A pre-arranged life untersucht Miao Miao, wie Alltagsleben, urbane Umgebungen und unsichtbare Formen von Arbeit mit Imagination und Erinnerung verwoben sind. Ihre Werke zeichnen sich durch eine subtile Sensibilität für Farbe, Material und die oft übersehenen Details des täglichen Lebens aus, die sie in poetische, allegorische Bildwelten verwandelt.
Zwischen Alltag und Allegorie
Miao Miaos Praxis reagiert auf die beschleunigten Transformationen des 21. Jahrhunderts, bleibt aber zugleich in den intimen Beobachtungen ihrer Umgebung verankert. Sie richtet ihren Blick auf städtische Kreuzungen, Grabsteine, Vorstadtarchitektur oder dem roten Leuchten von Wohnblöcken in der Abenddämmerung. In der Malerei erscheinen diese Orte neu konfiguriert und schweben zwischen Realität und Projektion. Die Werke laden ein, über das „pre-arranged life“ – die sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen von Häuslichkeit, Arbeit und Erinnerung – nachzudenken und eröffnen zugleich neue Vorstellungsräume.
Farbe spielt hierbei eine zentrale Rolle. In einer Pigmentfabrik ausgebildet, hat Miao Miao die Wissenschaft der Farbe studiert und versteht sie sowohl als chemisches Material wie auch als Metapher. Ihre Paletten reichen von industrieller Präzision bis zu poetischen Anspielungen – von „sesampastenbraun“ bis zu „gurkengrün“. Farbe ist in ihren Gemälden nicht nur zu eine ästhetisches Mittel, sondern eine Denkweise, ein Instrument, das Vertraute neu zu verzaubern und Wahrnehmung zu hinterfragen.
Neue Werke in der Ausstellung
Die Ausstellung umfasst Leinwände, skulpturale Objekte und Paravents. In Gemälden wie Travel destination (2025, Acryl auf Leinwand, 160 x 240 cm) erscheint eine leuchtende Waldlichtung, in der Erinnerung und Vorstellungskraft ineinanderfliessen, während City night with waves (2025, Mischtechnik auf Leinwand, 200 x 160 cm) eine urbane Szenerie von unheimlicher Stille zeigt, durchbrochen von wellenartigen Monumenten, die wie verkohlte Stümpfe aus dem Boden wachsen. Werke wie Home (2025, Mischtechnik auf Leinwand, 155 x 210 cm) und Home (small) (2024, Acryl, Ölkreide, Pigment und Baumwollfaden auf Papier, auf Aluminiumplatte montiert, 58 x 77 cm) vertiefen die Auseinandersetzung mit der Architektur des Häuslichen und Spirituellen, wobei Gebäude und Grabsteine gleichermaßen durch gesättigte Pigmente und unerwartete Bildeinsätze neu gerahmt werden.
Ihre Paravents, von der Künstlerin als „vergrößerte Seiten eines Buches über alltägliche Fremde“ beschrieben, abstrahieren Gesten von Reinigungskräften und Wachpersonal sowie deren Werkzeuge – Mopp, Kleiderbügel, Besen und Schwämme. Indem sie diese unsichtbare Arbeit sichtbar macht und zum malerischen Sujet erhebt, würdigt Miao Miao diese Berufsgruppen und ruft Solidarität mit der Arbeiterklasse hervor.
Auch ihre Skulpturen verdichten den Dialog zwischen Körper, Material und Funktion. Ankles after work (2025, Kunststoff, Schaumpulver, Acryl, Stahldraht, 30 x 45 x 45 cm) verwandelt die Belastung menschlicher Gelenke in eine hybride Form zwischen gebundenem Fuß, Joystick und Pferdehuf. Swan velvet snail turntable (2025, Kunststoff, Schaumpulver, Acryl, Stahldraht, Velours, Kordel, 96 x 75 x 63 cm) kombiniert Textilien und Fitnessgeräte zu einer fantastischen ergonomischen Stütze. Diese Werke, zugleich humorvoll und ernst, schlagen spekulative Prothesen vor, die die Grenzen zwischen Körper und Objekt, Gebrauch und Spiel, Funktion und Fantasie verwischen.
Ein Biotop der Wahrnehmung
Miao Miao beschreibt ihre Praxis als ein „Biotop der Wahrnehmung“ (Remy Zaugg)1 , eine Ökologie, in der Malerei, Skulptur, Philosophie und Alltagsleben ineinandergreifen. Sie integriert Fragmente aus Literatur, Farbtheorie und Alltagskultur in ihre Arbeiten und verwandelt sie in Träger von Erinnerung und Vorstellungskraft. In einer Zeit, in der die visuelle Kultur von digitalen und KI-generierten Bildern überflutet ist, beharrt ihre Arbeit auf langsamer Beobachtung, verkörperter Wahrnehmung und der materiellen Präsenz von Kunst.
Ihre Werke bewegen sich zwischen Allegorie und Experiment, zwischen Sinnlichkeit und Konzept. Sie machen deutlich, dass selbst innerhalb eines „pre-arranged life“ Kunst Öffnungen schaffen kann – Räume, in denen Handlungsfähigkeit, Imagination und Solidarität neu entstehen.
(Der vorliegende Medientext basiert auf einem Essay von Dr. Clémentine Deliss, der für diese Ausstellung verfasst wurde)
Notizen
1 Remy Zaugg, “Each work in its locus, or environment with people has its own matrix for perception, its own biotope of perception, its own econiche of perception.” In “The Art Museum of My Dreams or a Place for the Work and the Human Being.” (1998) 2014.