Die Galerie Peter Kilchmann freut sich, das Ausstellungsjahr in den Räumen an der Zahnradstrasse mit der Gruppenausstellung Skulptur heute abzuschliessen. Beiträge von den folgenden Künstler*innen werden ausgestellt: Francis Alÿs, Maja Bajević, Vlassis Caniaris, Los Carpinteros, Andriu Deplazes, Willy Doherty, Valérie Favre, Christoph Hänsli, Leiko Ikemura, Zilla Leutenegger, Jorge Macchi, Shirana Shahbazi, Tobias Spichtig, Didier William, Artur Żmijewski.

Den ersten Raum eröffnet die neue Videoinstallation Lavabobo (2025) von Zilla Leutenegger (1968 in Zürich; lebt und arbeitet in Zürich und Soazza). Hier ist das Video nur ein flüchtiger Moment – der Schwerpunkt liegt auf der skulpturalen Präsenz der Arbeit. An der Wand ist ein Raster aus schwarzen Linien auf weissem Papier zu sehen, das an Kacheln erinnert, zwischen denen einfache Küchenutensilien angedeutet sind. Darunter hängt ein kleines Keramiklavabo, aus dessen Schlauch immer wieder projizierte Wassertropfen fallen. Aus Fragmenten des Alltäglichen entstehen bei Zilla aus Erinnerungen Räume. Linien, Licht und Materialität kreuzen sich: Die Zeichnung dehnt sich im Raum aus, das Video wird körperlich erfahrbar. So entsteht eine Verdichtung, in der Zeit und Wahrnehmung ineinander übergehen – eine leise, verspielte Verschiebung der Realität.

Vlassis Caniaris (1928-2011) Observer (1980) lehnt unauffällig in der Ecke, die Hände in den Hosentaschen und die Füsse verschränkt, beobachtet er resigniert. Die Figur besteht charakteristisch für Caniaris, aus einem filigranen Gerüst aus Metalldraht, das mit Gips, Stoff und gebrauchten Kleidungsstücken überzogen ist. Das Werk spielt auf den Moment in Griechenland an, als 1974 die Militärdiktatur fiel und der Künstler ins Land zurückkehrte. Bald musste er jedoch voller Resignation feststellen, dass Missstände, wie Korruption, bestehen blieben. Der Künstler erzeugte mit Observer eine Wechselwirkung, bei der die Skulptur, wie auch das Publikum abwechselnd die Rolle des Beobachtenden und Beobachteten innehaben.

Leiko Ikemura (geb. in Tsu, Präfektur Mie, Japan; lebt und arbeitet in Berlin) ist mit drei liegenden Skulpturen vertreten: Lying on the lake (2017), Velvet girl (2021/23) und Liegende (Reclining figure, 2025). Alle drei zeigen eine auf der Seite liegende Mädchenfigur entweder aus Bronze oder Glas. Die Figure ist weit mehr als ein Bild des Schlafs. Sie verkörpert Zustände des Übergangs – zwischen Kindheit und Erwachsensein, Ruhe und Spannung, Geschlossenheit und Offenheit, Imaginärem und Wirklichem. In ihrer Reduktion und Andeutung wird das Mädchen zur Metapher für Existenz – weniger Individuum als universelles Wesen. Ikemura interessiert sich dabei für die Frage, „woher wir kommen und wie wir in der Wirklichkeit ankommen können“. Je nach Lichteinfall und Tagesstunde wechselt die Glasskulptur Velvet girl beispielsweise ihre Farbe, bewegt sich somit auf einem Farbspektrum von Hellgrau und Zartrosa und wirkt einmal weich wie Watte oder hart wie Stein.

People die flackert in rotem Licht dem Publikum entgegen. Maja Bajevićs (g.1967 in Sarajevo, Bosnien und Heregovina; lebt und arbeitet in Paris) Arbeit aus dem Jahr 2022 gehört zu einer fortlaufenden Serie von LichtArbeiten, die von Ungleichheiten und Diskriminierung erzählen. Die Arbeit People die möchte uns an das erinnern, was wir so oft vergessen, und kann ein Gefühl der Unruhe, Unbehagen und Betroffenheit auslösen. Das Leuchten des Werks bedient sich der Sprache der Werbung und steht damit im scharfen Paradox zur Botschaft, die in Zeiten globaler Kriege eine neue Dringlichkeit erhält.

Christoph Hänslis (g.1963 in Zürich, wo er lebt und arbeitet) Triptychon Dreifaltigkeit (2025, Eitempera und Acryl auf Leinwand) ist eine Arbeit, die mit dem Künstler eigenen unterschwelligen Humor an den Begriff der Dreifaltigkeit herangeht und sich auch auf die Form der Skulptur übertragen lässt. Auf der dreiteiligen Malerei ist jeweils eine fleischfarbene Mortadellascheibe auf weissem Grund im charakteristischen 1:1 Massstab zu sehen, die unterschiedlich gefaltet wurde. Durch das Falten erhält die Mortadellascheibe einen skulpturalen Körper und wird auf bildlicher Ebene in die Dreidimensionalität überführt.

Von der Künstlerin Valérie Favre (g.1959 in der Schweiz; lebt und arbeitet zwischen Berlin und Neuchâtel) werden drei neue, fragile Skulpturen aus weissem Gips ausgestellt. Lapine univers rau (2025) sind sie jeweils betitelt, unterscheiden sich aber in Grösse und Form. Favre hat ihr berühmtes Alter Ego aus dem Werkzyklus ‘’Lapine Univers’’, den sie Anfang der 2000er Jahre begonnen hat, wortwörtlich vom zweidimensionalen in den dreidimensionalen Raum gebracht.

Farsh-07 (2004) von Shirana Shahbazi (g.1974 in Tehran, Iran; lebt und arbeitet in Zürich) gehört zu einer frühen Werkgruppe, für die die Künstlerin traditionell geknüpfte persische Teppiche nach ihren fotografischen Vorlagen anfertigen liess. Auf dem Wandteppich ist ein sitzendes Baby in weisser Windel und Wickelhemd zu sehen, das aufmerksam nach rechts schaut. Durch den starken Kontrast des monochromen, tiefschwarzen Hintergrunds tritt die Körperlichkeit des Kleinkindes noch deutlicher hervor.

Die drei Skulpturen Fuck me, please, thank you, you’re welcome (2025), Me not in the studio (Bronze 1, 2025), 2025 und Me in the studio (Bronze 1, 2025) von Tobias Spichtig (g.1982, Sembach, Schweiz; lebt und arbeitet in Zürich und Berlin) stehen mystisch geisterhaft in der rechten Seite des Raumes. Die ungewöhnliche Kombination aus Kleidungsstücken aus dem Atelier und Tauchflossen entstand durch einen Zufall – durch den Versuch, die zerbrechlichen, ausgedünnten Skulpturen mit Elementen aus seinem Atelier zu stabilisieren. Die Bronzeskulpturen – mit einer grünlichen Patina – sind entstanden, indem er eine ursprüngliche Harzskulptur abgoss und ausbrannte. Das Ausbrennen verleiht den Figuren eine spannungsvolle Vertikalität und eine fragile Transparenz. Die Figuren scheinen aus der Materie hervorzutreten und sich zugleich von ihr zu lösen.

Artur Żmijewskis (g.1966 in Warschau, wo er lebt und arbeitet) Beitrag sind drei Schwarz-Weiss-Fotografien aus der Serie Red army (2023). Die Arbeiten wurden von Żmijewski im Sowjetischen Militärfriedhof in Warschau aufgenommen und zeigen Ausschnitte der beiden Figurengruppen Heldentum und Opfertum der Bildhauer Jerzy Jarnuszkiewicz und Stanisław Lisowski, die Teil des dort geschaffenen konfliktgeladenen Denkmals zur Ehrung der Roten Armee sind. Die Details der in Stein gemeisselten Figuren hat der Künstler fragmentarisch überlagert, wodurch er sie von ihrem ortsgebundenen Kontext löste und sie mit einer neuen Bedeutungsebene versehen hat.

Ein verbindendes Element vom ersten Raum zum zweiten sind sechs Bronzeskulpturen in Form von Tauben von Andriu Deplazes (g.1993 in Zürich; lebt und arbeitet in Marseille und Zürich, die jeweils allein oder in Paaren in den Ausstellungsräumen verteilt sind: Taube mit stummelbein (2025), Aufrechte taube (2024), Hinkende taube (2025), Taube blickt zurück (2024), Liegende taube (2024) und Taube an kante (2025). Die Taube als wiederkehrendes Motiv in Deplazes Werk verweist auf seine Auseinandersetzung mit der Natur und Zivilisation und der Verbindung von Mensch und Tier.

Im zweiten Ausstellungsraum begegnet das Publikum zunächst Camgun #69 (2008) und Camgun #73 (2008) von Francis Alÿs (g.1959 in Antwerpen; lebt und arbeite in Mexiko). Die Assemblagen aus Holzgewehren und gefundenen Filmrollen und -spulen bewegen sich an der Grenze von Kamera und Maschinengewehr. Die Verbindung zwischen dem Schiessen von Bildern und dem Schiessen von Kugeln ist immanent – die Spur von Humor ebenso. Beide Arbeiten werden von je einer vermeintlichen Bauanleitung, die in der Ausstellung gerahmt an der Wand installiert sind.

Duo de congas rojo y azul (2015) von Los carpinteros (Dagoberto Rodriguez, g.1969 & Marco Antonio Castillo Valdés g.1971, in Kuba) – zwei Conga-Trommeln, die zu schmelzen scheinen, erinnern an den immer wiederkehrenden Rhythmus lateinamerikanischer Musik. Als Sinnbild eines Lebensgefühls verweisen sie zugleich auf die kulturellen Klischees, mit denen Kuba seit Jahrzehnten belegt ist. Nicht nur die körperliche Empfindung von Hitze und Rhythmus wird hier materialisiert – der feste Körper der Trommel löst sich auf, als könnte auch er der Überhitzung nicht standhalten. In dieser stillen Geste liegt jedoch eine subtile Kritik: In einem Land, das keine offene Kritik erträgt, schmelzen selbst die Instrumente – als Zeichen dafür, dass eine Gesellschaft ihren Halt verliert.

Illumination (2012) von Jorge Macchi (g.1963 Buenos Aires, wo er lebt und arbeitet) – ein weisses sternenförmiges Gebilde – nimmt mit einer Höhe von nahezu drei Metern und einer Breite von über zwei Metern eine beeindruckende, fast majestätische Präsenz innerhalb der Ausstellung ein. Erst bei näherer Betrachtung wird erkennbar, dass die sich verjüngenden Strahlen aus Zement in Taschenlampen-Halterungen aus glänzendem, goldenem Metall münden. Der innere Raum, in dem sich im übertragenen Sinne die Lichtkegel der Taschenlampen treffen, bleibt dem Publikum verborgen. Dieses Spiel mit der Wahrnehmung, mit Paradoxien und dem Moment der Ungewissheit ist charakteristisch für Macchi.

Willy Dohertys (g.1959 Derry, Nordirland; lebt und arbeitet in Donegal) Without trace (Into thin air) (2013) gehört zu einer Serie von elf Farbfotografien, die den dreizehnminütigen Film Without trace (2013) ergänzen. Diese Farbfotografie, wie auch die anderen, zeigt ein zeitgenössiches Zürich bei Schnee. Keine Spur von Menschen ist zu sehen, eine menschenleere Stadt voll von skulptural wirkenden Häusern und Bauten.

Untitled (2023) von João Modé (g.1961 Resende, Brazil; lebt und arbeitet in Rio de Janeiro), ein aus einer beige-braunen Buriti-Matte gefertigtes geometrisch-minimimalistisches, skulpturales Objekt weist in Richtung des Brasilianischen Konstruktivismus und des Neo Cocretismo der 1950er und 1960er Jahre. An einem dünnen Faden an der Decke des Galerieraums befestigt, hängt die Arbeit so tief im Raum, sodass sie mit ihren Fransen den Boden berührt. Das Gebilde registriert jede Bewegung, jeden Windhauch im Raum, bewegt, wirbelt oder tanzt.

Der dritte Raum ist der Installation Gesture to home (Group III, 2023) von Didier William (g.1983 in Port-auPrince, Haiti, lebt und arbeitet in Philadelphia) gewidmet. An petrolfarbenen Wänden installiert sind zwei Gemälde von Sumpfzypressen, die als Trägerinnen von Geschichte fungieren. Das Abendrot leuchtet orangerot im Hintergrund, bildet gelbe Reflektionen auf der spiegelnden Oberfläche des Sumpfs. Die Baumstämme schimmern magisch in leuchtendem Türkis und Orange. Zwei Skulpturen stehen im Raum die sich aus den Baumstämmen der Sumpfzypressen hervorringen: Eine einzelne Hand und eine Figur, die sich nach hinten beugt, also ob sie sich von ihren festen Wurzeln im Boden befreien möchte. Beide Skulpturen sind mit den für William charakteristischen, schwarz-weissen Augen versehen, die in alle Richtungen blicken und das Publikum zu den Beobachteten machen.