Die Galerie Peter Kilchmann freut sich, mit der Ausstellung I recall the forest inside me die erste Einzelausstellung der Manor-Kunstpreis Gewinnerin 2024 für den Kanton Aargau, Ishita Chakraborty (g. 1989 in Westbengalen, Indien; lebt und arbeitet in Möriken, Schweiz) in ihren Räumlichkeiten zeigen dürfen.

Aufgewachsen am Ufer des Ganges und am Fusse des Himalayas in Indien – ein Waldstück, das ich stets in mir trage. In meiner künstlerischen Praxis stelle ich immer wieder die Frage: Was macht etwas zum Einheimischen und was zum Fremden? Im Tagebuch meiner Residenz im brasilianischen Amazonasregenwald vergangenen Jahres verknüpfte ich diese Echos: Ich entsinne mich an den Wald im Innern von mir (I Recall The Forest Inside Me).

(Ishita Chakraborty)

Im Fokus dieser Solopräsentation steht die Auseinandersetzung mit Land und Landschaft – einerseits als Ort der Besinnung, Schönheit, Frieden, Raum, Wachstum und Leben und auf der anderen Seite als Ort der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, als Terrain menschengemachter Grenzen, Emigration und Grenzgewalt. Mit neuen und neu installierten Arbeiten, wie Malerei auf zugeschnittener Leinwand und SariStoff, einer Wandmalerei, Papierarbeiten, einer Glasskulptur und Porzellanobjekten werden die genannten Themenfelder in den Räumen an der Rämistrasse besprochen.

Im Erdgeschoss wandert eine Wandmalerei von tropischen Regenwäldern aus dunkelgrauer Kreide die Wand entlang, wie ranken einer wilden, schwer zu bändigenden Kletterpflanze. Die Wandmalerei ergänzt die Künstlerin mit farbintensiven auf Leinwand gemalten, auf Sari-Stoff aufgeklebten und and ihren Umrissen ausgeschnittenen Pflanzen, die während der Kolonialzeit aus dem Globalen Süden nach Europa transferiert wurden. Die Künstlerin hat sich von Tapeten des Regenwaldes, Archivmaterial von Plantagen, botanischen Illustrationen auf Saris und Fotografien ihrer Residenz im Amazonasgebiet für dieses Werk inspirieren lassen. Eine blühende Agavenpflanze (Agave, 213 x 91 cm) in einem satten Grün löst sich beispielsweise von der Wand ab. Die Blüten- und Laubblätter sind teilweise nach unten geknickt, wodurch ihre Rückseite, ’’ihr Rückgrat’’ sichtbar wird: Ein indischer Chapa-Druck-Sari in floralem Muster in Orangeund Rottönen. Beim genannten Sari-Stoff handelt es sich um preiswerte Baumwollstoffe in kräftigen Farben und Blumenmuster, die vor allem von Frauen in ländlichen Gegenden oder im häuslichen Bereich getragen werden. Seit vergangenem Jahr arbeitet die Künstlerin mit dieser Technik an einer Reihe von Pflanzen und Früchten, darunter Kakao, Kaffeepflanze, Mais, Zuckerrohr, Tabak, Banane, Geranie, Kautschukbaum und Edelweiss. Viele dieser Pflanzen sind von einer verflochtenen Geschichte geprägt, die sowohl zur Bereicherung kolonialer Ökonomien beitrug als auch zur ästhetischen Aneignung tropischer Flora im globalen Norden.

Auf die Wandmalerei folgt eine Papierarbeit, auf der eine Figur zu erkennen ist, die beinahe gänzlich von einem Tuch mit Landkartenmotiv bedeckt und damit weitgehend unkenntlich gemacht ist: Die Künstlerin hat sich selbst verhüllt mit einem Tuch fotografieren lassen. Den Pigmentdruck auf Hahnemühlepapier hat sie anschliessend handkoloriert und mit diesem Schritt die Landkarte aufgemalt. Diese zeigt eine alte britisch-indische Plantagekarte aus der Kolonialzeit: Der Körper der Künstlerin trägt die koloniale Karte wie eine zweite Haut: Wie tragen die Körper postkolonialer People of Colour die Traumata kolonialer Geschichte?

Der Wandzeichnung der Treppe entlang nach oben folgend, gelangt das Publikum in das Obergeschoss. Der erste Raum wird mit weiteren Arbeiten der zuvor genannten Serie bespielt: Die Künstlerin gehüllt in Karten, die etwa illegale Sojaanbauflächen und Goldabbau im AmazonasRegenwald dokumentieren und gleichzeitig umstrittene Grenzregionen sowie historische Topographien von Plantagenlandschaften abbilden. Karten können als koloniale Werkzeuge gelesen werden, da sie historisch zur Festigung von Machtstrukturen dienten: Zur Inbesitznahme von Territorien, zur Grenzziehung und zur Etablierung von Kontrolle – oftmals auf Kosten indigener Bevölkerungen und ihres Wissenssystems.

Der Galerieraum auf der linken Seite beherbergt die Arbeit Between the Land and sea I (110 x 200 x 60 cm), eine aus purem Glas gefertigte Absperrung, in der sich das Licht spiegelt und bricht. An den Wänden ist eine neue Version von Resistance II zu sehen: Stacheldrahtobjekte aus unglasiertem Porzellan, die die Künstlerin einzeln von Hand geformt und an der Wand wie eine geheime Schrift angeordnet hat. Beide aus zerbrechlichen Materialien gefertigt, verweisen sie auf die Fragilität unserer Systeme und stellen Fragen nach Machtstrukturen und Kontrollmechanismen, die uns fortwährend umgeben.

Der Ausstellungsraum auf der rechten Seite zeigt verschiedene botanische Illustrationen in derselben Technik, die auch bei Agave verwendet wurde. Sie sind wie eine Herbarium-Sammlung an der Wand angebracht und verdeutlichen, wie Pflanzen aus ihren ursprünglichen Lebensräumen entnommen und in neue kulturelle Kontexte überführt wurden. Diese Werkreihe zeichnet die Bewegung von Pflanzen nach, die eng mit kolonialen Geschichten verbunden sind. Einige dieser ‘’exotischen’’ Pflanzen haben sich angepasst und sind im Laufe der Zeit sogar Teil nationaler Identitäten geworden.

Mit I recall the forest inside me lädt die Künstlerin dazu ein, über die komplexen Beziehungen zwischen Gesellschaft, Lebensräumen und Geschlecht im postkolonialen Kontext nachzudenken und beleuchtet dabei insbesondere die Rolle von Frauen in Plantagenökonomien sowie in der Landwirtschaft des Globalen Südens. Die Künstlerin bewahrt trotz der Ernsthaftigkeit der ausgestellten Arbeiten durch ihren poetischen Ansatz eine gewisse Leichtigkeit, wodurch sie den Zugang zu ihnen öffnet.