Die Galerie Peter Kilchmann freut sich, Heavy mental zu präsentieren – die erste Einzelausstellung mit neuen Gemälden, Skulpturen und Zeichnungen des in Berlin lebenden Künstlers Tobias Spichtig (geboren 1982 in Luzern, Schweiz). Für Spichtig ist Malerei ein Mittel, um bei Verstand zu bleiben – oder (um wahnsinnige Dinge zu tun). Wie Ozzy Osbourne, der in die Leere jugendlicher Schlafzimmer hineinschreit, ist es beinahe eine Methode – halb Scherz, halb Wahrheit – um nicht den Verstand zu verlieren, während man ihn verliert.

Der Ausstellungstitel Heavy mental verweist auf eine Spannung im Zentrum von Spichtigs Werk. Was in seiner Arbeit zentral bleibt, ist keine feste Ikonografie, sondern eine Sensibilität, geprägt von der rohen Textur der Adoleszenz – einer Intensität, die in subkulturellen Erfahrungen fortlebt – und von einer Ästhetik des Affekts, die das ganze Leben durchzieht. Musik ist ein strukturierender Einfluss: nicht im direkt referenziellen Sinn, sondern als konzeptuelles und emotionales Mittel. Metal wird in dieser Konstellation sowohl zum Symbol als auch zum Werkzeug – eine Sprache der Extreme, ein Behälter für ungebändigte Gefühle, eine Lebensform. Keine Darstellung der Welt, sondern eine Art, in ihr zu sein: ein Weg, bei Verstand zu bleiben, indem man sich dem „Zirkus der Dunkelheit“ anschliesst.

Malerei wird in diesem Licht zu einer ebenso aufgeladenen Handlung: eine Form der Selbst-Einschreibung am Rande des Chaos. Heavy mental wird hier zur Metapher – nicht nur für ein Musikgenre. Er steht für alles, was sich sprachlich nicht fassen lässt – für alles, was zu früh oder zu intensiv empfunden wird. Die Fantasie des Heavy Metal – das Drama, die Verzerrung, die Dunkelheit – ist dabei eben real, so Spichtig. Sie besitzt die Kraft von etwas zugleich Kindlichem und Tiefgründigem, von etwas Lächerlichem und Aufrichtigem.

Für Spichtig beginnt die Malerei, wie auch die Musik, nicht mit dem Denken, sondern mit einem Puls – etwas, das gespürt oder geahnt wird, bevor es sichtbar wird. Das Atelier ist – wie ein Musikstudio – kein Raum der Kontrolle, sondern der Verletzlichkeit, ein Raum, in dem etwas durchgelassen wird. „Erst träumen, dann malen“, sagt er, „und vielleicht später denken.“ Diese Umkehrung der Logik – in der Emotion der Form vorausgeht, und Form der Interpretation – ist zentral für die Erfahrung seiner Werke. Es geht nicht darum, die Welt zu verstehen, sondern eine Version davon heraufzubeschwören, in der Empfindung dem Sinn vorausgeht, in der das Gemälde die Zukunft ist, weil es noch nicht ganz angekommen ist.

Die Figuren in Spichtigs Gemälden erscheinen leer, schwebend, geisterhaft – irgendwo zwischen Geist und Idol. Sie tragen das Echo von Musikpostern, ausgebrannten Social-Media-Feeds und den Wänden jugendlicher Schlafzimmer in sich, als alles zugleich verrückt, zutiefst bedeutungsvoll, wahnsinnig und lustig war. Seine Porträts stellen keine Identität dar – sie verfolgen sie. Die neuen Werke repräsentieren Gefühle nicht, sie senden sie aus, getränkt in der Stimmungslast von Empfindungen, die wir zwar wiedererkennen, aber nicht leicht benennen können. Es geht weniger um Narration oder Interpretation als um die Textur eines Moments, eines Geisteszustands, eines Klangs, der noch lange nachhallt, nachdem er verklungen ist.

Dieses Paradoxon – zu viel und zugleich zu wenig zu empfinden – durchzieht die Gemälde. Die Figuren in Heavy mental sind radikal präsent und zugleich überwältigend aufgeladen. Ihre leeren Blicke und ausdruckslosen Augen neutralisieren die Emotion nicht – sie intensivieren sie. Die Betrachter-innen werden zur Projektionsfläche für Gefühle – Melancholie, Sehnsucht, Entfremdung, Wiedererkennen.

Trotz der dunklen Tonalität verweigert sich Spichtigs Werk dem Zynismus. Die Gemälde sind weder nostalgisch noch ironisch, auch wenn sie oft den Abfall der Popkultur und jugendlichen Erinnerungen durchforsten. Stattdessen legen sie nahe, dass die Überreste solcher Bilder – recycelt, halb erinnert, emotional aufgeladen – eine andere Form von Wahrheit bergen können. Ästhetische Entscheidungen sind hier nicht nur stilistisch, sondern existenziell: Wie kann man Gefühl ohne Spektakel darstellen? Wie kann man Tiefe erzeugen in einer Bildkultur, die von Oberflächlichkeit dominiert wird? Seine Figuren erscheinen, als wären sie von einem inneren Licht beleuchtet – von einer Vergangenheit, die nicht vergeht, aber auch nie ganz gegenwärtig ist. Eine zeitliche Dissonanz, die ihre geisterhafte Wirkung bestimmt.

Spichtigs Praxis gründet in einer andauernden Auseinandersetzung mit Anwesenheit, Abwesenheit und den Bedingungen der Wahrnehmung. Auch wenn seine Malerei entschieden figürlich ist, sind seine Porträts ebenso intime Abbilder wie auch Idole – Figuren mit der stilisierten Distanz eines Magazin-Covers oder Posters im Jugendzimmer. Sie deuten auf ein kollektives Entkommen von Gefühlen, Fragmentierung und Entfremdung – aber zeigen zugleich auf etwas, das man sich wünschen kann. In ihren ausgehöhlten Blicken und affektloser Stille spürt man eine Generation, gefangen zwischen Sichtbarkeit und Auflösung, zwischen dem Schein des Verstehens und der Realität, nie ganz bei der Bedeutung anzukommen. Was diese Figuren verbindet, ist der Blick, der sie formt – ein Blick, der sich nicht ändert, egal ob Spichtig enge Freunde, Weggefährten oder verehrte Kultfiguren malt. Sein Blick bleibt derselbe: die ungebrochene Bewunderung eines Fans. Aus dieser Warhol’schen Perspektive ist jeder Mensch zugleich Person und Mythos. Die Nähe schmälert Spichtigs Bewunderung nicht – im Gegenteil, sie vertieft sie. Sie wird weniger zur Fantasie und mehr zu geteilter Geschichte, Gegenwart und Gefühl.

Wenn es hier einen Witz gibt, dann sicher nicht auf Kosten der Betrachtenden. Es geht um die Absurdität und Schönheit des Alltags. Aber auch: Der Witz ist heilig. Denn er ist nicht nur ein Witz. Heavy Metal, jugendliche Fantasie, als Coolness getarnte Krise – und all dieser grosse Wahnsinn funktioniert noch immer. Ein halbes Leben später klingen dieselben Töne noch immer grossartig. Dieselben Bilder bleiben ebenso kraftvoll. Spichtigs Gemälde tragen diese schwer fassbare Macht in sich: zugleich zeitlos und absolut gegenwärtig.

(Text von Samuel Staples)