Seit 2002 hat Peter Piller kontinuierlich in der Galerie Barbara Wien ausgestellt. Mit Bürgerliche dämmerung eröffnen wir seine siebte Einzelausstellung, in der wir circa 30 Farb- und S/W-Fotografien und Zeichnungen aus dem Jahr 2025 zeigen. Wir haben als Einführung in die Werkgruppen ein Interview mit Peter Piller geführt.

Die gute, alte ‚Was ist das?‘-Frage stellen. Interview mit Peter Piller

Der Begriff Bürgerliche dämmerung ist der Titel deiner neuen Einzelausstellung bei Barbara Wien. Er bezeichnet die hellste Dämmerungsphase, die beginnt, wenn die Sonne sechs Grad unter dem Horizont steht, und endet, wenn die Sonne sechs Grad über dem Horizont steht.Wie kamst du darauf?

Das ist ein Titel, den ich schon länger nutzen wollte, seitdem ich den Begriff in einer Wetterapp gelesen, nicht verstanden und dann nachgelesen habe. Ich schätze Missverständnisse, sie öffnen Raum für Spekulationen und ich bin mir ziemlich sicher, dass einige denken werden, den Begriff hätte ich mir ausgedacht. Diese Ausstellung jetzt ist ein guter Zeitpunkt für diesen Titel.

Sind Assoziationen zum Wort und zur Bedeutung von Götterdämmerung von dir erwünscht, also mitgedacht?

Mitgedacht ist es schon, aber eher in Kauf genommen. Die Götter gehen nicht unter, sie werden ersetzt. Ich blicke auf einen weniger großbürgerlichen Erbadelshorizont und will nicht nach Bayreuth.

Viele der Fotos zeigen Motive, die wie Stillleben anmuten, stille Blicke auf Landschaften, Architektur, Wasser, Pflanzen, etwa Pilze – meist aufgenommen im Außenraum – mal fokussiert und mal mit Abstand…

Stille blicke hört sich an, als könnte das Blicken auch zu laut sein, zu starrend. Und im Stillleben lebt etwas, man sieht es ja deutlich, und das wäre die Brücke zur letzten Ausstellung, bei der es um prähistorische Kunst ging, um den Kontakt zu animistischen Bildkulturen. Die Fotos sind manchmal gar nicht gemacht im Sinne von Produktion, sondern ich versuche, sie sich eher ereignen zu lassen, offen zu sein für Momente von Irritation, Unsicherheit. Was daran im Moment des Fotografierens im weitesten Sinne ‚kreativ‘ ist, geht eher durch mich hindurch, als dass ich der Autor bin, aber das tut es eben auch nur, wenn ich durchlässig bin, und das übe ich. Vom Moment des Fotografierens bis zum Bild an der Wand gibt es noch viele Entscheidungen zu treffen und das ist weniger verschwurbelt irrational.

…Oder, man könnte auch sagen, die Fotografien funktionieren wie ‚Fallen‘, denn man vermeint, etwas zu erkennen. Erfährt man von dir aber, was es ist, merkt man, dass man falsch lag…

Nein, würde ich sagen: man lag auch richtig.

Was sieht man zum Beispiel auf der Postkarte?

Das ist nur ein winterfest umschnürtes Motorradhinterteil, das ich nicht fotografiert hätte, wenn ich ein winterfest umschnürtes Motorradhinterteil hätte fotografieren wollen.

Die Motive laden dazu ein, eigene Assoziationen zu entwickeln und entlang ihrer Hängung eine eigene Geschichte zu erfinden.Wie hast du die Auswahl der Fotografien für die Ausstellung getroffen? Welche Kriterien waren dabei für dich ausschlaggebend?

Es ging bei vielen Motiven um ihr Potenzial von Mehrdeutigkeit, aber am Ende dann noch mehr darum, wie Bilder unterschiedlicher Herkunft durch Nachbarschaft miteinander reagieren. Das kann ich nur ausprobieren, dabei gibt es immer schöne Überraschungen, wie Bilder neben Bildern unerwartete Bedeutungsrichtungen erzeugen. Gelungene Nachbarschaften sind mir lieber als gelungene Einzelbilder.

Bürgerliche dämmerung ist jetzt – seit 2002 – deine siebte Einzelausstellung bei Barbara Wien: Wie hat sich deine künstlerische Vorgehensweise, als jemand, der mit Fotografie und Zeichnung arbeitet, über die Jahre verändert? Früher zeigtest du vor allem Motive bzw. Archive, Fotografien von anderen oder von Institutionen… Inzwischen sind es fast ausschließlich deine ‚eigenen‘ Werke. Wann ist das umgeschlagen?

Fotografiert habe ich immer schon viel, auch während der Archivjahre. Meine Vorgehensweise war größtenteils analog, digital hat mir die Archivarbeit meist keinen Spaß gemacht, ging mir zu schnell, vielleicht war auch das meiste zu einfach und schnell verfügbar und dahinter kann man einen Rest vermuten, der nicht digitalisiert wurde. Im digitalen Archiv wird weniger verkehrt einsortiert, es fällt nichts hinter das Regal, immer waren gerade eben schon viele vorher dort, alles keimfrei, und vor allem hatte ich keine Lust, aktiv daran mitzuarbeiten, ‚der mit den Archiven‘ zu bleiben. Es gab keine Entscheidung, kein Umschlagen auf einen anderen Weg, sondern ich merke jetzt, dass ich glücklicher damit bin und es herausfordernder ist, nicht genau zu wissen, was ich tue, sondern erst später, was ich getan habe.

Im Foyer der Galerie sehen wir Zeichnungen. Darauf hast du, wie Fragmente über mehrere Blätter verteilt und in ein Raster gesetzt, die Wörter „DAX“ und „Klumpenrisiko“ geschrieben bzw. diese mit in Grautönen gefüllten Kästchen angedeutet. Welchen Zusammenhang gibt es zu den Fotos? Geht es hier auch um das Andeuten einer Stimmung/Stimmungslage, die ja vielleicht, im übertragenen Sinn, auch im Titel Bürgerliche dämmerung mitschwingt? Bank und Börse, Investition und Spekulation – und damit verbundene Gefahren des Verlusts, der gesellschaftlichen Spaltung…

Ja, wahrscheinlich alles richtig. Diese Börsenbegriffe sind für alle präsenter geworden, in der Kunden- und Anlegergesellschaft, Tendenz steigend, und diesen digitalen Schriftzug aufgerastert in kleine Kästchen grau auszuaquarellieren bedeutete, eine Strecke zu Fuß zu gehen, die gute, alte ‚Was ist das?‘-Frage zu stellen.

Im Foyer sieht man auch einen „Muybridge Adler“ – auf einem Foto unterhalb der Zeichnung mit dem halben A und dem X von DAX. Ist das eine von dir abfotografierte Fotografie? Und ein Raster sehen wir hier auch, im Hintergrund. Eadweard Muybridge hat in seinem Studio für seine sequenzierten Bewegungsstudien zur Messung und Analyse von Bewegung auch Hintergrundwände mit einer klar erkennbaren Gitterstruktur verwendet. Etwas ‚Mathematisches‘, ‚Wissenschaftliches‘ kombiniert mit Kunst also auch hier… Welchen Zusammenhang machst du hier auf?

Bei einem etwas unscharfen Schwarzweißfoto vor Kästchen (wieder graue Kästchen, Raster, s. o.) denken viele gleich an Muybridge, ist es ja auch. Das Motiv stammt aus einer seiner Bildreihen, die einen auffliegenden Adler zeigt. Ich nutze eben das eine Foto, auf dem der Adler aussieht wie ein weggeworfener, kaputter Regenschirm. Der Adler ist der Dämmerungshelfer für die Börsenbegriffe.

Seit Kurzem lebst du als Stipendiat in Rom, in der Villa Massimo. Was machst du dort? Wie erlebst du die Stadt Rom als ein Künstler, der sonst in Hamburg lebt und in Düsseldorf lehrt?

Ich lese viel, ich werde, wenn ich nach Berlin komme, in circa sechzehn Etappen Rom umwandert haben und froh über die Erfahrung sein und dann mit den Fotos arbeiten, die ich gemacht habe und auch zeichnen. Und sonst genieße ich das Klima, die Helligkeit, die alle Gegenstände wie freigestellt scheinen lässt, und vor allem die Gespräche mit den anderen, die den Rompreis erhalten haben und deshalb hier sind, frage mich, ob ich verdient habe, dort zu sein und bejahe das einfach mal vorläufig.

Hat die Wahl des Ausstellungstitels auch etwas mit Stimmungen zu tun, die du seit deiner Ankunft in Rom erlebst?

Nein, die Bilder habe ich fast alle in Deutschland gemacht; der Titel kommentiert weder Rom noch Berlin, sondern spricht zu den Bildern.

(Die fragen stellte Barbara Buchmaier)