In Self-portrait, Shimabukus dritter Einzelausstellung in der Galerie Barbara Wien, sind Werke des Künstlers aus den Jahren 1991 bis 2023 zu sehen. Shimabukus Arbeiten entstehen meist durch die Interaktion mit anderen Kulturen und Wesen – menschlichen und nichtmenschlichen. Dabei zeichnet sich sein Ansatz oft durch einfache, offene Konzepte aus, die auf elementaren Fragen zu täglichen Gewohnheiten und Routinen basieren. Die meisten seiner Werke werden von kurzen, prägnanten Texten begleitet. Diese werden neben seinen Fotografien, Videos, Skulpturen oder Installationen gezeigt. Shimabuku tritt in seinen Werken häufig als eine Art Performer oder Vermittler in Erscheinung – als stünde er auf einer Bühne. Dabei ist er während des gesamten Schaffensprozesses voll und ganz präsent und bringt seine Gedanken zum Ausdruck. Auf diese Weise inspiriert er andere dazu, sich selbst zu entdecken und Netzwerke mit anderen aufzubauen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass er bis heute mit Künstlern und Theoretikern wie Philippe Parreno, Rirkrit Tiravanija und Nicolas Bourriaud im Dialog steht, die er 1999 während seiner ersten Einzelausstellung in Europa bei Air de Paris kennengelernt hat. 1998 hatte Bourriaud seinen Essayband Esthétique relationnelle veröffentlicht, in dem er eine Theorie zu den damals aktuellen partizipativen Kunstformen entwickelte.1

Noch während seiner Zeit als Student unternahm Shimabuku, der sein Studium am Osaka College of Art 1990 und am San Francisco Art Institute 1992 abschloss, eine Reise, betitelt Tour of Europe with One eyebrow shaved (1991). Diese Bezeichnung lässt zunächst an eine Bildungsreise denken, doch Shimabuku beschreibt seine ‚Tour‘ wie folgt: „One day, I shaved one of my eyebrows on the London underground. Then I traveled through 11 countries in Europe. Because I had only one eyebrow, people looked at me in shock, but I also made a lot of friends.” In der Galerie zeigen wir dieses ikonische Werk von Shimabuku, das aus einem Schwarz-Weiß-Foto und einem Text besteht. Auf dem Foto sehen wir direkt in das Gesicht des jungen Künstlers, während er sich die linke Augenbraue rasiert.

Im selben Raum der Galerie dokumentiert die Farbfotografie Cucumber journey (2000) eine weitere Reise Shimabukus, die einem vorab geplanten Konzept mit offenem Ende folgt. Diesmal führte sie den Künstler von London nach Birmingham. Shimabuku entschied sich, die Distanz mit einem Boot auf einem im 18. Jahrhundert erbauten Kanal zu überwinden. Während der zwei Wochen, die die Reise dauerte, legte er frisches Gemüse und Gurken ein, die er vorher in London gekauft hatte. „When I conceived of this project I didn’t know how to make pickles, but by the end of my trip I had learned something about it and my pickled tomatoes were quite good. While traveling from London to Birmingham, I gathered recipes for pickles from people I met […].” Eine Frage, die unterwegs immer wieder diskutiert wurde, war: „Why is making pickles while traveling on a boat art?” Das Foto zeigt den Künstler, wie er auf einem Boot sitzt und in Richtung der Menschen am Flussufer schaut.

Die skulpturale Arbeit Born as a box (2001/2025), aus der die Stimme des Künstlers tönt, bezieht sich auf Shimabukus Zeit als Arbeiter bei einer Reederei in Nagoya. „Jeden Tag hatte ich mit Hunderten von Kartons in vielen verschiedenen Größen zu tun, und irgendwann begann ich zu hören, dass diese zu mir sprachen.“2

In der digitalen Diaschau Sculpture for octopuses: exploring for their favorite colors – aquarium in Kobe (2019) findet man, wie auch in Born as a box, kein visuelles Porträt von Shimabuku. Man wird jedoch Zeuge des persönlichen Interesses des Künstlers an spielerischen und experimentellen Begegnungen mit Tieren. So zeigen die zweiundzwanzig Unterwasserszenen Oktopoden, die mit bunten Glasobjekten und Vasen interagieren, die Shimabuku vorher für sie ausgelegt hat. Die Bilder dokumentieren, wie sich die Tiere den Glasobjekten nähern und wie sie darauf reagieren. Shimabuku beschäftigt sich schon seit seiner Studienzeit mit Oktopoden und setzt sich kontinuierlich mit diesen hochintelligenten, fremdartigen Kreaturen und ihrem Verhalten auseinander. So reiste er beispielsweise im Jahr 2000 mit einem von ihnen, der in einem temperaturgeregelten Wassertank untergebracht war, von Akashi an der Südküste Japans nach Tokio und zurück. In Tokio zeigte er dem Oktopus den Tokyo Tower und den Tsukiji-Fischmarkt, wo einige seiner Artgenossen zum Verkauf angeboten wurden. Diese Tour ist in dem Video octopuses are smart – maybe he told his experience to his octopus friends in the sea (after returning) aus dem Jahr 2000 festgehalten.

In dem partizipativ angelegten Werk Passing through the Rubber band (2000), das im Foyer der Galerie installiert ist, fordert Shimabuku das Publikum zur Erkundung der eigenen körperlichen Dimensionen auf. „Feel free to take a new rubber band out of the box and pass your body through it“, lautet die Anleitung auf dem Wandtext.

Die Installation Cuban samba remix (by Nomura Makoto) aus dem Jahr 2023 lädt dazu ein, verschiedene sphärische Klänge zu erleben. Shimabuku entwickelte seine erste Soundarbeit mit fallenden Wassertropfen im Jahr 2015 während der Teilnahme an der Biennale von Havanna in einer ehemaligen Fahrradfabrik. Das Dach war morsch und Wasser tropfte aus einem kaputten Rohr in die Mitte des Raumes. Shimabuku stellte leere Blechdosen unter die fallenden Tropfen – und so entstand eine Zufallsmusik. Die Rhythmen inspirierten ihn, seinen Musikerfreund Nomura Makoto einzuladen, zum Klang der Wassertropfen Klavier zu spielen.

(Text von Barbara Buchmaier)

Notizen

1 Nicolas Bourriauds Buch Esthétique relationnelle wurde erstmals 1998 in Frankreich veröffentlicht. Im Jahr 2002 wurde es ins Englische übersetzt und erschien unter dem Titel Relational Aesthetics.
2 Zitiert nach „Me, we – Ein liebeslied. Shimabuku im gespräch mit Haegue Yang“, veröffentlicht im Booklet zu Shimabukus Einzelausstellung Me, we im MUSEION in Bozen, Italien 2023, S. 70.