Contemporary Fine Arts freut sich, in Kooperation mit Max Werner die Ausstellung Sons des New Yorker Künstlers Archie Rand (g. 1949, Brooklyn, NY) zu präsentieren.

Archie Rand malt heute keine einzelnen Bilder mehr – jedenfalls so gut wie nie – sondern widmet sich in sich geschlossenen Gemäldegruppen. Diese Gruppen jedoch sind keine erzählerischen Folgen, wie wir sie aus der klassischen europäischen Kunst kennen – etwa aus Giottos Darstellungen des Lebens Christi in der Cappella degli Scrovegni in Padua. Ebenso wenig handelt es sich um Serien, in denen ein einziges Motiv beharrlich variiert wird, wie in Claude Monets Heuhaufen. Und auch kein Themenzyklus, der ein bestimmtes Sujet aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet, wie etwa Gerhard Richters 18. Oktober 1977.

Rands Werkgruppen beziehen sich oft auf einen Text – entweder auf die Arbeit eines modernen oder zeitgenössischen Dichters oder auf die jüdische Schrift- und Kommentarliteratur. Das bisher wohl bedeutendste Beispiel ist The 613 aus dem Jahr 2006: 613 Leinwände, entsprechend den 613 Mitzwot oder Geboten der hebräischen Bibel. Doch diese Texte werden nicht bloß illustriert. Das Wechselspiel zwischen Wort und Bild ist unberechenbar – es ist wild, manchmal grotesk und erinnert oft an frühe Comics oder expressive Taschenbuchcover – sogar in noch grelleren Farben. Allerdings beruht es auf Rands jahrzehntelanger Beschäftigung mit Talmudischer Gelehrsamkeit, die ihm erlaubt, assoziative Sprünge zu vollziehen, die den Meisten von uns verborgen bleiben. Rand sagte mir einmal: „Bild und Text müssen so fein austariert sein, dass man unablässig zwischen ihnen hin- und herspringt – bis alles zu einem Lied wird.“ 1

Rands Serie der zwölf Söhne hat einen anderen Ursprung – keinen textlichen, sondern einen kunsthistorischen. 2018 zeigte die Frick Collection in New York eine Folge von Gemälden aus der Mitte des 17. Jahrhunderts von Francisco de Zurbarán: Jakob und seine zwölf Söhne. Diese lebensgroßen, porträthaften Darstellungen lösen ihre Figuren aus der biblischen Erzählung, zeigen sie jedoch jeweils mit Attributen, die auf ihr Leben und Schicksal als Stammväter Israels verweisen. Ursprünglich wohl für Südamerika bestimmt, tauchten die Bilder im 18. Jahrhundert in England auf, wo ihr erster bekannter Besitzer ein portugiesisch-jüdischer Kaufmann war.

Angeregt durch Zurbarán beschloss Rand, seinen eigenen Zyklus über die zwölf Söhne zu malen – ohne Jakob, den Vater. Doch wie schon in anderen Serien wollte er sich nicht streng an die Vorlage halten und zeigte sich auch hier als ‚unfolgsamer Sohn‘ des Meisters aus Sevilla.2 Anstatt – wie Zurbarán – die Söhne selbst zu malen, entschied er sich, ihre Träume darzustellen. Zwar haben die meisten der zwölf Bilder einen männlichen Protagonisten – aber ist dieser langhaarige Urmensch, der mit einem Dinosaurier ringt, wirklich Benjamin, der jüngste Bruder? Und sollen wir Zebulon mit jenem mittelalterlichen Krieger identifizieren, der in entgegengesetzte Richtung rennt, während eine Burgmauer erstürmt wird? Sicher nicht. Und dann gibt es Gemälde, in denen gar keine offensichtliche Verkörperung eines Sohnes vorkommt – am deutlichsten bei Issachar, dessen Bild zwei Cowgirls zeigt, die auf Pferden in entgegengesetzte Richtungen reiten.

Es braucht keine große Vorstellungskraft, um zu erkennen, dass diese zwölf Söhne zugleich Aspekte eines einzigen Sohnes sind: jenes von Ruth und Sidney Rand 1949 in Brooklyn, New York, geborenen Kindes. Diese von Soldaten, Rittern und Cowboys bevölkerten Gemälde – und mitunter auch von zechenden Großstädtern, die einem Mad Magazine-Cartoon entstiegen sein könnten – öffnen den Blick in die phantasiehafte Bilderwelt eines Kindes der amerikanischen Nachkriegskultur. Ein Kind, das aufwuchs mit den Little Golden Books, vor allem jenen, die Tibor Gergely illustrierte, und mit den EC-Comics (Tales from the crypt, Weird fantasy, Two-fisted tales). Hefte, die der junge Künstler heimlich las, denn im Hause Rand waren Comics verboten. Und das zu einer Zeit, in der Druckerzeugnisse noch das wichtigste Medium zur Verbreitung von Bildern waren – Bilder, deren Originale größtenteils von Hand gezeichnet oder gemalt wurden. Die Gemälde, die Rand aus diesen tief verinnerlichten Quellen heraufbeschwört, sind zutiefst autobiografisch – ohne jedes Selbstporträt, ohne Tagebuchton. Sie greifen einfach nach dem, was Jahrzehnte später im übervollen Gedächtnis eines visuell unersättlichen Kindes noch nachhallt. Rand betont, dass seine Arbeit frei von Nostalgie und auch frei von Ironie sei. Was die Nostalgie betrifft, gestehe ich ihm das gerne zu. Er lädt uns nicht dazu ein, mit ihm über die hübschen und komischen Dinge seiner Kindheit zu schmunzeln. Er blickt nicht herablassend auf sein früheres Ich. In diesen Bildern steckt, was er noch immer empfindet: Schrecken, Begehren, Sehnsucht, Verzweiflung. Sie beschwören eine Welt voller dunkler Ängste. Es gibt einen Grund, warum Rand Jakob – den Vater all dieser Söhne, die wiederum Stammväter ganzer Völker wurden – aus seinem Zyklus ausgeschlossen hat: Diese Söhne erscheinen schutzlos, verletzlich. Der väterliche Schutz wurde ihnen entzogen, wie bei einem Kind, das vom Vater ins Wasser geworfen wird, damit es lernt, zu schwimmen: „Wenn wir den väterlichen Arm verlassen haben und wie ein Stein aus der Schleuder ins Unbekannte geworfen werden, kann der erste Eindruck nur bittere Feindseligkeit sein.“ 3 Dieses Zitat stammt von Gaston Bachelard, der meinte, die tiefsten Bilder des Unbewussten entstammten der Natur – Bilder von Wasser, Feuer und so weiter. Doch das Meer, in das ein modernes Kind geworfen wird, ist der Ozean der Bilder.

Was die Ironie betrifft, vermute ich allerdings, dass Rand und ich sie unterschiedlich verstehen – und warum auch nicht? Es gibt viele Arten von Ironie. Was Rand ablehnt, ist jene Ironie, die – wie die Nostalgie – der persönlichen Distanzierung dient. Einverstanden. Doch Ironie kann auch mehr sein. Für mich ist Rands Kunst das, was Friedrich von Schlegel über jene „alten und modernen Gedichte“ schrieb, die „vom göttlichen Hauch der Ironie durchweht und von einer wahrhaft transzendentalen Possenhaftigkeit beseelt“ 4 seien. Diese transzendentale Possenhaftigkeit ist gewissermaßen das Wesen von Archie Rands Kunst. Ironie bedeutet hier die gelassene Gleichzeitigkeit mehrerer, scheinbar unvereinbarer Perspektiven, die gemeinsam ein Ganzes bilden. In Naftali spielt im Hintergrund jemand Blindekuh, während im Vordergrund ein Reiter sein Pferd antreibt, das sich umdrehen will – fort von fünf fernen Gestalten, die aussehen, als seien sie zufällig einem späten Degas-Aquarell entstiegen. Wie hängt all dies zusammen? Im Kopf eines Kindes, oder im Auge Gottes, ist es ein und dasselbe. Nur für uns anderen nicht. Und unser Bewusstsein darüber, dass wir dies – diesen Zusammenhang – nicht erkennen, ist es, was ich Ironie nenne. Wie Rands Freund John Ashbery es gesagt haben könnte: Es ist der Name jenes Liedes, das wir am besten kennen. 5

(It all becomes a song. Ein text von Barry Schwabsky)

Notizen

1 Archie Rand with Barry Schwabsky, The Brooklyn rail (Februar 2016).
2 Ebd.
3 Gaston Bachelard, Water and dreams: an essay on the imagination of matter, übersetzt von Edith R. Farrell (Dallas: The Pegasus Foundation, 1983), S. 166.
4 Friedrich Schlegel, Lucinde and the fragments, übersetzt von Peter Firchow (Minneapolis: University of Minnesota Press, 1971), S. 148.
5 John Ashbery, The songs we know best, a wave: poems (New York: Viking Press, 1984), S. 3-5.