Die Galerie Eva Presenhuber freut sich, die zehnte Einzelausstellung des US-amerikanischen Künstlers Sam Falls zu präsentieren.

Dem jungen Sam Falls konnte es nicht rasch genug gehen, aus der 3.000 Seelenstadt in Vermont, wo er mit seiner Mutter auf einer Farm aufgewachsen war, weg- und in New York anzukommen. Es scheint, als hätte er sich in der Prä-Internetzeit nach dem intellektuellen Treiben der Metropole gesehnt, die Enge der Kleinstadt nicht ertragen und als wäre die Natur nicht im Entferntesten das Revier seiner künstlerischen Recherche gewesen. Umso verblüffender scheint es zunächst, dass es ihn nach Jahren in den Universitäten und Bibliotheken der urbanen Landschaft immer wieder hinauszieht und er sich draussen unter freiem Himmel wohler fühlt als drinnen in einem geschlossenen Atelier. Am liebsten campiert er wild, wo er nicht den Eindruck hat, zu Hause zu arbeiten. Diese vertraute Nähe zur Natur hängt mit seinen Erfahrungen als Einzelkind im Wald und in der Wüste zusammen. Wohl deshalb unterhält er keine traditionellen Studioräumlichkeiten und nutzt die Natur, Nationalparks ebenso wie ländliche Siedlungen, als temporäres Atelier, wo sich seine Kreativität in engem Kontakt mit den natürlichen Elementen entfalten kann, die seine Kunst prägen.

Im Gegensatz zu seinen Kolleg:innen in New York, die 2010 wie zu wenig Geld hatten, um sich mehr als ein kleines Atelier in den Aussenbezirken Manhattans leisten konnten. Er ist der Meinung, dass sie alle Kunst machten, um zu überleben – sie überlebten nicht, um Kunst zu machen. Dieses Opfer führte dazu, dass viele von ihnen eine ähnliche Art von Werken schufen, nämlich das, was man damals petit abstraction nannte. Das habe sich, so Falls im Gespräch, „elitär, entfremdend und isoliert“ angefühlt und habe höchstens mit Prüfungsfragen korrespondiert, nicht aber mit dem Streben nach Schönheit oder dem Versuch, Adorno oder Derrida künstlerisch zu interpretieren.

Sein Problem war, dass er aus einem Atelier keine originelle Inspiration schöpfen konnte, weil er damit kein wahres Gefühl verknüpfte. Da er immer noch an eine avantgardistische und fortschrittliche Kunst glaubte, beschloss er, das Atelier hinter sich zu lassen und in der Natur zu arbeiten. Dazu passt sein Plädoyer für eine Dezentralisierung der Kunst und dafür, dass Künstler:innen mehr ausserhalb des urbanen Raums Werke schaffen sollen. Seine Herkunft vom Lande kann dazu verleiten, den Ur-Anstoss zu seinen Werken mit dem Biographischen zu assoziieren und sein ständiges Unterwegssein als eine verschobene Suche nach der verlorenen Zeit zu betrachten. Nur kehrt er nicht nur nach Vermont zurück. Vielmehr erweitert er wie ein Nomade der Melancholie den geographischen Radius über das vertraute Terrain seiner Kindheit hinaus um Räume, die sich über die Weite des amerikanischen Kontinents erstrecken.

Schon immer hatte er eine starke Passion für Räume. Das zeigt sich daran, dass er bereits an der Highschool den Wunsch hegte, Landschaftsfotograf zu werden, die Arbeiten von Anselm Adams, Elliot Porter oder Edward Weston wertschätzte, aber nicht wiederholen wollte, was sie bereits vollbracht hatten. Deshalb war er auf der Suche nach anderen Wegen, sich den Räumen ohne dazwischengeschalteten Apparat anzunähern und ihre Essenz so herauszufiltern, dass er den Räumen und der Vielfalt der Ökosysteme gerecht wird. Seine Idee war, in seinen Werken die für einen Landstrich typische Flora als Medium und Motiv zur Raumcharakterisierung zu verwenden. Er arbeitet also nicht wie Cézanne parallel zur Natur, sondern mit und in ihr. Oszillierend zwischen Fotografie und Malerei, strebt er keine übliche Repräsentation an, sondern eine „indexikalische Eins-zu-eins-Darstellung ohne Reproduktion“, in der auch die durch Wetter, Hitze und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit bedingte Veränderung des Organischen ihre Spuren hinterlässt. Alles, was er tut, zielt darauf, die von dem Blick durch den Auslöser erzeugte Distanz zur Aussenwelt zu durchbrechen und Realien wie Flora zu engagieren und das Atmosphärische einzufangen.

Deshalb legte Falls die Kamera und alle damit verbundenen Medien, sogar die Cyanotypie, beiseite und übernahm Praktiken der frühen Fotografie, indem er Collagen anfertigte und diese dem Licht aussetzte. Im Grunde erklärte er die Natur zum gleichberechtigten Akteur, mit dem er als Mensch einen Dialog mit einem Nicht-Menschen führt. In Los Angeles arbeitete er zunächst nicht mit biologisch abbaubarer Materie, die für die jeweilige Region steht, wie beispielsweise Reifen oder 2x4-Bretter. Erst danach begann er, Pflanzen als Stellvertreter der Natur, also sterbende Materie, zu sammeln. Sie symbolisieren die Angst vor dem Tod. Auf die Frage nach dem Unterschied zwischen Fotografie und seiner aktuellen Annäherung an die Natur weist Falls darauf hin, dass er das Objekt, solange er Fotograf war, wie einen toten Körper auf Papier behandelt hat. Seit er sich von der Kamera verabschiedet hat, verarbeitet er tote Materie hingegen zu Objekten des Gedenkens, zu Zeugnissen der Zeit.

Wie geht er vor? Er legt grosse Leinwände im Freien aus und darauf organisches Material. Die Flora variiert je nach Ort und Jahreszeit. Für diese Ausstellung, die zum Teil in Upstate New York entstanden ist, hat er einheimische Wildblumen, invasive Unkräuter und historische Gräser aus der Landwirtschaft verwendet. In Los Angeles ist es Seegras aus dem Pazifischen Ozean. „Die Pflanzen müssen nicht unbedingt einheimisch, sie können auch vor 100 Jahren aus China hiergebracht worden sein und sich hier so ausgedehnt haben, dass sie die Essenz der Gegend verkörpern und mit der Zeit typisch für diese geworden sind,“ so Falls. Nachdem er die Pflanzen auf der Leinwand verteilt hat, wirft er über diese Pigmente in die Luft. Je windiger es ist, um so mehr breiten sie sich aus, und je schwächer der Wind weht, um so flacher landen sie und um so kleiner und dichter sind die Farbflächen.

Da Wetterbedingungen das Erscheinungsbild einer Landschaft verzerren können und diese Bedingungen dort oft untypisch sind, achtet Falls darauf, seine entstehenden Werke nicht an einem ungünstigen Tag diesen Einflüssen auszusetzen. Wie für den Sommer im Norden des Bundesstaates New York typisch, regnete es nicht viel, sodass Falls mit der regelmässigen und übermässigen nächtlichen Feuchtigkeit arbeitet, um diese warme Jahreszeit darzustellen. Im Gegensatz zu Pigmenten, die sich bei Regen ausdehnen und vermischen, dabei heller und stärker verdünnt werden, sodass die Bilder aquarellartig wirken, haben diese Arbeiten mehr Kontur, denn durch den Mangel an Niederschlag bleiben die Pigmente unvermengt und lösen sich nicht vollständig auf. Darüber hinaus hinterlassen sie Schattenbilder oder Silhouetten von Objekten, die über die Leinwand verstreut waren, und zeugen so von deren früherer Anwesenheit. Indem Falls sowohl Los Angeles als auch den Norden des Bundesstaates New York durch ihre Ökosysteme darstellt, schafft er eine Brücke zwischen den 4000 Kilometer entfernten Enden der Vereinigten Staaten und dokumentiert ihre Vielfalt und Vielfalt.

Im Grunde handelt es sich um ein Denkmal der unter dem Einfluss der vergehenden Zeit stehenden Natur und gleichzeitig um ein anderes Verständnis des Menschen, der sich nicht hybrid von allem absetzt und über allem erhebt, sondern um eine Harmonie mit der Natur ringt. Das setzt voraus, dass er die Gegend, die Zusammenhänge und die in der Natur ablaufenden Prozesse erforscht und verinnerlicht hat.

(Text von Heinz-Norbert Jocks)