Die Galerie Karsten Greve Köln freut sich, mit The sea around us eine neue Einzelausstellung von Georgia Russell anzukündigen. Die Ausstellung eröffnet anlässlich der diesjährigen DC Open Galleries und präsentiert eine neue Werkgruppe von Malerei, Arbeiten auf Papier und malerischen Installationen. In stilistischer Kontinuität mit ihrer einzigartigen Technik des Malens mit dem Skalpell setzt sich Georgia Russell in ihren aktuellen Arbeiten mit gesellschaftlichen Themen auseinander. Durch die Kombination der Materialien Organza, Leinwand und Papier entstehen vielschichtige Kompositionen, welche die Vielfalt und chaotische Dynamik unserer Gegenwart widerspiegeln.
Der Titel der Ausstellung greift ein verbreitetes Gefühl unserer Zeit auf – das Empfinden des „Unterwasser Seins“: Die Flut an Ereignissen, die in rasanter Geschwindigkeit aufeinanderfolgen, fordert sowohl den Einzelnen als auch die Gesellschaft als Ganzes heraus. Russell vergleicht diesen Zustand mit der Erfahrung eines Seesturms, in dem oben und unten im Strudel der Wellen auf den Kopf gestellt werden.
The sea around us bezieht sich auf das gleichnamige preisgekrönte Buch der amerikanischen Biologin Rachel Carson, das 1951 erstmals veröffentlicht wurde. Darin beschreibt die Autorin sowohl die Wissenschaft als auch die Wunder des Meeres auf eine Art und Weise, die oft als „poetisch“ bezeichnet wird und Fakten und Fiktion miteinander verbindet. Aus ähnlich poetischer und beobachtender Perspektive betrachtet Georgia Russell, wie der Mensch seine Umwelt, insbesondere das Meer, beeinflusst, sowie Szenarien eines „Endes der Natur“. Inmitten von Unruhe und Unmittelbarkeit werden gleichzeitig und ständig die Schönheit und das Geheimnis der natürlichen Schöpfung heraufbeschworen. Wie Claude Monet, der Ende des 19. Jahrhunderts den Londoner Smog auf Leinwand malte, reflektiert Russell die heutige Umweltverschmutzung und Überproduktion mit ästhetischen Mitteln.
Die künstlerische Praxis von Russell selbst befindet sich in einem kontinuierlichen Fluss, einem wechselwirkenden Kreislauf: Aus den Stoffresten, die beim Entstehen ihrer Gemälde anfallen, schafft sie faszinierende Assemblagen. Ohne den Einsatz von Fixierspray oder Aerosolen, schweben diese Formen scheinbar schwerelos im Raum, in ständiger Bewegung. In ähnlicher Weise fängt Russell überschüssige Farbe mit großen Schwämmen auf und verwandelt das, was zunächst als Nebenprodukt erscheint, in neue, monumentale Arbeiten auf Leinwand und Papier. Indem sie das vermeintlich Überflüssige in ihren künstlerischen Prozess zurückführt, entsteht ein Kreislauf, in dem sich Farbe frei entfalten, vermischen und verbinden darf. Diese bewusste Offenheit - das Zulassen von Fluss, Zufall und Eigendynamik - verleiht Russells Praxis eine ganzheitliche Dimension und spiegelt subtil ihren moralischen Anspruch wider.
Die Werke in The sea around us besitzen eine wässrige Qualität: Die Farben sind diffus und verdünnt, oft in Blautönen gehalten. Sowohl die Farbigkeit als auch die Texturen erinnern an Meerespflanzen und Unterwasserwelt. Ein raumgreifender Paravent bildet den Auftakt zur Ausstellung. Diese installationsähnliche Arbeit schafft ein physisches Erlebnis. Die flexible Form der Schirme und das Schnittmuster rufen Assoziationen an Wasserpflanzen, Fische und das Gefühl hervor, von Wasser umgeben zu sein. Während einige Teile des Paravents sanft und fließend erscheinen, wirken andere rau und spannungsgeladen – ein Hinweis auf die ambivalente Beziehung des Menschen zum Wasser: Es fasziniert als lebensspendendes Element, kann zugleich aber auch Unsicherheit und Unbehagen hervorrufen.
Die Struktur des Paravents geht auf ein Artist-in-Residence-Programm zurück, das Georgia Russell im Frühjahr 2025 bei Chauny in Frankreich in Zusammenarbeit mit dem Fonds Régional d’Art Contemporain Picardie absolvierte. Der geometrisch gefasste Holzrahmen – naturbelassen und stabil – wirkt wie eine starre Begrenzung, der die in sich bewegte Innenwelt umschließt, ohne sie zu bändigen. In dieser Spannung zwischen äußerer Begrenzung und Innenleben entfaltet sich eine fragile (Un-)Ordnung, die sich ausbreitet, verschränkt, widersetzt. Der Paravent trennt nicht nur ab, sondern markiert ein Dazwischen. Das Meer ist nicht nur Motiv, sondern ein Zustand – durchlässig, sich ausdehnend, verbindend. Es zieht Grenzen und überwindet sie zugleich.
Während sie sich durch diese unbekannten Gewässer bewegt, bleibt Georgia Russell dabei in Einklang mit der charakteristischen Spannung ihres Œuvres – dem Dialog zwischen Leichtigkeit und Struktur, zwischen durchlässigen Materialien sowie der Interaktion aus fluiden und starren Formen. Ihre aktuellen Werke sind in einem unmittelbaren, gestischen Prozess entstanden – getragen von einer instinktiven und spontanen Bewegung. Russell lässt ihre Arbeiten aus dem Moment heraus wachsen – roh und zugleich präzise im Ausdruck. Ehemals regelmäßige Schnittmuster weichen teils flächigen Leerstellen, manchmal interagieren Farben heftig miteinander und die verschiedenen Materialien – Organza, Leinwand und Papier – werden auf intuitive Weise miteinander kombiniert. Diese Arbeiten zeigen eine Künstlerin, die sich nicht zurückhält, sondern sich frei durch das Material ausdrückt.
Seit ihren frühen Arbeiten beschäftigt sich Russell mit der Frage: Wie wirkt ein Bild lebendig? Durch hervorstehende und ausgeschnittene Elemente verwandelt sie das Bild in ein Objekt mit dreidimensionalem Charakter. Russells Werke zeichnen sich durch das lebendige, intensive Zusammenspiel von Bewegung, Rhythmus und Farbe aus und gehen durch die sich überlagernden Schichten und entstehenden Schatten eine Verbindung mit ihrer Umgebung ein. The sea around us präsentiert ein vielschichtiges Werkensemble, das kraftvoll und zugleich sensibel wirkt – ein Spiel aus Anspannung und Leichtigkeit, das visuelle und gedankliche Ebenen auf poetische Weise miteinander verbindet.