Julie Enckell Julliard realisierte 2014 die erste institutionelle Retrospektive Pierrette Blochs im Musée Jenisch in Vevey, Schweiz, und verfasste einen Beitrag für die aktuelle Publikation Pierrette Bloch. Différence et répétition (2024).

Die Ausstellung findet zeitgleich zu der aktuellen Retrospektive Pierrette Bloch - La peinture par d'autres moyens im Musée d'art moderne et contemporain in Saint Étienne, Frankreich, statt, die noch bis zum 21. September 2025 zu sehen ist.

Die Galerie Karsten Greve freut sich, der Künstlerin Pierrette Bloch die erste Einzelausstellung seit mehr als zehn Jahren in ihrer Kölner Galererie zu widmen. Essence zeigt 40 Werke aus den Jahren 1973-2015 und veranschaulicht Blochs künstlerische Entwicklung sowie die Vielseitigkeit und Lebendigkeit ihrer Bildsprache. Bloch fing den Zeitgeist ihrer Epoche perfekt ein und wandte sich einer radikalen Vereinfachung des malerischen Prozesses und der künstlerischen Materialien zu. Unterschätzt über weite Teile ihrer Karriere, vertritt die Galerie Pierrette Bloch seit 2011 und realisierte in diesem Rahmen zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen sowie wichtige institutionelle Projekte und monografische Publikationen. Essence umspannt fünfzig Jahre ihres künstlerischen Schaffens und würdigt so das Werk Blochs, welche heute als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der französischen Nachkriegskunst gilt.

Den Fokus der Ausstellung bilden Blochs Arbeiten auf Papier. Die Wiederholungen von Punkt und Linie, Leere und Fülle besitzen eine Fülle von Nuancen und Variationen. Ohne titel (ca. 1973, PB/P 377) ist eine der frühesten gezeigten Arbeiten. Die unregelmäßig angeordneten Zeichen in schwarzer Tinte erinnern an japanische Kalligraphie. Einige Tintenkleckse im oberen Teil des Blattes verleihen dem Werk eine studienartige Qualität, vielleicht von einem Kind, das die kalligrafischen Werkzeuge noch erkundet. Blochs Mutter wuchs in Japan auf, was Blochs Vorliebe für Zeichnung, Tusche und Papier schon in jungen Jahren inspirierte.

In Ohne titel (1977, PB/P 21) werden die einzelnen Zeichen zu fließenden Linien, die den Eindruck von Schrift hervorheben. Die Zeichnung erinnert an die Kritzeleien von Cy Twombly, dessen Werk Bloch während ihrer USA-Reisen in den 1950er und 60er Jahren begegnete. 1951, im Alter von 23 Jahren, stellte Bloch ihre Werke erstmals in Galerien in Paris und New York aus und lernte dabei wich-tige künstlerische Strömungen der Zeit kennen, die ihr späteres Schaffen beeinflussen sollten.

Trotz ihrer frühen Ausstellungen blieb Blochs Pionierstellung jahrzehntelang weitgehend unbemerkt, wie das Fehlen ihrer Werke in der Ausstellung 33 European Painters im Guggenheim Museum, New York, im Jahr 1953 belegt. Obwohl es Bloch nie genügte, sich ausschließlich als weiblche Künstlerin zu sehen, wurde sie in einem von Männern dominierten Kunstsystem zeitlebens an den Rand gedrängt und verbrachte weite Teile ihres Lebens in Einsamkeit.

Trotz ihrer internationalen Kontakte zu anderen Künst-lern und vor allem ihrer tiefen Freundschaft mit Pierre Soulages, den sie 1949 kennenlernte, blieb sie an der Peripherie der Kunstwelt. „Man muss immer weitermachen" - ein Satz, der sie weitertrug in ihrem Streben zur Kunst, ohne sich mit ihrem Schicksal abzufinden.

Die Linien in Ohne titel (1977, PB/P 21) vermitteln zeitgleich Freiheit, Dynamik und Regelmäßigkeit. Sie tragen und übertragen ihren eigenen Rhythmus und lassen das Werk wie die visuelle Wiedergabe einer Melodie oder eines Musikstücks erscheinen.

Der Eindruck einer Partitur wird in Ohne titel (1980, PB/P 365) noch verstärkt, wo das Querformat einem Notenblatt ähnelt, während die Markierungen eine Bewegung vom Andante zum Staccato evozieren.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Bloch, abgesehen von ihren Mailles und einigen wenigen Ausnahmen, ihren Werken keine Titel gab. Die Punkte, Linien, Flecken und Markierungen sollten nicht repräsentieren; sie waren. In einem späten In-terview im Jahr 2016 erklärte Bloch: "Ich möchte mehr sein als festhalten. Ja, ich glaube, das ist es."

Ohne titel (1980), wie auch andere Arbeiten, weisen darüber hinaus einen vagen Bezug zur frühen Computerkunst und den visuellen Experimenten von Künstlern wie Vera Molnár auf.

Die Gegenüberstellung von Schwarz und Weiß, von Punkt und Fläche wiederholen das Binärsystem 0/1. Blochs Zeich-nungen tragen jedoch die explizite Geste der Künstlerin und verleihen der strengen Dichotomie eine buchstäblich menschliche Note.

Die späten 1970er Jahre markieren eine Zäsur in Blochs künstlerischer Praxis im Sinne einer Auswei-tung: Sie beginnt, Geflechte aus Schnur, Hanf und insbesondere Pferdehaar zu schaffen.

Maille (1980, PB/S 12) steht in der Ausstellung exemplarisch für dieses neue künstlerische Medium und den radikalen Ansatz. Das extrem feine, zerbrechliche und doch zähe Material vermittelt zugleich Präzision und Willkür, da die Haare aus Mähne oder Schweif stets leicht ausfransen. Für Bloch verkörperte und manifes-tierte das Material Kontinuität und Zeit.

Dieses spezifische Interesse an der Zeit wird in Ohne titel (1994, PB/M 16) deutlich. Große Punkte sind auf einen einzelnen, an der Wand befestigten Papierstreifen gemalt. Das Werk entfaltet sich buchstäblich in der Zeit und im Raum und wird so zu einer sowohl physischen als auch konzeptionellen Manifestation.

Blochs Experimentierfreude, sowohl in Bezug auf das Medium als auch auf den Raum, zeigt sich auch in Ohne titel (2008, PB/P 399). Die Collage aus verschiedenen Papierarten mit vertikalen Linien in Tinte wirkt subtil, fast zerbrechlich. Durch die unterschiedliche Dichte der Tinte spielt das Werk erneut auf Kalligraphie und Schrift an, während die dünnen und vertikalen Linien an die feinen Fäden ihrer Mailles erinnern. Bloch arbeitete mit einer Vielzahl von Papieren, wobei die Färbung, Schattierung und Maserung, einen integralen Bestandteil der Werke bildete.

In der Ausstellung veranschaulichen Arbeiten auf Canson-, Arches-, Kraft-, Vinci- und Transparentpapier den Reichtum des vermeintlichen Basisme-diums. Mitunter zog Bloch das Papier auf Isorel, Bristol oder Holz auf, wodurch eine interessante Ambiguität zwischen Fixierung und Flüchtigkeit, Zerbrechlichkeit und Kraft entstand. Blochs extreme Reduktion war sowohl ein künstlerischer als auch ein Lebensansatz: Fotografien ihres Ateliers zeigen einen weißen, fast leeren Raum, welcher Konzentration und Überlegung sowie eine gewisse Reinheit der Gedanken vermittelt.

Bloch beschrieb ihre eigene Arbeit und Praxis als eine „Entdeckung“ oder „Begegnung“, die sich aus dem vollständigen Verweilen in der Gegenwart ergibt. Die reduzierte Ästhetik strotzt dabei vor Leben und Vitalität: Mal sind die Linien und Zeichen hektisch und aufgeregt, dann wieder nachdenklich und gewissenhaft. In dem reduzierten Repertoire an Materialien und Formen finden wir Gezeiten und Zeitlichkeiten, Schwärme und Schrift, Verwirrung und Klarheit, Aussage und Frage. Blochs Arbeiten tragen alles, was ist und vielleicht, was wir heute brauchen: Essenz.