Ein bruch ist eine öffnung.

Herbert Warmuths Arbeiten befragen die grundlegenden Bedingungen von Malerei.

Seine Werke untersuchen das Verhältnis von Farbe, Träger, Material und Umgebung. Er legt ihre Verhältnisse zueinander offen. Das reine Abbild wird zu Bildlichkeit. Denn was bei Warmuth als Bild erscheint, ist ein kontingenter Zustand, eine Situation, die sich manifestiert. Es zeigt die Spannung zwischen sichtbarer Ordnung und stattgefundener Bewegung. Die Farbe selbst wird zu einem körperlichen Element. Sie schiebt, formt, verformt und hebt an.

Seine Bilder aus Acrylfarbe hinter und durch Plexiglas sind ruhige, meist in zarten Tönen gehaltene Bildtafeln. Spiegelnd wirken sie gar versiegelt, nehmen reflektierend den umgebenden Raum und die Betrachtenden in sich auf.

Durch Verletzung entsteht der Bruch, der sich durch die Oberfläche zieht. Durch einen Spalt drängt die Farbe durch die Oberfläche. Sie bricht hervor. Der Bruch wirkt dabei nicht wie ein Malheur, sondern eher wie eine angenehme Störung, die Ideale desillusioniert. Ein Moment der Offenlegung.

„Es entsteht eine Malerei, die sich eine Wunde schlägt, die nur sie selbst heilen kann.“

Doch sie bleibt nicht auf diesen Moment des Ausbruchs beschränkt: Auch hinter der Scheibe zeigt sie sich. Zart und gleichzeitig bestimmt schimmert sie durch das Glas, aus der Tiefe der Malerei. In manchen Arbeiten sitzt die Farbe gezielt am Rand, schimmert von den Kanten aus ins Bild hinein. Sie erscheint wie ein Impuls aus der Peripherie, der sich leise, aber wirksam entfaltet.

Der Bruch verwandelt das Flache in etwas Offenes. Durch die Farbe, die organisch aus ihm hinauswächst, quillen Körper hervor, und Vektoren, die die Richtungen der Malerei in den Raum bestimmen.

Warmuth schafft Bilder und Farben als Räume. Lässt die Farbe sich ausbreiten, von einem Objekt, aus einem Objekt, hinein ins Gesamtbild, das sich im Raum ergibt.

Raum und Bild bedingen sich, halten sich, kennen sich, fragen sich.

Das Bild fragt den Raum, wie weit es in ihm gehen kann.

Der Raum fragt das Bild, wie viel es von ihm nimmt, und wie viel es in ihn gibt.

Ein Bruch bedeutet, dass etwas, was dahinter oder darunter war, nach vorne tritt. Er spielt mit dem Raum dahinter, davor, auch danach.

Er stellt Fragen an ihn und seine Verbindung zur Zeit – und an die mit ihnen einhergehende Veränderung. Ein Bruch zeigt nicht nur, dass etwas darunterliegt, sondern dass etwas aufspringen musste, damit es sichtbar wird. Er zeigt, was verborgen war: etwas, das in den Vordergrund tritt, sobald es die Möglichkeit dazu bekommt; etwas, das gewartet hat; etwas, für das das Brechen der Oberfläche notwendig war.

Das Glas spiegelt, während die Farbe hervortritt – nicht nur als Gegenspieler, sondern auch als ergänzender Zuspieler.

Warmuths Malerei löst sich von materiellen Hierarchien.

Davor und Dahinter, das Tragende und das Sichtbare stehen gleichberechtigt nebeneinander. Das Glas hält die Farbe zurück, bindet sie an ihren Ursprung, doch gleichzeitig hält es sie fest, rahmt sie, ehrt sie. So wie die Farbe die Bedeckung durch das Glas respektiert.

Das Bild ist ein spiegelndes Rechteck.

Wenn der Bruch in der Scheibe stärker wird, wachsen Verästelungen, Adern aus dem Bruch und ergeben neue Wege, durch die Farbe fließen kann.

Denn Brüche sind Erweiterung einer Welt. Brüche entstehen nicht von selbst, aber sie formen sich selbstständig.

Sie sind manifeste Zeugen einer Erschütterung, eines Bebens, einer Eruption – Auslöser einer Konfrontation von drunter und drüber.

Ein Sprung lässt nachdenken, über Ursprung, wo er herkam, was ihn ausgelöst hat.
Was war der entscheidende Hieb, die ursprüngliche Energie, die den Bruch formte?

Ein Bruch ist trennend und öffnend.
Ein Zeichen dafür, dass etwas zerbrach.
Oder dass sich etwas erweiterte.
Beides.
Er verwandelt Zerstörung in Ausdehnung und Wachstum.

In Herbert Warmuths Malerei ist nicht mehr klar, was Raum ist und was Bild, was noch begrenzt und was schon offen ist. Die Wahrnehmung richtet sich nicht mehr nur auf die Fläche, sondern wird Teil eines Prozesses.

Einer Verlagerung von innen nach außen. Von Kontrolle zu Kontingenz.

Was sichtbar wird, ist das, was aus sich selbst heraus entsteht.

Vorne und hinten, Glas und Farbe – sie bedingen und ergänzen sich.

Sie sind verschieden und doch verbunden, ergeben sich einander in Form und Gestalt.

Fläche und Farbe tragen sich, helfen sich, vermählen sich. Sie sind hoch und tief, davor und dahinter, miteinander, hinter und durch.

(Text von Elisa Mosch)