Die Neue Nationalgalerie zeigt die erste Retrospektive der brasilianischen Künstlerin Lygia Clark (1920-1988) in Deutschland. Die umfassende Schau in der oberen Ausstellungshalle präsentiert mit rund 120 Kunstwerken ihr gesamtes künstlerisches Schaffen von den späten 1940er- bis 1980er-Jahren, von geometrisch-abstrakten Gemälden über partizipativ angelegte Skulpturen bis hin zu performativen Werken. Ein zentraler Aspekt der Ausstellung liegt auf dem interaktiven Ansatz in Clarks Werk. So können die Besuchenden mit einer Vielzahl von eigens für die Schau angefertigten Repliken interagieren.

Lygia Clark gilt als radikale Erneuerin des Kunstbegriffs, denn sie definierte die Beziehung zwischen Künstler-in und Betrachter-in sowie von Werk und Raum grundlegend neu. Als eine Hauptvertreterin der 1959 in Rio de Janeiro initiierten Bewegung des Neoconcretismo (dt. Neokonkretismus) verstand Clark das Kunstwerk als organisches Phänomen. Sie forderte eine subjektive, körperbezogene und sinnliche Kunsterfahrung und machte die aktive Beteiligung der Betrachtenden zum elementaren Bestandteil ihrer Kunst. Die Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie macht diesen partizipativen Ansatz in Clarks Werk für die Besuchenden durch die Interaktion mit Ausstellungskopien erfahrbar. Darüber hinaus finden regelmäßig Performances statt, die das Werk dieser bedeutenden Künstlerin des 20. Jahrhunderts aktivieren.

Zu Beginn ihrer Karriere schuf Lygia Clark Malereien im geometrisch-abstrakten Stil. Ab 1954 begann sie jedoch, die Leinwand aufzubrechen. Es entstanden reliefartige Bildtafeln, die eine Verbindung zum Raum eingehen. Mit der Gründung der neokonkreten Bewegung vollzog sie den Schritt in den dreidimensionalen Raum. Die Vertreter-innen des Neoconcretismo verstanden das Kunstwerk als organisches, lebendiges Phänomen. Diese Prinzipien kommen in Clarks Bichos (Tiere) zum Ausdruck. Es sind geometrische, bewegliche Skulpturen, die von den Betrachtenden in immer neue Positionen gefaltet werden können. In der Folge entstanden ihre Objetos sensoriais (Sensorische objekte), darunter Brillen, Masken oder Anzüge, welche die sinnliche Erfahrung der Rezipient-innen auf den ganzen Körper erweiterten. Ende der 1960er-Jahre erarbeitete sie ihr Konzept des Corpo coletivo (Kollektivkörpers), das gemeinschaftsstiftende, performative Aktionen beschreibt. Zum Ende ihrer Karriere entwickelte Clark schließlich einen körperbezogenen Therapieansatz, bei dem ihre Kunstobjekte zur Anwendung kamen.

Die Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie versammelt rund 120 Leihgaben von internationalen Privatsammlungen und Museen, darunter die Pinacoteca do Estado de São Paulo, das Museu de Arte Moderna in Rio de Janeiro sowie das Museum of Modern Art und die Cisneros Collection in New York.