König Bergson präsentiert Im spiegel verloren, Armin Boehms zweite Einzelausstellung mit der Galerie. In den gezeigten Werken konstruiert Boehm eine fragmentierte Realität, in der die Grenzen zwischen Fiktion und Geschichte verschwimmen. Geschichte wiederholt sich nicht einfach, sondern mutiert und nimmt neue Formen an, die unsere Wahrnehmung herausfordern. Statisch geglaubte Bilder werden mit wechselnden Bedeutungen aufgeladen und ihre Aussagekraft von denen beeinflusst, die sie für sich nutzen. Diese kontinuier liche Transformation erinnert an Richard Dawkins‘ Konzept des Mems: ein Vehikel der kulturellen Übertragung, welches sich im Laufe der Zeit unvorhersehbar verändert. Der aus dem Griechischen stammende Begriff (siehe Etymologie) gelangte über das Englische in die deutsche Sprache und wurde von Dawkins geprägt, um Bewusstseinseinheiten zu beschreiben, die, wie Böhms Bilder, spontanen Mutationen unterliegen. Während Dawkins ein Meme von bewusster Kreativität abgrenzte, verwischen Boehms Gemälde diese Trennung und offenbaren eine Realität, in der kulturelle Symbole zugleich manipuliert und einem eigenständigen Wandel unterworfen sind.
In Boehms dichten Kompositionen erscheinen und verschwinden bekannte Figuren: Trump, Putin, Peppa Pig, Pepe der Frosch, Peggy aus der Sesamstraße, Konquistadoren, Hacker, das neonbeleuchtete Moskau, King Kong. Symbole der Macht und der Unterhaltung fallen ineinander. Ein politischer Anführer, blutverschmiert, grinst durch die grinsende Maske eines Mems; eine vervielfachte Autoritätsfigur beobachtet, wie sich die Welt seinem Einfluss entzieht. Anderswo verabreicht eine Marionette Anästhesie – das sanfte Leuchten der Medienberieselung überdeckt das Unbehagen, das darunter liegt.
Boehms Leinwände entfalten sich wie ein Archiv in Bewegung, in dem vergangene Ereignisse in die Gegenwart hineinflackern. Eine in Neon getauchte Stadtlandschaft birgt die Überreste des Kalten Krieges – kapitalistische Werbetafeln hängen neben sowjetischen Relikten, Nostalgie koexistiert mit Propaganda. Hacker manipulieren den digitalen Raum und entwickeln neue Narrative. Eine DJ-Figur, gehüllt in Szenen aus dem Leben des Künstlers, steckt Geldscheine in den Mund einer anderen – Geld, Krieg und Spektakel verschlingen sich in einer endlosen Spirale.
Währenddessen spielen sich am Rande absurde Heldentaten ab. Der rosarote Panther greift nach Winnie Puuh und Ferkel – eine slapstickartige Rettung inmitten des Zusammenbruchs. Doch in einer anderen Szene lässt eine vielköpfige Figur, die an Courbets „Der Ursprung der Welt“ erinnert, Kriegsmaschinen entstehen – eine rollt auf Panzerketten vorwärts, eine andere steht lichterloh in Flammen. Ein ununterbrochener Kreislauf der Zerstörung.
Wie Spiegelbilder verzerren, wiederholen und rekonstruieren Boehms Malereien Fragmente der Welt, die wir zu kennen glauben. Was vertraut erscheint, zerfällt bei genauerem Hinsehen und offenbart ein ständiges Wechselspiel von Macht, Spektakel und Manipulation. Figuren, Ereignisse und Ideologien tauchen in neuen Formen auf, jedes Mal auf andere Weise gebrochen – Geschichte verändert sich, während sie neu erzählt wird. Der Spiegel bietet kein stabiles Bild, son dern nur einen kontinuierlichen Prozess der Neuinterpretation. Im spiegel verloren stellt diese veränderliche Realität nicht nur dar, sondern wird zu einem Teil von ihr. Wie die Bilder, die es hinterfragt, entzieht sich Boehms Ausstellung einer festen Bedeutung und spiegelt uns die Welt fragmentarisch wider – verzerrt, doch unheimlich vertraut.