Dörte Eißfeldt (g. 1950) untersucht seit den späten 1970er Jahren das kreative wie konzeptuelle Potenzial der künstlerischen Fotografie. In ihrer ersten Ausstellung in der Galerie Thomas Fischer sind Bilder der 1980er und 1990er Jahre aus umfangreichen Serien zu sehen. Eißfeldt zeigt Ausschnitte der sichtbaren Welt, wie wir sie vielleicht noch nie gesehen haben: seien es das menschliche Gesicht, der Körper oder die Erscheinung der Dinge unter dem Einfluß von Licht, Schatten und Zeit. Ebenso entscheidend ist die Materialität der verschiedenen Bildträger, Oberflächen und Printtechniken wie auch die Anordnung der Bilder im Raum und an der Wand.
Dörte Eißfeldt hat von 1970 bis 1976 in Hamburg Kunst studiert. Der Fotografie wandte sie sich nach dem Studium, von Malerei und Film kommend, autodidaktisch zu und verstand sie von Beginn an als Ausdrucksmittel im eigenen Recht, mit spezifischen materiellen Eigenschaften und Erscheinungsformen. Außerhalb der Strömungen subjektiv dokumentarischer, inszenierender oder konzeptueller Strategien künstlerischer Fotografie der letzten 40 Jahre steht ihr Werk für eine wandelbare, material- wie prozessorientierte Herangehensweise.
Frühe Ausstellungen fanden im Museum Folkwang in Essen, dem Badischen Kunstverein Karlsruhe oder der Galerie Fotohof Salzburg statt. Die Ausstellung „Perfect Worlds“ reiste Ende der 1980er Jahre durch Goethe-Institute weltweit. Stipendien führten Dörte Eißfeldt u.a. nach Arles und Worpswede. Von 1991 bis 2016 unterrichtete sie Freie Kunst mit Schwerpunkt Fotografie an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Aktuell ist sie eine der drei Nominierten für den Prix Viviane Esders 2025.
Das Bilderrauschen der Wirklichkeit wie des Films hat Dörte Eißfeldt hinter sich gelassen und sich dem stillgestellten fotografischen Bild zugewandt, um Grundsatzfragen zu stellen: „Was ist ein Bild? Wie wird etwas Bild? Wie wird eine Fotografie zum Bild?“. Materialien und Verfahren spielen dabei gemäß dem Motto „Fotografie hat einen Körper, und den zeigt sie auch“ immer wieder eine entscheidende Rolle. Nicht nur der Moment der Aufnahme und das Geschehen oder die Dinge vor der Kamera allein stehen im Vordergrund, sondern ihre Auffassung, ihre Verarbeitung, der Fokus, den die Künstlerin ihnen gibt – „eine offene Verbindung zur Welt“.
Ohnehin ist die Welt im fotografischen Bild ausschnitthaft zu sehen, und dies im Unendlichen wie im Kleinsten. Das verdeutlichen die frühen Arbeiten Nach Giordano Bruno (1988) und eine Neuinterpretation eines Details daraus, Big hot mama (1988/2024). Die Dimensionen bleiben in beiden Werken offen. Hinter der Begrenzung des Bildausschnitts könnte sich die Fläche weiter dehnen, in den kleinen Lichtreflexen spiegelt sich die Helligkeit aber vielfach, bis ins Unendliche des Sternenhimmels. Eißfeldt greift damit einen Gedanken des Renaissance-Philosophen und Astronomen Giordano Bruno auf, dass sich auch in einer kleinen Scherbe das Universum spiegeln könne.
Bilder hinterfragen, neu formulieren, aus anderen Perspektiven sehen, dies steht beispielhaft für die experimentellen Prozesse im analogen wie im digitalen Bereich, die Dörte Eißfeldt kontinuierlich erprobt. Die Schneeball-Serie (1988) ist das wohl bekannteste Werk der Künstlerin: 32 Interpretationen eines einzigen Negativs bezeugen das vielfältige Spektrum von Volumina und Tonwerten und die Vieldeutigkeit von flüchtiger Materie, universaler Form und sinnlichem Bild. Das Sehen an sich thematisiert Dörte Eißfeldt in den 1990er Jahren mit den Mitteln von Ausschnitt und Nahaufnahme in den Körperbildern der Serien Haut (1989-1991) und Rücken (1990). Erstere operiert mit den verschiedenen Oberflächen der Elemente Haut und Messer und mit Kontrastpaaren weich-hart, hell-dunkel, glänzend-matt, vorn-hinten. Letztere befragt die Logik der fotografischen Repräsentation, der Darstellbarkeit des Körpers, das Spannungsfeld von Verletzlichkeit und Gefahr. Beiden Serien eignet die besondere Aufmerksamkeit für Oberflächenreize, Tonwerte, haptische Qualität, die die Fotografien auch als Objekte im eigenen Recht in den Vordergrund rückt.
Die völlige Freiheit von inhaltlichen Aspekten wie Kultur, Gattung, Schauplatz, Geschichte eines Motivs wird in der Arbeit Wald (1991) durchgespielt. Wald aus einer größeren Distanz und in Aufsicht soll als reine Oberfläche, als „Außenhaut“ gesehen werden und darin bedeutungsneutral bleiben. Eine Sequenz folgt dem Landschaftsabschnitt in jeweils gleichmäßigem, kontrastarmem Licht und hält die kleinteilig-komplexe Struktur der Pflanzen fest. Lässt sich die Oberfläche des Waldes ins Bild setzen, als wäre es Haut?
Oberfläche, Haut und Augen bestimmen die Gesichter der Portraits (I. Eyes shut) (1990-1993). Sie blenden sich durch die weiche Modulation der Konturen und Tonwerte in einem vielteiligen Prozess von Vorbelichtung, Entwicklung und Solarisation in das Fotopapier ein. So dicht und intensiv sind die aus diesem Prozess resultierenden Silberschichten, dass die Gesichter in Nahansicht sich aus den Schatten heraus aufbauen und das klassische „Lichtbild“ in ein „Schattenbild“ umgekehrt erscheint, das nur wenige Lichter enthält. Diese Portraits sind über das Individuelle hinaus als Sinnbilder zu verstehen. Ihr Antlitz hält die Betrachtenden fest, wie es der französische Kunsthistoriker und Philosoph Georges Didi-Huberman in seiner Theorie einer aktiven Beziehung von Bild und Betrachtenden formuliert hat – die Bilder blicken uns an und sie (be)treffen uns.
(Text von Carolin Förster)