Lange, bevor das Wort Kunst immer häufiger dem Wort feministisch beigeordnet wurde und die Ergebnisse dieser Legierung sich einer inflatorischen Unübersichtlichkeit anzunähern begannen, waren die Arbeiten der Sarah Schumann Auseinandersetzung mit den alten und neugewonnenen Bildern von der Frau und diese Auseinandersetzungen fanden – das ist wichtig – in ihren Arbeiten selbst statt, im Prozess ihrer ästhetischen Entwicklung.

(Silvia Bovenschen, 1977)

Die Berliner Malerin Sarah Schumann (1933-2019) ist eine der wichtigsten Künstlerpersönlichkeiten der deutschen Nachkriegszeit. Ihr Selbstverständnis war das einer Malerin, sie hat jedoch auch in den Rollen der Grafikerin, Essayistin, Filmemacherin, Schauspielerin und Kuratorin, und vor allem als eine der sichtbarsten Protagonistinnen der Neuen Frauenbewegung in den 70er-Jahren (und darüber hinaus) tiefe Spuren im gesellschaftlichen Bewusstsein hinterlassen. Ihre langjährige Lebenspartnerin Silvia Bovenschen hat ihr 2015 mit „Sarahs Gesetz“ ein eindrucksvolles wie einfühlsames literarisches Denkmal gesetzt, Harun Farocki schon 1976 mit „Ein Bild von Sarah Schumann“ ein ebenso faszinierendes filmisches.

In den späten 50er-Jahren wird Sarah Schumann (damals noch unter dem Namen Maria Brockstedt) mit elektrisierenden, geradezu „alchemistischen“ informellen Gemälden bekannt, die in den vergangenen Jahren in einigen Gruppenausstellungen „wiederentdeckt“ wurden (u.a. „Action Gesture Paint“ und „InformELLE“). Gleichzeitig zu diesen Gemälden entstehen Schumanns berühmte „Schockcollagen“ (1957-64), die ein wichtiges kunsthistorisches Bindeglied zwischen den früheren Collagen Hannah Höchs und den Fotomontagen Grete Sterns sowie den späteren Collagen Martha Roslers bilden und bereits feministische Inhalte ausprägen, wie sie dann im Werk Schumanns der 70er-Jahre dominieren und die Künstlerin als eine der wichtigsten Positionen des feministischen Kunstdiskurses ausweisen. Als eine der Kuratorinnen der bahnbrechenden Ausstellung „Künstlerinnen International 1877-1977“ und als Gestalterin vieler Publikationen der Neuen Frauenbewegung in West-Berlin hat Sarah Schumann schon früh feministischen Anliegen in der bildenden Kunst ein Gesicht und eine Stimme verliehen, wobei sie – etwa als Autorin der „Schwarzen Botin“ – allerdings einer losen, wiewohl radikalen Fraktion angehörte, die Gefühligkeit und Identitäres scharf kritisierte – was ihre Arbeiten auch für die Gegenwart umso bedeutsamer macht.

Der ehemalige Kunstverleger, Gestalter und Ausstellungsmacher Christoph Keller hat zur Berlin Art Week 2025 in der Galerie Meyer Riegger eine quasi-museale Ausstellung mit vielen Leihgaben aus privaten Sammlungen eingerichtet, von denen die meisten überhaupt zum ersten Mal öffentlich vorgestellt werden, darunter auch etwa 60 Schockcollagen und ca. 15 Gemälde aus den späten 50er-Jahren, die erst vor kurzer Zeit durch einen glücklichen Zufall wieder aufgetaucht sind, mittlerweile restauriert wurden und nun erstmals zusammenhängend in einer Ausstellung präsentiert werden können.

Die informellen Gemälde, die zur Zeit ihrer Entstehung in der Zimmergalerie Franck (1958), bei Rolf Jährling in der Galerie Parnass (1961 und 1964) sowie im ICA London (1962) ausgestellt wurden, belegen den ganz eigenen Weg einer jungen Malerin innerhalb einer fast vollständig männlich dominierten Kunstszene der Nachkriegszeit.

Parallel zu diesen Arbeiten – und worauf die Künstlerin immer wieder hingewiesen hat: sich gegenseitig bedingend – entstehen zwischen 1957 bis etwa 1964 aber auch die so genannten „Schockcollagen“, die Sarah Schumann in verschiedenen Erscheinungsformen als Papiercollagen, fotografischen Reproduktionen der Collagen oder Offsetdrucken immer wieder als Nukleus ihres Werkes definiert hat. Die Ikonografie dieser Collagen verbindet surrealistische Themen des Unbewussten und Traumhaften mit Fragen nach der gesellschaftlichen Stellung der Frau und einer intuitiven Diagnostik des traumatisierten Geisteszustands der Nachkriegsgesellschaft, in der „Schönheit und Schrecken“ auf eigentümliche Weise aufeinanderprallen. In der Ausstellung werden die Schockcollagen erstmals als ursprüngliche Papiercollagen aber auch in fotografischen Reproduktionen parallel zu den Gemälden gezeigt.

Diese frühen Werke führen in der weiteren Entwicklung zu einer Synthese der künstlerischen Werkprozesse, die zu Sarah Schumanns bekannten Collage-Arbeiten der 70er-Jahre hinleiten, monumentalen Collagen in Mischtechnik, welche Protagonistinnen der Neuen Frauenbewegung wie Helke Sander, Evelyn Kuwertz, Ann Anders, Marianne Herzog, Silvia Bovenschen u.a. portraitieren und auch in einem kleinen Ausschnitt in der Ausstellung zu sehen sind. Die 70er-Jahre werden überdies durch viele feministische Publikationen zu denen Schumann gestalterisch durch collagierte Titelbilder und ihre charakteristische Handschrift beigetragen hat, ergänzt, die in einer dokumentarischen Präsentation aufbereitet wurden.

Harun Farockis Film „Ein Bild von Sarah Schumann“ von 1976/78 und eine Neubearbeitung von Michaela Meliáns Arbeit zu „Künstlerinnen International 1877-1977“ (von 2012) werden ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sein.

Die Galerie Meyer Riegger setzt mit dieser Ausstellung von meistenteils unverkäuflichen Arbeiten Sarah Schumanns ihre Bemühungen um frühe feministische, künstlerische Positionen, wie schon in den vorangegangenen Ausstellungen zu Meret Oppenheim, Sheila Hicks oder Jacqueline de Jong, fort – immer im Kontext von zeitgenössischen Künstlerinnen der Galerie, wie etwa Miriam Cahn, Katinka Bock, Eva Koťátková oder Tamina Amadyar.

Parallel zur Ausstellung erscheint bei Spector Books, Leipzig, Ende August 2025 das von Christoph Keller herausgegebene Buch „Sarah Schumann. Schockcollagen 1957-1964“ mit Beiträgen von Christoph Keller, Klaus Reichert und Vojin Saša Vukadinović. (ca. 300 Seiten, 120 Abbildungen, Hardcover, 38 Euro).

Am 25. September veranstalten wir¬ als Begleitung der Ausstellung im Berliner Klick-Kino eine Soirée als „Abend für Sarah Schumann“ mit Filmen von, mit und über Sarah Schumann (u.a. von Harun Farocki, Helke Sander und Michaela Melián). Nach der Filmvorführung und einer kurzen Pause findet eine lockere Gesprächsrunde mit vielen WegbegleiterInnen Sarah Schumanns (tba) statt.