Ein zentrales Anliegen des französisch-schweizerischen Künstlers Julian Charrière ist es aufzuzeigen, wie stark der Mensch und seine Umwelt miteinander verwoben sind und sich gegenseitig beeinflussen. Vom 11. Juni bis zum 2. November 2025 zeigt er in einer umfassenden Einzelausstellung im Museum Tinguely Fotografien, Skulpturen, Installationen und neue Videoarbeiten, die sich mit unserer Beziehung zur Erde als einer Welt des Wassers auseinandersetzen – einem Element, das in Form von Meeren, Seen und Eis den grössten Teil unseres Planeten bedeckt. Es bietet für unzählige Organismen einen Lebensraum, in dem sich zirkuläre Ökosysteme ausgebildet haben, die für die Stabilität des Klimas von entscheidender Bedeutung sind.

Im Mittelpunkt der Ausstellung Midnight zone, die sich im Museum Tinguely über drei Stockwerke erstreckt, stehen submarine Ökosysteme – vom lokal präsenten und einflussreichen Rhein bis hin zu fernen Ozeanen –, anhand derer sich die Komplexität des Elements Wassers erschliesst, das durch menschliche Einwirkungen erheblich beeinträchtigt wird. Die Einzelausstellung untersucht den Kreislauf des Wassers und dessen Materialität, seine Tiefen und die mit ihm verknüpften politischen Aspekte, seine alltäglichen und sakralen Dimensionen. Vor den Besuchenden entfaltet sich ein Kaleidoskop, das dazu einlädt, tief einzutauchen.

In der Ausstellung lädt Julian Charrière das Museumspublikum ein, mit dem Wasser zu denken und zu fühlen – als Vermittler von Stimmungen und Erinnerungen, Bewegung und Verwandtschaft. Zwischen dem Abtauchen in die Tiefsee und dem Schwebezustand der Kryosphäre entfaltet sich der Parcours wie eine immersive Reflexion über fluide Welten – das Meer tritt hier nicht als Oberfläche auf, sondern als Substanz, in der sich Grenzen auflösen. Für den Künstler ist die Ausstellung nicht nur ein betretbarer Raum, sondern eine Welt, in die die Besuchenden eintauchen und sich darin bewegen können, um den Druck, die Tiefen und die damit verbundenen Träume zu erleben.

Wasser ist keine Landschaft – es ist die Voraussetzung allen Lebens, die erste Aussenhaut der Erde, das Medium unseres Werdens.

(Julian Charrière)

Die Ausstellung versammelt grundlegende Werke – frühere wie auch wichtige neue Auftragsarbeiten, die Charrières langjährige Auseinandersetzung mit ökologischen Grenzbereichen abbilden. Dabei steht das Wasser nicht als Motiv im Mittelpunkt, sondern als Medium – als das Element, in dem sich Geschichten ablagern, Krisen entwickeln, Formen und Gestalten ihren Zustand verändern. Der Titel bezieht sich auf die Mitternachtszone der Tiefsee, in der das Sonnenlicht verblasst und die Sicht schwindet.

Im gleichnamigen Video Midnight zone (2025) wird eine Fresnellinse – die Linse eines Leuchtturms – verkehrt herum in den Abgrund des Meeres hinabgelassen. Der durch ein ferngesteuertes Tiefseefahrzeug dokumentierte Tauchgang ist sowohl wörtlich als auch metaphysisch zu verstehen. Es ist eine Reise in einen Raum, der sich jeder Orientierung entzieht, wo polymetallische Knollen – Objekte industrieller Begierde – inmitten uralter Ökosysteme ruhen. Das Licht enthüllt hier nicht, es bricht. Das Werk versetzt die Betrachter:innen in traumgleiche Schwebezustände und beleuchtet gleichzeitig die blinden Flecken in unserem Streben nach Fortschritt.

In Albedo (2025), unter dem arktischen Ozean zwischen Eisbergen gedreht, folgt das Publikum dem Wasser, dessen Aggregatszustand sich zwischen fest, flüssig und gasförmig verändert – eine Choreografie in Echtzeit. Der Film zeigt das Schmelzen nicht als Katastrophe, sondern verweigert sich dem Erhabenen und präsentiert das Meer als Denkform: grenzenlos, destabilisierend und unbändig. Die Kamera schwebt, rahmt ein, lässt los. Es gibt keine festen Perspektiven – nur Drift, Aufhebung, Zerstreuung.

Diese beiden Filmarbeiten bilden den Anker der Ausstellung, die sich wie ein Wasserkreislauf entfaltet. In der Stadt Basel und ihrer Lage am Wasser beschäftigt sich die Ausstellung mit der politischen und infrastrukturellen Präsenz des Wassers. Der Rhein fliesst als Handelsweg und klimatisch sensible Ader direkt am Museum vorbei.

Auch der Klang zieht sich wie eine Unterwasserströmung durch die Ausstellung – subtil, immersiv, eindringlich – und ermöglicht eine synästhetische Erfahrung: sehen, hören, fühlen, eintauchen.

Charrières Arbeiten verbinden wissenschaftliche Beobachtung mit spekulativer Poesie. Seine Werke zeigen Landschaften als Prozesse, Gedächtnisräume und kulturelle Projektionsflächen. Er reflektiert koloniale und extraktivistische Spuren in Forschung, Landschaftsdarstellung und Bildtechnologien.

In Midnight zone wird Wasser nicht als Bühne menschlichen Handelns, sondern als Akteur gedacht – als Archiv, Spiegel, Lösungsmittel und Medium, das Erinnerung und Zukunft zugleich speichert. Es zeigt, wie unser Atem mit der Biosphäre verknüpft ist und verweist auf die Fragilität eines durch Schmelze, Verdunstung und Sedimentation geformten Planeten.

Obwohl der Ozean 95 % der belebten Fläche der Erde ausmacht, leben wir weiterhin so, als ob der Planet am Meeresufer endet. Meine Arbeit geht von dieser Dissonanz aus – zwischen dem Ausmass des Meeres und den Grenzen unserer kulturellen Vorstellungskraft. Die Wissenschaft kann die Tiefe kartografieren und vermessen, aber sie kann sie uns nicht spüren lassen. Was wir brauchen, ist nicht nur Wissen, sondern eine Kultur der Nähe: eine Kultur, die uns emotional und imaginativ mit diesem riesigen, lebenswichtigen Bereich verbindet. Ich glaube, dass die Kunst als Bindeglied dienen kann – sie lädt uns ein, die Tiefe nicht als etwas Abstraktes oder als Ressource wahrzunehmen, sondern als lebendigen Raum, von dem unser eigenes Überleben abhängt.

(Julian Charrière)

Eine besondere Qualität von Julian Charrières Arbeit ist es, künstlerische Forschung in Bildwelten zu übersetzen, die einen sinnlichen Zugang zu komplexen Themen ermöglichen. In unserer Ausstellung ist es das ‚ozeanische Gefühl‘, das uns visuell und körperlich eintauchen lässt, um gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit den dringlichen ökologischen Fragestellungen unserer Zeit in Gang zu setzen.

(Roland Wetzel)

In der Ausstellung Midnight zone vermitteln die Werke Wissen auf sinnliche Art und Weise. Dort wird das Wasser nicht als Bühne für das menschliche Drama betrachtet, sondern als Protagonist, als Archiv und Spiegel, als verdünnendes Lösungsmittel und messbares Medium, das die Erinnerung an die Gletscher und die Mineralien von morgen birgt. Charrière will zeigen, wie das Wasser unseren Atem mit der Biosphäre verbindet und wie es die Zerbrechlichkeit einer Welt offenbart, die durch Verdunstung, Schmelze und Sedimentation geformt wurde.

Die Ausstellung erinnert die Besucher:innen daran, dass das Meer nicht das Gegenteil von Land ist, sondern dessen Voraussetzung. Der Mensch ist in seinen Strömungen aufgehoben – biologisch, historisch und imaginär. In den in Basel gezeigten Werken will Julian Charrière uns das Meer nicht zeigen. Vielmehr will er es sprechen, pulsieren und atmen lassen durch eine elementare Choreografie aus Ton und Bild. Das Ergebnis ist nicht Repräsentation, sondern Resonanz: ein Zustand atmosphärischer Intimität, eine Einladung, seine Strömungen nachzuvollziehen.