Die Galerie Karsten Greve St. Moritz freut sich, mit Constellations die zweite Einzelausstellung des international renommierten Künstlers Ding Yi in der Schweiz zu präsentieren. Die Schau vereint ausgewählte Werke aus verschiedenen Schaffensphasen der letzten Jahre – darunter Gemälde auf Holz und Leinwand sowie Arbeiten auf handgeschöpftem tibetischem und indischem Papier – und verbindet konzeptuelle Präzision mit einer spirituellen Verdichtung des Bildraums.
Im Einklang mit seinem bisherigen Œuvre zeigen die ausgestellten Arbeiten Ding Yis kontinuierliche Auseinandersetzung mit Ordnungssystemen, visueller Sprache und der ästhetischen Autonomie des Zeichens. In den jüngeren Werken tritt der Stern als neues Zeichen in Erscheinung:
Die zuvor dominierenden Kreuz- und Plusformen entwickeln sich zu sogenannten cross-stellations weiter – Formgebilde, die sowohl an Sternbilder als auch an die vertikale Struktur moderner Metropolen erinnern. Die daraus entstehenden Kompositionen wirken wie visuelle Karten, die zwischen Wissenschaft und Transzendenz oszillieren.
Bereits seit den 1990er-Jahren spiegelt Ding Yis Werk die Erfahrung urbaner Verdichtung in Megastädten wie Shanghai oder Peking wider. Die visuelle Geschwindigkeit und die rhythmische Wiederholung seiner Zeichen lassen die Hektik des modernen Lebens spürbar werden. In seinem zeichnerischen Alphabet fungieren das Kreuz (x), das Pluszeichen (+) und der Stern (*) als gleichwertige, neutrale Module – Symbole einer universellen Sprache, die sich bewusst einer eindeutigen Lesbarkeit entzieht.
Ein zentrales Werk der Ausstellung, Appearance of crosses 2023-4, bringt diese Prinzipien auf eindrucksvolle Weise zum Ausdruck: Die großformatige, in Holz gearbeitete Arbeit evoziert mit ihren vertikal ausgerichteten Sternreihen die nächtlichen Lichtströme einer Stadt. Fein gesetzte Markierungen in Rot, Orange und Weiß durchbrechen das Raster subtil und erzeugen Momente visueller Irritation – wie kurze, leuchtende Aufblitzungen kosmischer Tiefe.
Mit dem Stern hält zugleich eine spirituelle Wendung in Ding Yis Werk Einzug. Seit seiner Ausstellung Multi-verse: Ding Yi in Tibet (2022) ist die Auseinandersetzung mit Fragen des Geistigen, mit Ritual und innerer Orientierung deutlich spürbarer geworden. Besonders in den auf tibetischem und indischem Papier ausgeführten Arbeiten – etwa in Appearance of crosses 2022-B 17 oder 2023-B 5 – tritt diese Dimension in Erscheinung. Hier verbindet sich die Feinheit des Materials mit der rhythmischen Struktur des Bildes zu einem sensiblen Gleichgewicht. Die Papierarbeiten zeigen eindrücklich, wie Ding Yi in der Beschaffenheit seiner Materialien nicht nur einen Träger, sondern einen aktiven Dialogpartner sieht.
Der aufwendige Herstellungsprozess des handgeschöpften tibetischen und indischen Papiers – ein Ablauf aus Schöpfen, Pressen, Trocknen und Glätten – folgt einer eigenen inneren Choreografie, die mit Ding Yis künstlerischer Praxis nahezu symbiotisch verschmilzt. Er behandelt das Papier nicht als neutrale Fläche, sondern als aktiven Bestandteil seines Prozesses. Geschichte, Struktur und Rhythmus des Materials fließen in die Komposition ein und verbinden sich mit der gestischen Setzung zu einem Werk, in dem Form und Inhalt untrennbar verschmelzen.
Mit Werken wie Appearance of crosses 2012-1 und 2012-4 lässt sich die künstlerische Entwicklung Ding Yis retrospektiv nachverfolgen. Die monumentale Bildsprache, die in diesen früheren Arbeiten bereits angelegt ist, erfährt in den aktuellen Werken eine neue Konzentration und inhaltliche Tiefenschärfe. Die großformatigen Blätter wirken wie Kartografien verborgener Bedeutungen, wie abstrakte Landschaften aus Erinnerung, Licht und Struktur. Die technische Ausführung ist dabei von höchster Präzision geprägt: Jede Linie, jede Farbschicht entsteht kontrolliert, jeder Arbeitsschritt bleibt in der Hand des Künstlers.
Ding Yi selbst spricht in diesem Zusammenhang von einer „Kolloquialisierung“ seiner Zeichen – einer bewussten Nivellierung, einer Demokratisierung der Formensprache, in der nicht das Symbol, sondern der Blick, das Sehen und Fühlen der Betrachtenden im Zentrum stehen. „Suchen Sie nicht nach der Bedeutung des Bildes, sondern schauen, fühlen und betrachten Sie selbst“, so der Künstler.
Seit beinahe vier Jahrzehnten erweitert Ding Yi die Möglichkeiten abstrakter Malerei. Seine Werke kommunizieren jenseits der Sprache und vermitteln eine einzigartige Spannung zwischen Dringlichkeit und Ruhe, Verdichtung und Weite, Rationalität und innerer Erfahrung. Als Pionier der zeitgenössischen chinesischen Abstraktion ist Ding Yi (*1962, Shanghai) in zahlreichen bedeutenden Sammlungen weltweit vertreten, darunter das Centre Pompidou in Paris, das British Museum in London, das M+ in Hongkong und die UBS Art Collection in Zürich.
Zur Ausstellung erscheint der von der Galerie herausgegebene Katalog Constellations mit Texten von Yongwoo Lee und Magdalena Kröner.