König Telegraphenamt präsentiert die Gruppenausstellung Guten morgen, du schöne. Es ist die Eröffnungsausstellung für die zusätzlichen Räume in der Ziegelstraße 16-17 im Forum an der Museumsinsel neben dem Telegraphenamt. Zu sehen sind Werke von Elvira Bach, Luciano Castelli, Rainer Fetting, Anne Jud, Helmut Middendorf, Salomé und Bernd Zimmer. Mit dem geliehenen Titel Guten morgen, du schöne erinnert die Schau an eine Zeit, in der Aufbruchstimmung herrschte: Für eine ganze Generation wurde West-Berlin in den 1970er-Jahren zu einem Sehnsuchtsort. Während in anderen Städten die Sperrstunde wiedereingeführt wurde, war Berlin die Stadt, die niemals schlief. Guten morgen, du schöne! Das Buch von Maxie Wander erschien 1977 im Buchverlag Der Morgen und wurde eines der erfolgreichsten belletristischen Werke der DDR. Auf der anderen Seite der Mauer entstand im selben Jahr die Galerie am Moritzplatz, eine Ausstellungsgemeinschaft, in der unter anderen Anne Jud, Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé und Bernd Zimmer vertreten waren.
Das Debut gab Salomé (geb. 1954 in Karlsruhe): In Strapsen auf einem in rosa Seide gehüllten, mit Rosen bedeckten Bett. Die Performance hieß schlicht Auf dem Rosenbett. Salomé machte sich selbst, seinen Körper und die Sexualität zum Mittelpunkt seiner Kunst.
Rainer Fetting (geb. 1949 in Wilhelmshaven) zeigte zu seiner Premiere am Moritzplatz die ersten Mauerbilder. Sein Motiv ist eines der berühmtesten Bauwerke der Welt, es ist Symbol für den Kalten Krieg und Mahnmal für die Opfer, die bei missglückten Fluchtversuchen ihr Leben lassen mussten oder in Gefangenschaft gerieten. Für Fetting ist die Berliner Mauer Alltag, der Blick aus dem Fenster am Moritzplatz. Die graue Betonmauer wurde für ihn zur Projektionsfläche einer exotischen Malerei.
Helmut Middendorf (geb. 1954 in Dinklage) war wie auch Salomé Schüler von Professor K. H. Hödicke. Er war 1971 aus der westdeutschen Provinz nach Berlin gekommen. Ins Zentrum seiner Malerei rückte er schließlich das kollektive Erlebnis einer Interessengemeinschaft. Die flächige, nahezu ohne Perspektive ausgeführte Malerei gibt Aufschluss über die Genese des Motivs: Ob als fotografisches oder mentales Bild, Middendorfs Vorlagen entstammen der nächtlichen Großstadt, die sich in der Dunkelheit dem Auge nur als Silhouette zeigt. Im Rausch der Nacht sind alle gleich.
Über dem Atelier von Anne Jud (geb. 1953 in Luzern, gest. 2016 in Santa Barbara) und Bernd Zimmer (geb. 1948 in Planegg) in der Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg arbeitete der Maler Bernd Koberling. Er führte Zimmer in die Dispersionsmalerei ein. Das Emulsionsgemisch war billiger als Öl und förderte wegen der kurzen Trocknungszeit den schnellen, gestischen Strich, der auch in der Klasse von K. H. Hödicke stilprägend wurde.
Mit seinen Landschaftsbildern entwickelte Zimmer den dialektischen Widerpart zu den Bildern der Punk- und Subkulturszene. Nicht minder provokant, wollte er testen, wie weit man es mit der »Neuen Malerei« treiben konnte. Die Vorlagen für seine Malerei entstammten genauso wie diejenigen seiner Kollegen aus dem unmittelbaren Umfeld des Künstlers. Zur Provokation reiften die »harmlosen« Landschafts- und Tierdarstellungen erst in der Kreuzberger Hinterhofgalerie, im Umfeld der Berliner Subkulturszene der 1970er-Jahre, zwischen einer sich emanzipierenden Schwulenbewegung, Punk und New Wave.
Während sich Fetting, Middendorf, Salomé und Zimmer hauptsächlich durch ihre Malerei hervortaten, interessierte sich Anne Jud insbesondere für den performativen Akt als künstlerischen Ausdruck. Die gebürtige Schweizerin hatte in Zürich und Wien eine Schauspielausbildung genossen und kam 1974 nach Berlin. Nach einer gemeinsamen Reise mit Bernd Zimmer durch Mexiko und die USA, entstanden ihre ersten Werke: Während Zimmer zu Pinsel und Leinwand griff, expe rimentierte Anne Jud mit One-Dollar-Bills (1-Dollar-Banknoten). Sie schuf ganze Gemälde mit den US-amerikanischen Banknoten, entwarf Anzüge und Strick-Ensemble sowie den dazu passenden Laufsteg. Sie überzog High Heels und Möbelstücke, One-Dollar-Bills all over. Und wenn das Geld ausging, wurde im Atelier nachgedruckt.
Luciano Castelli (geb. 1951 in Luzern) kam 1978 als Besucher der Salomé-Ausstellung Frühling, Sommer, Herbst, Winter an den Moritzplatz. Als Vögel am Trapez bei einer Modenschau von Claudia Skoda in der Berliner Kongresshalle traten Salomé und Castelli 1979 erstmals gemeinsam auf. Das Schlussbild der Performance verwendeten sie später für das Cover der ersten Platte ihrer Punkrock-Band »Geile Tiere«. Wie ihre Bilder, so sollten auch die Performances etwas Sexuelles und Travestiemäßiges zeigen. Sie wollten das Fremde in sich selbst entdecken. Schließlich wurden nicht nur die Auftritte vor Publikum, sondern auch die Malerei wurde zum performativen Akt.
Wie ihre Kollegen studierte auch Elvira Bach (geb. 1951 in Neuenhain/Taunus) an der Hochschule der Künste, ihr Lehrmeister war Professor Hann Trier. Nebenbei verdiente sie sich Geld im Theater als Requisiteurin, Souffleuse und Garderobiere. Zu Beginn haderte sie mit dem Schattendasein hinter der Leinwand und der Möglichkeit, auf der Bühne zum Mittelpunkt des Geschehens zu werden. Mit ihren Bildern »Immer ich«, die ab 1978 entstanden, führte sie auf der Leinwand schließlich beides zusammen.
Alles dreht sich um die Frau im Ganzkörper-, Dreiviertel- oder Halbporträt. High Heels, Lippenstift, Puderdose, Zigaretten, Erdbeeren, langstielige Rotweingläser und vieles mehr erhebt die Künstlerin zu Symbolen der Weiblichkeit und heftet diese ihrer Malerei als Markenzeichen an. Bach entwirft ein Frauenbild als Prototyp, den sie in Varianten produziert. »Immer ich«. Im Bett, unter Palmen, in der Badewanne, in der Bar. »Immer ich«. Es ist das Leben der Elvira Bach, in dem die Frau mit all ihren Facetten im Mittelpunkt steht. Und schließlich waren es weder Fetting, und auch nicht Middendorf oder Zimmer, sondern Elvira Bach gehörte 1982 zu den Auserwählten des niederländischen Ausstellungsmachers Rudi Fuchs, der die documenta 7 leitete und erstmals in Kassel außer Bach auch Salomé, die postmoderne italienische Transavantgarde sowie Künstler der Mülheimer Freiheit vorstellte. Aus der Dominikanischen Republik, wo Bach unter anderen mit Bernd Zimmer als »Artist in Residence« verweilte, flog sie vorzeitig zurück, um ihren Beitrag vorzubereiten.
Kuratiert wird die Ausstellung von der Kunsthistorikerin und Autorin Franziska Leuthäußer. Bis 2018 war sie am Städel Museum in Frankfurt am Main tätig. Dort erschien ihr langjähriges Forschungsprojekt „Café Deutschland. Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD“, eine Untersuchung der Kunstszene der Bundesrepublik Deutschland aus der Perspektive von Zeitzeug:innen. 2015 war sie Co-Kuratorin der Ausstellung „Die 80er. Figurative Malerei in der BRD“. Zuletzt hat sie eine autobiografische Erzählung des Kunsthändlers Franz Dahlems unter dem Titel „Am liebsten würde ich Marilyn Monroe sein“ herausgegeben, erschienen 2021 bei Schirmer/Mosel.