Wir freuen uns, Anish Kapoor als erste Galerie seit vielen Jahrzehnten eine Einzelausstellung in Deutschland widmen zu dürfen und nach der großen Schau 2007 im Haus der Kunst in München wieder eine umfassende Ausstellung zu präsentieren. Zum Ende des Jubiläumsjahres der Galerie werden in beiden Ausstellungsräumen neue Werke eines der bedeutendsten Künstler unserer Zeit zu sehen sein.

Anish Kapoors Werk ist voller Gegensätze, wie es zunächst scheint: hochglanzpolierte Oberflächen treffen auf organische Imperfektion, Vollkommenheit und Verletzlichkeit stehen sich gegenüber, das schwärzeste Schwarz schluckt Licht, während Spiegel es reflektieren. Inneres kehrt sich nach außen, Äußeres nach innen. Kapoor verschiebt Perspektiven, indem er unsere Wahrnehmung und die Beziehung zu dem Objekt vor uns verwandelt; sogar unsere Selbstwahrnehmung und Verortung auf der Erde wird im Dialog, den seine Werke uns eröffnen, erschüttert.

Ein wichtiger Aspekt ist dabei stets Materialität. Reflektierende Formen im Innen- und Außenraum verzerren ihre Umgebung und verdrehen dabei die Logik unserer Sicht der Welt. Mit einem Blick schier Unfassbares wird auf eine vergleichsweise kleine Fläche gebannt: der Himmel liegt in einer runden Scheibe an der Erde, die Skyline einer Stadt wölbt sich kuppelartig über Passanten. Die Welt wird auf den Kopf gestellt und von innen nach außen gekehrt. Kapoor fordert eine Transformation des gewohnten Blicks; bei Licht und bei Dunkelheit. Wie sehr kann sich die Wahrnehmung, die Materialität der direkten Umgebung auflösen, entzieht man ihr das Licht? Architektonische Monumentalskulpturen umhüllen den Betrachter und regen zu einer sinnlichen und instinktiven Erfahrung an – ein zugleich sublimes, intimes wie unheimliches Eintauchen. Diese immersive Erfahrung spiegelt sich auch in den Pigmentarbeiten wider, die – wie die gespiegelten Oberflächen – den Raum des Objekts wandelbar und illusorisch machen. Das Äußere verschwimmt mit dem Inneren, die Dunkelheit breitet sich nach außen aus – ein Wechselspiel, zu dem Kapoor in seiner Arbeit immer wieder zurückkehrt.

Auch der Blick hinter die Dinge ist essentiell in Kapoors Werk. Bei vielen neueren Werken erinnern organische, oft tiefrote Objekte an Körperliches, an Blut, an Fleisch, an Membran. Zirkulierendes Blut ist der Anfang allen pulsierenden Seins. Fleisch und fragile Organe werden durch eine schützende äußere Hülle verdeckt, die – sofern intakt – ihr Inneres verbirgt.

Kapoors Werke befassen sich mit diesem komplexen, lebensnotwendigen Zusammenhang zwischen Außen und Innen. Sie fordern dazu auf, diese Grenzen zu öffnen, die Haut zu zerreißen und konfrontieren uns mit einem unbekannten und doch vertrauten Inneren, das uns allen gemeinsam ist.

Materialität und Immaterialität, Außen und Innen, Vollkommenheit und Verletzlichkeit – Dualität und der Raum dazwischen wird zum Schlüsselwort in Kapoors Werk. Ihre Bedeutung liegt nicht in der Narration (obwohl die Wahl der Titel mitunter sehr konkrete Assoziationen zulässt), sondern in der Schärfung und Transformation der existenziellen wie spirituellen Wahrnehmung – des Himmels, der Erde, des Körpers und seiner selbst.