Der Wechsel von den alten Informationsmedien – gedruckten Zeitungen, Zeitschriften und Büchern – zu sozialen Netzwerken, Videoportalen und Blogging-Plattformen war ein Erdbeben, das von Amerika ausging und die ganze Welt erschüttert hat. Der Herd des Bebens lag im Technologiefeld, seine größte kulturelle Auswirkung war der Medienumsturz, von dem hier die Rede ist.
Die massive Erschütterung kündigte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einer Vielzahl technischer Vorstöße an: Entwicklung des Arpanets (1969); Verbreitung von Personal Computern (wie Apple II, 1977); Akustikkopplern, Modems und Nutzung privater Mailboxen wie FidoNet. Der Umsturz wurde zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit der Etablierung von Facebook, YouTube, und Twitter manifest.
Die Revolution der Medien im Technologiefeld erfüllt meine Voraussetzung, dass auch ein Starkmann nur unter hilfreichen Randbedingungen Geschichte machen kann.1 Ohne die breiten Schneisen, die die Sturmböen dieser Revolution kreuz und quer durch alle traditionellen Kommunikationstechnologien schlugen, wäre Trump im Jahre 2016 wahrscheinlich am Widerstand der alten Eliten und ihrer Druckmedien gescheitert. Von daher die These: der Medienumsturz im Technologiefeld hat einen notwendigen (wenn auch nicht voll hinreichenden) Beitrag zum Durchbruch des Trumpschen Populismus geleistet.
Facebook und Twitter sind Paradebeispiele für den steilen Aufstieg der neuen sozialen Medien. Beide brauchten bloß ein Jahr, um entwickelt, getestet und erprobt zu werden. Danach wurden ihre Dienste für Endnutzer verfügbar (und diese für die neuen Medien). Facebook.com kam 2006 auf den Markt und twitter.com 2007. Als Trump zum ersten Mal gewählt wurde, war Twitter noch nicht einmal zehn Jahre alt, aber schon eine erhebliche Meinungsmacht.
Nach unserer Erfahrung mit handfesten Büchern machten wir Bekanntschaft mit Zuckerbergs Facebook, wörtlich Antlitzbuch – was herzlich wenig mit Buch zu tun hat und umso mehr mit Gesicht, anfänglich mit Portraits von Studenten, inzwischen mit unseren Augen. Vieles, was nun obsolet erscheint, haben uns die Jahrhunderte vom Druck der Gutenberg-Bibel (1455) bis zu Facebook gelehrt, zum Beispiel die genaue Feststellung von Fakten. Wir haben uns über ein halbes Jahrtausend mit Gedrucktem auseinandergesetzt, aber nur zwei Jahrzehnte mit elektronischen Informations- und Kommunikationssystemen.
Dennoch gibt es kein Zurück mehr. Der Umschwung von Marshall McLuhans „Gutenberg-Galaxie”2 zum digitalen Universum ist erfolgt. Im Jahr 2010, als der Medienumsturz schon mehrere Jahre alt war, berechnete ein Google-Ingenieur, wie viele Bücher während der Gutenberg-Galaxie mit der Technologie der beweglichen Metalllettern und allen späteren Drucktechniken veröffentlicht worden waren. Er kam auf 129.864.880 Originalbücher.3 130 Millionen ist eine gute Menge, aber nicht viel verglichen mit der Zahl der Nutzer der neuen sozialen Medien. Die aktiven täglichen Nutzer von Facebook allein sind über zwei Milliarden und monatlich über drei Milliarden weltweit.4 Hinzu kommt, dass diese Nutzer nicht nur passive Leser, sondern auch gleichzeitig Autoren, Verleger und Wiederverleger sind. Der in kürzester Zeit bewerkstelligte, tausendfache Sprung über drei logarithmische Größenordnungen hinweg (von Million zu Milliarde) ist spektakulär und war transformativ.
Natürlich trifft der Einwand zu, dass der Vergleich zwischen Büchern und sozialen Medienkonten so gut wie zwischen Äpfeln und Birnen ist. Bücher haben Auflagen, meistens kleine, aber gelegentlich auch große, werden aus öffentlichen und privaten Bibliotheken entliehen, an Freunde weitergegeben, usw. Wir wissen also nicht, wie viele Menschen insgesamt die 130 Millionen Originalbücher gelesen haben. Dennoch dürfen wir annehmen, dass das Gesamt der aktiven Nutzer sozialer Medien längst die Zahl aller Menschen übertroffen hat, die Bücher lasen und heute noch lesen.
Die schnellen Übergänge von Workstations zu Desktops, Laptops, Tablets und immer leistungsfähigeren Smartphones sowie vom passiven Konsum statischer Webseiten (mit dem Netscape Browser 1994) zu interaktiven, nutzergenerierten Inhalten (Web 2.0 seit 2004) zeigen, dass unsere schöne neue digitale Welt mit rasender Geschwindigkeit wächst, zunehmend unterstützt von künstlichen Intelligenzsystemen. Ihr Wachstum ist nicht nur schneller als unsere nachhinkende Kompetenz, sondern auch, wie es scheint, rasanter als die Fähigkeit der technischen Zauberlehrlinge, die inneren Mechanismen und das ‚Denken‘ ihrer ständig fortschreitenden Systeme zu verstehen und zu kontrollieren.
Der elektronische Mensch hat McLuhans „typografischen Menschen” abgelöst. Dieser neue Menschentypus, der eMensch, obzwar noch blutjung, wird dennoch, vielleicht morgen schon, vom KI-Menschen übertroffen werden und dieser dann womöglich von transhumanen Gebilden. Unsere Informationsbeschaffung und der Konsum von Nachrichten hat sich vom Gedruckten auf die Bildschirme und von den Kaffeehäusern des 18. Jahrhunderts zu Elon Musks X, vormals Twitter, verlagert – all dies im Rahmen eines Menschenlebens. Die Zahl der sozialen Akteure ist explodiert und ihre fortwährenden Eingaben ins Geschehen sind zugleich Antrieb, Ziel und Grundlage der neuen Medien.
Man könnte es beklagen, dass wir nicht genug Zeit hatten, uns an diesen epochalen Wandel anzupassen. Dagegen spricht allerdings, dass die jüngeren Generationen, meine Enkel und deren Kinder, offenbar ohne große Schwierigkeiten mit dem technischen Fortschritt heranwachsen.
Man könnte sogar mit tief denkenden Philosophen befinden, dass die moderne Technik an sich vom Übel ist. Und warum nicht? Weil das Wegdenken von Technologie aus modernen Gesellschaften nichts ändert. Die „Gestelle“ (Martin Heidegger) der Technik sind seit der Erfindung der Druckerpresse, ließe sich argumentieren, viel zu tief in unseren naturalen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Aktivitäten verankert, als dass sie je wieder ohne katastrophale Folgen entfernt werden könnten. Sie sind offen für politische Inanspruchnahmen sowie Debatten über gute, weniger gute, und schlechte Anwendungen, doch sie sind nicht mehr auszumerzen.
Man könnte von dunkler Technologie sprechen und damit Technologie meinen, die für fragwürdige Zwecke eingesetzt wird, und nicht Technologie als solche. Soziale Medien sind da keine Ausnahme. Technologie wird dunkel, wenn skrupellose Nutzer von Facebook, X, YouTube, TikTok und anderen sozialen Medien Fake News erfinden oder Trump dunkle Worte und finstere Memen in die Echokammern der sozialen Netzwerke einspeist. Wenn die neuen Kommunikationswerkzeuge dazu benutzt werden, das anzugreifen und zu zerstören, was uns lieb und teuer ist – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Zivilgesellschaft, Anstand, Toleranz, Fairness, öffentlicher Mut, ökologisches Gleichgewicht und Wahrheit – müssen wir kämpfen. Die Verbreitung hasserfüllter Parolen und falscher Nachrichten ist keine Entgleisung, sondern die massenwirksame Waffe einer dunklen Technologie.
Trump war im Wahljahr 2016 besser als alle anderen Kandidaten im Technologiefeld positioniert. Er hatte sein Twitter Konto im März 2009 eingerichtet und war daher schon lange vor seiner Kampagne ein intimer Kenner und Nutzer des Mikroblogs. Aber noch wichtiger: er hatte sowohl das populistische Potential als auch die enorme Reichweite und Geschwindigkeit der neuen Medien erkannt. Auf seinem Weg nach oben überholte Trump im „Twitterverse” Google, BBC World News, The Economist, die National Football League und NASA. Zu seinem Leidwesen lag er aber Mitte 2017 immer noch hinter CNN, der New York Times und Barack Obama.
Am Tag vor der Wahl, dem 7. November 2026, zählte Trump rund 13 Millionen „Followers“ (das Twitter-Äquivalent zu Facebook „Freunden“). In Anbetracht seiner Außenseiter Rolle war das nicht wenig. Sein Twitter-Rang zu diesem Zeitpunkt war Platz 127 von 317 Millionen Twitter-Accounts weltweit. Zwei Tage nach der Wahl stieg sein Rang auf Platz 107 mit nun über 14 Millionen Followern. Am 12. November, schaffte Trump den Sprung in die Top 100 und am 9. Juli 2017 belegte er Platz 31 mit über 33 Millionen Followern (inklusive Web-Robotern). Was das bedeutete, hat die sozialwissenschaftliche Forschung inzwischen bestätigt: Trump wurde 2016 „dauerhaft extrem berühmt“ (enduringly ultrafamous).5
Von Mai 2009 bis Januar 2017 veröffentlichte Trump über 30.000 Tweets. Seine täglicher Durchschnitt stieg von weniger als einem Tweet im Jahr 2009/10 auf über 20 im Jahr 2013. Während seiner Kandidatur 2015/16 lag der Tagesdurchschnitt bei etwas über 15. Für Twitter-Nutzer, die Trump erwähnten, waren Einwanderung (46%), Außenpolitik (29%), Steuern (12%) und Gesundheitswesen (7%) die wichtigsten Themen. Da Trump den Anliegen seiner Anhänger große Aufmerksamkeit schenkte, sah er, dass Einwanderungsfeindlichkeit das Wählermotiv mit der größten Resonanz war.
Trump war der Greifvogel hinter dem Clown, über den die alten Eliten lachten, der die neuen sozialen Netzwerke, am Anfang vor allem Twitter, mit beispielloser demagogischer Geschicklichkeit einzusetzen wusste. Er wurde nicht müde, sich immer wieder gegen Immigranten, Muslime, Flüchtlinge, Clinton, das Establishment und die Mainstream-Medien mit größtmöglicher politischer Inkorrektheit zu äußern. Auch wenn ihn seine Tweets manchmal einzuholen schienen, stellten sie sicher, dass sein Name stets in den neuesten Nachrichten an vorderster Stelle stand.
Trump bezog seine Informationen, wie die meisten seiner Anhänger, vorwiegend aus sozialen Medien, hauptsächlich Twitter, gefolgt von Facebook, Instagram und YouTube. Die rechte Nachrichtenseite Breitbart war die häufigste Quelle seiner Tweets und Retweets. Trumps Informationsökosystem umfasste aber auch konventionelle Medien wie die Washington Post, sofern sie positive Nachrichten über ihn oder Umfragen zu seinen Gunsten brachten. Grundsätzlich bevorzugte er jedoch Inhalte von „rechtsgerichteten, hyperparteilichen Websites und Meinungsblogs“ mit einer „Affinität zu faktisch unklaren Geschichten, die durch Meinungen, Indizien und Gerüchte untermauert wurden und seine umstrittensten Aussagen im Allgemeinen zu unterstützen schienen“.6
Trump war der Politiker im Entscheidungsjahr 2016, der am meisten von den dunklen Möglichkeiten der neuen sozialen Medien profitierte. Sie ermöglichten ihm,
direkt mit seinen Anhängern zu kommunizieren,
die aufgestaute Energie seiner Anhänger freizusetzen,
seine Basis unter dem Radarschirm der traditionellen Medien auszubauen,
mit den damals noch obskuren Ideologen des radikalen Trumpismus einen bahnbrechenden Diskurs im Untergrund zu entwickeln,
sich von politischer Korrektheit zu befreien und eine reaktionäre Identitätspolitik für weiße Amerikaner zu etablieren.
Die großen Zeitungsverlage der USA, allen voran die New York Times, versagten, als es auf öffentliche Aufklärung ankam. Sie verschliefen sowohl den Umsturz von den alten auf die neuen sozialen Medien als auch Trumps Raubzüge im Wirrwarr dieser Revolution. Sie sahen den Clown, aber nicht den Raubvogel; sie betrachteten seine Anhänger als unfeines Publikum und nicht als formidable Kampftruppen. Bis es zu spät war.
Nach dem Schock der Wahl erkannten die alten Medien ihre Scheuklappen. Erst im Rückblick entdeckten sie das Ausmaß der lokalen und globalen Veränderungen. Sie mussten sich und ihren Lesern eingestehen, dass sie die Revolution versäumt hatten. Ihre verspätete Berichterstattung bekräftigte, was nicht mehr zu leugnen war: „Die pro-Trump-Medien verstanden, dass sie eine aufständische Kraft waren.“7 Im Nachhinein machte die New York Times den Medienumsturz dingfest:
- „Die Wahl von Donald J. Trump ist vielleicht das bisher deutlichste Beispiel dafür, dass soziale Netzwerke weltweit dazu beitragen, die menschliche Gesellschaft grundlegend neu zu vernetzen. Sie haben die Mainstream-Medien vereinnahmt und ausgehöhlt. Sie haben traditionelle politische Vorteile wie Fundraising und Zugang zu Werbung zunichte gemacht. Und sie destabilisieren und ersetzen alte Institutionen und etablierte Vorgehensweisen, darunter politische Parteien, transnationale Organisationen und langjährige, unausgesprochene soziale Verbote gegen offene Äußerungen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.“8
Trump markiert den Übergang in die wilden, virtuellen Territorien des digitalen Universums. Plattformen wie Facebook und Twitter waren die Durchgangsportale. Aber nicht nur das. Sie haben sich als weltbewegende Triebkräfte behauptet. Ihre superreichen Eigentümer und unzähligen globalen Nutzer können in allen erdenklichen Lebensbereichen hohe Wellen, tiefe Strömungen und gewaltige Stürme auslösen. Mark Zuckerbergs Meta-Imperium umfasst drei der fünf größten Medienplattformen, Facebook, WhatsApp, und Instagram. Facebook hat gegenwärtig 3.07 Milliarden MAUs (monthly active users), WhatsApp 2.0–2.8 Milliarden, und Instagram 2.0 Milliarden. Die Videoplattformen YouTube (Google) und TikTok (ByteDance) operieren in derselben Größenordnung: YouTube hat 2.5–2.9 Milliarden MAUs und TikTok 1.6 Milliarden. WeChat, Telegram, und Snapchat kommen mit hunderten von Millionen MAUs eine Stufe tiefer zu stehen.
Weltweit versorgen die neuen sozialen Medien immer mehr Menschen mit Nachrichten und Informationen. Drahtloser mobiler Internetzugang nimmt rapide zu, ebenso die im Netz verbrachten Stunden. Das Aufschlagen einer großen gedruckten Zeitung oder Nachschlagen in einem schweren mehrbändigen Lexikon ist am Aussterben. In den USA hat sich das Informationsverhalten eingependelt. Nach Angaben des Pew Research Center bezogen 2016 etwa 62 Prozent aller erwachsenen Amerikaner ihre Nachrichten aus sozialen Medien, 2020 waren es 53–55 Prozent und vier Jahre später 54 Prozent.
Das Neue an den neuen sozialen Medien ist ihre Verankerung im Technologiefeld. Unternehmen wie Facebook, die die alten Druckmedien innerhalb eines Jahrzehnts überflügelt und weit hinter sich gelassen haben, sind dennoch keine Medienfirmen im herkömmlichen Sinne. Der Umstand, dass sie Nachrichten und Meinungen verbreiten, ist tertiär. An erster oder zweiter Stelle stehen Technologie und Profit, je nachdem welchen Hut der junge Gründer bei Gelegenheit tragen will, den des Ingenieurs oder des Großkapitalisten oder beide Hüte zugleich.
Die neuen Medien haben ein Problem mit der journalistischen Wahl von Inhalten. Ein Motto wie das der New York Times seit 1896 – All the News That's Fit to Print (alle Nachrichten, die druckreif sind) – erweckt grundsätzliches Misstrauen. Die Branche will keine redaktionelle Stimme haben, sondern offen für alles und jeden sein. Sie möchte ihren technologischen Wurzeln treu bleiben und „neutrale,” das heißt technische, Methoden zur Promotion ihrer benutzergenerierten Inhalte anwenden. Ein Insider bezeichnete dies als die Denkweise einer Engineering-First-Kultur:
- „Facebook und Google und alle anderen haben sich hinter der Mathematik versteckt. Sie sind allergisch dagegen, ein Medienunternehmen zu werden. Sie wollen sich damit nicht auseinandersetzen. Eine Engineering-First-Kultur ist das genaue Gegenteil einer Medienfirma.“9
Diese techno-libertäre Einstellung wurde im Frühjahr 2016 offenkundig, als Facebook beschuldigt wurde, konservative Inhalte „regelmäßig unterdrückt“ zu haben.10 Der aufsehenerregende Vorwurf veranlasste Facebook im August 2016, das gesamte Team seiner Nachrichtenkuratoren zu entlassen und durch einen algorithmisch gesteuerten Prozess zu ersetzen. Danach verkündigte das Unternehmen, dass sein Nachrichtenbereich „keine Menschen mehr“ zur Bearbeitung von Trendthemen benötigte. Nicht-intendierte Folgen des Wechsels zu maschinell ausgewählten Nachrichten waren gefälschte Meldungen, die viral gingen, wie zum Beispiel „Der Papst hat Donald Trump [als Präsidenten] befürwortet.“
Voreingenommenheit war für Facebook eine menschliche Schwäche, von der es sich so weit wie möglich durch objektive wissenschaftliche Berechnungen und neutralen Code zu distanzieren suchte. Das schien der beste Weg, aus der politischen Klemme zu kommen. Die Neutralität der Facebook Algorithmen ist eine andere Sache. Dagegen sprechen die sorgfältige Auswahl und differenzierte Gewichtung der für Facebook entscheidenden Parameter. Das Geschäftsmodell der Industrie, das auf gewinnsteigernden Klicks, Likes, Shares und Kommentaren beruht, verlangt einen (werbefreundlichen) Code, der die Besucher maximal engagiert. Folglich rangiert die effektive Voreingenommenheit von Facebook in seinen Algorithmen. Oder, wie eine scharfsinnige Beobachterin bemerkte:
- „Es ist diese Konstellation und nicht die verborgenen persönlichen Überzeugungen der Programmierer, durch die sich heikle Vorurteile in Algorithmen einschleichen. Deshalb ist es durchaus plausibel, dass die Belegschaft von Facebook liberal ist und die Website dennoch ein mächtiger Kanal für konservative Ideen sowie Verschwörungstheorien und Falschmeldungen sein kann. … Tatsächlich schneidet Donald J. Trump auf Facebook besser ab als jeder andere Kandidat.“11
Voreingenommene Datenverarbeitung ist ein Problem für alle sozialen Medien und online Dienste. So hat Googles Anzeigengeschäft massenhaft irreführende Anzeigen gefördert, die das Unternehmen dann durch Optimierung seiner Werberichtlinien und Suchalgorithmen einzudämmen versuchte. Im Falle von Google war ein großes Team (angeblich „Tausende”) beauftragt, „schlechte Anzeigen“ automatisch zu erkennen. Die Summe der blockierten Anzeigen war 1.7 Milliarden im Wahljahr 2016 (doppelt so viele wie 2015). Wenn man diese Anzahl bedenkt, erscheinen die industrieüblichen, maschinellen Problemlösungsversuche als der einzig gangbare Weg.
So weit so gut (oder ungut), könnte man sagen, die maschinelle Verwaltung des expandierenden digitalen Universums ist unumgänglich. Die digitalen Ereignisse übersteigen bei weitem die Gehirnkapazität menschlicher Arbeitskräfte während die nicht-technischen (algorithmisch unlösbaren) Probleme der Politik und journalistischen Ethik die Kompetenz der Ingenieure überfordern. Aber was geschieht, wenn unsere grundlegenden Werturteile nicht programmierbar sind? Sie bleiben links liegen. Auf die neuen sozialen Medien angewandt: sie werden unverantwortlich. Und das ist das gesellschaftlich relevante Kennzeichen der neuen Medien: ihre technisch-bedingte Unverantwortlichkeit.
Der Medienumsturz im Technologiefeld hat eine anarchistische Welt im Sinne des Diktums „anything goes“ erschaffen.12 Rechtsradikale haben den Anarchismus dieser Welt erkannt und voll ausgenutzt. Der Angriff auf Facebook, eine linksliberal orientierte soziale Medienplattform zu sein, kam aus der rechten Ecke und stellte die rechtsradikale Instrumentalisierung der neuen Medien geschickt auf den Kopf. Das war aber nur der Anfang. Heute, nach der zweiten Wahl von Trump, kennt die Methode kein Halten mehr:
alle Richtigstellungen von Lügen und Halbwahrheiten, die Trump zum Urheber haben, werden als „fake news“ bezeichnet,
alle Forschungsuniversitäten, die Amerika zur Ehre gereichen, werden als Brutstätten des Antisemitismus und anti-Amerikanismus unter finanziellen Druck gesetzt,
alle Anwaltskanzleien, die den Rechtsstaat und die Rechtsstaatlichkeit verteidigt haben, werden in die wirtschaftliche Enge getrieben,
alle, die am 6. Januar 2021 in Washington das Recht gebrochen haben, werden amnestiert, und
alle, die sich für Vielfalt, Gleichheit, und Inklusion eingesetzt haben, werden entlassen.
Meine Schlussfolgerung: Der Umsturz im Technologiefeld hat die alte, nach Fakten und Gerechtigkeit strebende Ordnung der Dinge über den Haufen geworfen. Trump und seine Anhänger haben die neuen Kommunikationswerkzeuge erfolgreich gegen die alte Ordnung und zugunsten alternativer Wunschmaschinen eingesetzt. Die Anarchie der neuen sozialen Medien hat zweifellos Beihilfe zum Durchbruch des Trumpschen Populismus geleistet.
Anmerkungen
1 Siehe meinen Beitrag „Wunschmachine Populismus Marke ‚Trump‘.“ 5. August 2025.
2 Siehe Marshall McLuhan, W. Terrence Gordon, Elena Lamberti und Dominique Scheffel-Dunand, The Gutenberg Galaxy: The Making of Typographic Man. Buffalo: University of Toronto Press, 2011 (1. Aufl. 1962).
3 Leonid Taycher, „Books of the world, stand up and be counted!“ (Bücher dieser Welt, erhebt euch und lasst euch zählen!). 5. August 2010.
4 Siehe Naveen Kumar, „Facebook Users Statistics (2025). New Worldwide Data.“ 8. Mai 2025.
5 Peter Sheridan Dodds, Joshua R. Minot, Michael V. Arnold, et al. „Fame and Ultrafame: Measuring and Comparing Daily Levels of `being Talked about’ for United States’ Presidents, Their Rivals, God, Countries, and K-Pop.“ arXiv, October 29, 2021.
6 Charlie Warzel und Lam Thuy Vo, „Here’s Where Donald Trump Gets His News“ (Von hier bezieht Donald Trump seine Nachrichten). BuzzFeed, 3. Dezember 2016.
7 John Herrman, „Online, Everything Is Alternative Media“ (Online ist alles alternative Medien). The New York Times, 10. November 2016.
8 Farhad Manjoo, „Social Media’s Globe-Shaking Power“ (Die weltbewegende Macht der sozialen Medien). The New York Times, 16. November 2016.
9 Ein ehemaliger Mitarbeiter von Facebook und Twitter, Antonio Garcia-Martinez, zitiert in Kate Conger, „Zuckerberg enthüllt Pläne zur Bekämpfung von Falschinformationen auf Facebook.“ TechCrunch, 19. November 2016.
10 Siehe Michael Nunez, „Ehemalige Facebook-Mitarbeiter: Wir haben regelmäßig konservative Nachrichten unterdrückt.“ Gizmodo, 9. Mai 2016. Die Gruppe, die Nunez als „Nachrichtenunterdrücker“ identifizierte, war: „eine kleine Gruppe junger Journalisten, die hauptsächlich an Universitäten der Ivy League oder an Privatuniversitäten der Ostküste ausgebildet wurden“ (a small group of young journalists, primarily educated at Ivy League or private East Coast universities). Damit war die Zielrichtung der populistischen Beschwerde klar abgesteckt.
11 Zeynep Tufekci, „The Real Bias Built In at Facebook.“ The New York Times, 19 May 2016.
12 Siehe Paul Feyerabend, Against Method. Outline of an anarchistic theory of method. London: Verso 1993 (1. Aufl. 1975). Das Buch erschien auf Deutsch unter dem Titel, Wider den Methodenzwang, und das Diktum wurde mit „alles geht“ übersetzt.