Wolf Schäfer
Im Meer Team seit April 2025
Wolf Schäfer

Ich wurde im Zweiten Weltkrieg in Halle an der Saale geboren und wuchs in den Trümmern von Frankfurt am Main auf. Also Kindheit im Jahrzehnt der Wolfszeit (Jähner). Der Bollerwagen, mit dem ich in Frankfurt Altmetall und Papier sammelte und verscherbelte, hat mich überallhin begleitet. Anfänglich wollte ich Maler werden. Künstler. Aber das wollten meine Eltern nicht. Und nach ein paar Jahren – abends als Kunstmaler und tagsüber als Baumaler (fürs Essen und die Miete der Kellerwohnung) – gab auch ich erstmal die Hoffnung auf und fasste eine akademische Karriere ins Auge.

Das ging. Studieren war und ist immer noch billig in Deutschland. Darüber hinaus halfen Begabtenförderungen, wie das Evangelische Studienwerk Villigst und die Studienstiftung des deutschen Volkes, die mich beide aufnahmen.

Ich studierte Geschichte, Philosophie, und internationale Politik in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in Marburg, Bonn, London, und München, wo ich das Studium mit dem Magister abschloss (1970). Danach wurde ich wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut. Das Institut war in Starnberg angesiedelt und hatte einen langen Namen: Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt. Die Leitung hatten Carl Friedrich von Weizsäcker und Jürgen Habermas inne. Das Institut war in interdisziplinäre Arbeitsgruppen aufgeteilt und existierte von Anfang der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre. Die Lernerfahrungen im Kontext dieser beiden Gelehrten und meiner Kollegen waren außerordentlich. Sie haben meine wissenschaftliche Wertskala nachhaltig geprägt.

Die meisten Mitarbeiter des Starnberger Instituts kamen aus der Studentenbewegung der sechziger Jahre und waren wissenschaftspolitisch unbequem. Nach von Weizsäckers Emeritierung und dem Weggang von Habermas an die Frankfurter Universität (1981) wurde daher das Institut von der Max-Planck-Gesellschaft 1984 geschlossen. Etwa dreißig wissenschaftliche Mitarbeiter mussten sich nach neuen Stellen umsehen.

1983 hatte ich meinen Doktortitel in Sozialgeschichte sowie Wissenschafts- und Technikgeschichte erworben und 1985 nahm ich eine Professur an der Fachhochschule Darmstadt in Hessen an. Das war eine Notlösung. Der Professorentitel war gut und schön, aber die Arbeitsbedingungen waren alles andere. Insbesondere das Lehrdeputat. Ein Fachhochschulprofessor, verglichen mit einem Universitätsprofessor, hatte eine mehr als doppelt so hohe Lehrverpflichtung (18 Stunden pro Woche). Das war hart für jeden, der forschen wollte. Für mich, der ich jahrelang Forschung ohne jegliche Lehrverpflichtung betrieben hatte, war es ironisch: die Wiederholung meines Kunstmalers/Baumaler Problems auf akademischem Niveau.

Was tun? Ich begann, Fühler in die USA auszustrecken. Ende der achtziger Jahre erhielt ich ein Angebot von der Staatsuniversität von New York in Stony Brook. Stony Brook University war eine aufstrebende Forschungsuniversität, schön auf Long Island gelegen und nicht weit von Manhattan. Die Position war für einen Wissenschaftshistoriker ausgeschrieben; die Lehrverpflichtung betrug acht Wochenstunden. Auf Amerikanisch würde man sagen, die Annahme der Stelle war ein no-brainer (ein Kinderspiel).

So kam es, dass meine bundesrepublikanische akademische Karriere vor dem Fall der Mauer endete und meine amerikanische mit der deutschen Wiedervereinigung begann. Rückblickend sehe ich, dass ich etwa 40 Jahre meines Lebens in Deutschland und dann noch einmal so viel in den USA verbracht habe. Ferner, dass ich mit den akademischen Welten auf beiden Seiten des Atlantiks vertraut und zweisprachig geworden bin. Und nicht zuletzt muss ich gestehen: ich hoffe, nach meiner Emeritierung (Ende 2025) doch noch Künstler zu werden, wenigstens Teilzeitkünstler.

Wovon der junge Marx 1846 in der Deutschen Ideologie träumte – „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“ – das schwebt mir fürs Alter vor: heute die New York Times lesen, morgen das Wall Street Journal, morgens in der Scheune bildhauern, nachmittags im Garten arbeiten, und abends einen Artikel für Meer schreiben, wie ich gerade Lust habe.

Artikel von Wolf Schäfer

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