In dieser Ausstellung versuche ich absichtlich, den Betrachtungsprozess zu verlangsamen und meine Augen weiter zu öffnen, und ich ermutige den Betrachter, das Gleiche zu tun. Wenn wir in die Welt zurückkehren, werden wir vielleicht etwas genauer hinschauen, vielleicht werden wir mehr Schönheit und Unterschiede in der Wildnis entdecken.
(Spencer Finch)
In seiner sechsten Einzelausstellung in Berlin führt Spencer Finch seine Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Farbe, Zeitlichkeit und dem Verhältnis von Wissenschaft und Poesie fort. Decoy vereint neue und zentrale ältere Arbeiten, die durch radikale Reduzierung eine dynamische Bewegung zwischen Abstraktion und präziser Darstellung des Ephemeren schaffen. In den Arbeiten auf Papier, Malerei und einer großen Lichtinstallation für die Fenster der Galerie gelingt es ihm, das Flüchtige und Fließende greifbar zu machen und Perspektiven zu dokumentieren, die sich oftmals unserer Wahrnehmung entziehen.
Finchs Beschäftigung mit Licht und Farbe verweist dabei stets auf die Unmöglichkeit, zu einer einzigen Wahrheit zu gelangen. Die titelgebende Serie leuchtend monochromer Diptychen spielt mit der vieldeutigen Ambiguität von Dopplungen, Spiegelungen und Täuschung. Die beiden quadratischen Tafeln jedes Diptychons zeigen den gleichen Sekundärfarbton. In jeder Tafel der Arbeiten verwendet Finch vier verschiedene Farben, um einen nahezu gleichen Ton zu erzielen. Diese sind sichtbar an den Seiten jeder Tafel und verraten so die Komposition der orangen, grünen oder violetten Flächen. Die marginalen Unterschiede verlangen eine verlangsamte Betrachtung und bestimmen die Rezeptionsgeschwindigkeit in der gesamten Ausstellung.
Seine Scent Zeichnungen erzeugen durch sinnlich verflochtene Darstellung eine synästhetische Erfahrung. Auch hier ist ein verlangsamtes Sehen entscheidend, um die Zeichnungen zu erkennen, in denen Finch auf Bilder von Monet, Matisse und Hasegawa Bezug nimmt. Was zunächst wie leere Blätter erscheint, offenbart allmählich ein Bild, das mit wechselnder Aufmerksamkeit der Betrachtenden erscheint und wieder verschwindet. Sie erzeugen die Ahnung eines dezenten Dufts und wirken wie Fragmente eines Sinneseindrucks, der kaum noch zu benennen ist. Finch unterstreicht die komplexe Vielschichtigkeit eines wahrgenommenen Moments, um gleichermaßen die Dominanz des Visuellen bei der Entstehung unserer Erinnerungen infrage zu stellen. Er hält in seinen Arbeiten fest, was sich unserer automatisierten Wahrnehmung entzieht. Flüchtige Phänomene – wie die Brechung von Emily Dickinsons Garten in einem einzigen Regentropfen auf dem Fensterglas – werden zu poetischen Annäherungen an etwas, zu dem wir nicht mehr zurückkehren können. Er schafft so sinnliche Verbindungen zwischen Vergangenem und dem Jetzt.
Einen vergleichbaren Ansatz verfolgt er mit seiner Arbeit am Fenster der Galerie. Mithilfe von Farbfiltern rekonstruiert er genau das Licht und die Farbe des Sonnenuntergangs, den er aus seinem Atelier in Brooklyn beobachten konnte. Wie dort, richtet sich der Blick auch hier nach Westen. Doch statt eines klaren Ausblicks wird die Sicht versperrt. Es kommt zu einer überlagernden Gleichzeitigkeit von Erinnerung und Gegenwart. Finch gelingt es, diesen Moment auf eine Weise festzuhalten, die über die brüchige Indexikalität einer Fotografie hinausgeht.
Das Interesse an der Sichtbarmachung visuell flüchtiger Phänomene findet besonderen Ausdruck in den Fog Studies. Darin widmet er sich der Darstellung von Nebel, um das Naturphänomen festzuhalten und die Beschränkung unseres Sehens greifbar zu machen. Ein Paradox, das es ermöglicht, die daraus resultierende Eröffnung neuer Wahrnehmungsebenen zu reflektieren.
Die Arbeiten der Ausstellung fangen unseren Blick ein, um ihn, ganz wie ein Decoy (dt. Köder, Lockvogel), auf etwas zu lenken, das sich als etwas anderes ausgibt. Ein spielerischer Trick, der unsere Sinne verführt. Finch führt uns vor Augen, dass wissenschaftliche Annäherungen an Phänomene wie Licht, Farbe und Erinnerung unzulänglich sind. Seine ruhige poetische Auseinandersetzung mit diesen schafft eine Form der Erkenntnis, die jenseits des Messbaren liegt. Sie verlangsamt unsere Wahrnehmung, um diese für die Schönheit unserer Umgebung zu schärfen, die sonst unbemerkt an uns vorüberzieht.