Die Galerie Eva Presenhuber freut sich, die Ausstellung Franz West: Die frühen werke mit Skulpturen und Objekten von 1973 bis 1992 des österreichischen Künstlers Franz West (1947-2012 in Wien, AT) aus Privatsammlungen, insbesondere aus jener des ehemaligen Galeristen und Kurators Peter Pakesch (geb. 1955 in Graz, AT) und der Galerie Eva Presenhuber, zu präsentieren. Die Ausstellung wird von einer Publikation, Fotografien von Friedl Kubelka sowie Filmvorführungen von Andreas Reiter Raabe und Bernhard Riff begleitet. Es ist die zwölfte Ausstellung der Galerie seit Beginn der Zusammenarbeit von Franz West und Eva Presenhuber.

In der vitalen, sich permanent erneuernden Kunstwelt, in der das Zeitgenössische über das Zurückliegende triumphiert, fallen Künstler:innen post mortem bis auf wenige Ausnahmen durch das Sieb der Aufmerksamkeit. Durch das stimulierende Neue gerät das einst so Frische wider die Rede von der Ewigkeit allmählich in Vergessenheit. Zwangsläufig, scheinbar naturgemäß, in einigen Fällen törichterweise und völlig zu Unrecht. Wie im Fall des 2011 ein Jahr vor seinem Tod auf der 54. Biennale für sein Lebenswerk in Venedig mit dem Goldenen Löwen gefeierten Franz West, dessen so einzigartiges wie unvergleichbares Werk 2015 im Museum Brandhorst in einen so spannenden wie aufschlussreichen Dialog mit dem Amerikaner Cy Twombly trat. Da wurde die enge, trotz ihrer biografischen und geografischen Unterschiede bestehende, künstlerische Verwandtschaft hervorgehoben und trotz des mächtigen Einflusses, den West auf seine Zeitgenossen ausübte, gerade weil er sich aus einer inneren Abwehrhaltung heraus dem Mainstream, dem Modischen und allzu Gängigen nie unterwarf. Trotz seines in den 1980ern einsetzenden Welterfolgs und trotz des mit 200 Werken angestimmten, von Christine Macel und Mark Godfrey kuratierten Lobgesangs auf seine Kunst vor 2018 im Centre Pompidou und 2019 auch der Tate Modern ist offenbar nicht zu genüge durchgesickert, wie sehr er nicht nur seiner, sondern auch unserer heutigen Zeit voraus war. Mit dem, was der Philosoph Ernst Bloch in Prinzip hoffnung über das Vergangene schrieb, dem ein unabgegoltenes Surplus innewohnt, lässt sich die künstlerisch so reiche Hinterlassenschaft des Österreichers womöglich am ehesten sehend, interpretatorisch und lustvoll erfassen.

Das für sein Oeuvre Bezeichnende sind weder aktive Verweigerung noch Aufmüpfigkeit, von der häufig die Rede war, vielmehr ein in seinem widerständigen Charakter verankerter Nonkonformismus, der die in den Köpfen so tief verwurzelten Lehren der Ästhetik in Zweifel zog, wonach, das Nutzlose und Zwecklose über alles stellend, der Gebrauchswert mit der Kunst unvereinbar ist. Für unsinnig hielt er das Auseinanderdividieren von Leben und Kunst. Gerade deshalb fertigte er wegen seines Faibles für das „ganzkörperliche Handwerkliche“ ab 1986 unkonventionelle Sitzmöbelstücke aller Art als Bestandteile seiner Ausstellungen an, jedoch anders als Beuys zuvor mit seinem „Fett-Stuhl“. Aus Fertigteilen gebastelt, mit Stoff bespannt und verfremdet, wirken die Sitzmöbelstücke in dem Sinne befremdend, dass sie das alltäglichen Dingen anhaftende Alltägliche subtil transzendieren. Statt einem Plan folgend, setzte West auf Spontanität. Gedacht waren die Plastiken nicht nur als Einladung an die Besucher, tatsächlich Platz zu nehmen, weil er die Mauer zwischen Betrachter und Kunst durchlöchern, durchbrechen und einreißen wollte, sondern auch, weil ihm viel an der körperlichen Erfahrung der Werke mit dem Gesäß, durch Berührung und Fühlen lag. Die Reduzierung der Wahrnehmung auf das Optische war ihm zu einseitig und zu wenig. Deshalb erweiterte er sie um das Haptische.

Hinzu kommt, dass West sich nie als Genie verstand, sondern als einer, der, obwohl er die derzeitigen En-vogueBegriffe „Kollektiv“ und „Partizipation“ nie im Munde führte, mit anderen kooperierte, sobald er das Gefühl hatte, etwas nicht allein bewerkstelligen zu können. Als er die fröhliche Lust verspürte, seine früher häufig neutralweißen, aus Pappmaschee modellierten, amorphen Plastiken mit Farbe zu versehen, waren die „Scheu vor der Farbe“ und der Selbstzweifel, mit Farben umgehen zu können, so stark, dass er Malerkollegen wie Herbert Brandl, Heimo Zobernig und Albert Oehlen um Hilfe bat, den Werken den letzten Schliff per bunter Bemalung zu verpassen, um sie zu vervollständigen, bis er es sich Jahre später selbst zutraute, „in den Farben zu stehen“ (Handke über Cézanne).

Er war ein Einzelner, ein Einzigartiger und Erneuerer und dabei auf Kooperation mit Künstlerkolleg:innen und Partizipation des Publikums aus, weil das von ihm Gemachte erst dadurch zum vollen Werk wurde. Alles in allem kein Künstler in der Revolte, als der er erschien, sondern ein philosophiekundiger, ungeheuer belesener Autodidakt, der auf eigensinnige Weise und in seinem Sinne neben Wittgenstein, Freud, Lacan, Heidegger, Hegel und viele andere las. Die Idee von Nietzsche: „Wenn eine Illusion einem im Leben weiterhilft, dann ist sie Wirklichkeit” begrüßte er ebenso wie Humes Gedanken, „dass es keine Kausalität gibt, sondern dass es mehr oder weniger Zufälle oder Zufallsreihen sind, worauf alles hinausläuft“ und Wittgensteins Satz „Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein.“ Der „Möglichkeitssinn“ war bei ihm stärker ausgeprägt als der „Wirklichkeitssinn“ (Robert Musil). Im Grunde hat West seine Werke parallel zu philosophischen Reflektionen kreiert.

Er war nicht nur Sammler von Kunst, sondern auch von Abfall, Ausrangiertem oder Weggeworfenen wie beispielsweise Flaschen. Statt die Fundstücke zu Sammelobjekten zu erhöhen, die, de-kontextualisiert in Vitrinen präsentiert, zu Wertstücken mutieren, verwendete er sie, kombinierend mit anderen, als Rohmaterial oder Ausgangspunkt für mit einer Gipsschicht überzogen Kreationen, so dass sie fragil anmuten und oft nicht mehr verraten, um was für Objekte es sich dabei ursprünglich handelt. Mit diesen von ihm als „Adaptive“ oder „Paßstücke“ bezeichneten Werken zielt er darauf, die Objets trouvés ihrer Benennbarkeit und Definition zu entziehen. Vor allem aber sind die amorphen „Passstücke“ dazu bestimmt, von uns in die Hand genommen zu werden, mit ihnen spielend zu hantieren, aktiv zu sein, uns mit ihnen durch den Raum zu bewegen. An den Körper angelegt, beeinflussen sie Haltung, Gestik und Motorik, ähnlich einer Zwangsjacke, deren Tragen uns bewusst macht, wie sehr wir uns determinieren. Freud referierend, den er als 20jähriger gelesen hat, materialisiert und visualisiert West ausgewachsene Neurosen. Der Mensch sei „ein Prothesengott“, sagt er. „Könnte man Neurosen sehen, sähen sie so aus“. Inneres wird hier nach außen gestülpt und so materialisiert, dass es für jeden sichtbar, erleb- und erfahrbar ist, und das mit einem Schuss subversiven Humors, von dem auch seine bemalten Collagen aus alten Fotografien auf Zeitungspapier zeugen.

(Text von Heinz-Norbert Jocks)