Wenn man vom Jodeln spricht, kommen uns sofort Bilder von Bergen, Kühen in den Sinn und Männer in traditionellen Kleidern, die seltsame Laute aus weit aufgesperrten Mündern von sich geben. Wenn wir uns aber tiefer mit dem Thema befassen entdecken wir, dass dieser spezielle Gesang an spezifische Gegenden in den Bergen gebunden ist – von der Schweiz bis ins Tirol – eine stolze Tradition also, die tief verbunden und verwurzelt ist mit den Alpen, aber gleichzeitig auch die Tendenz hat, in sich abgeschlossen zu sein, so wie es diese Täler auch geographisch meist sind.

Das muss heute allerdings nicht mehr so sein und bleiben: Meinrad Koch ist ein Beispiel für eine neue und besondere Art, diesen Gesang neu zu gestalten. Er wurde im Kanton Appenzell in der Schweiz geboren und war als Musiker und neugieriger Forscher schon immer begeistert und überzeugt vom grossen Wert des Jodels. Er hat mit grossem Respekt gegenüber der Tradition und der Herkunft angefangen, über die Grenzen hinaus zu gehen und Ideen aus dem Theater, dem Tanz bis hin zum clownesken und komischen Akrobaten einzubringen.

Der Jodel, der vorübergehend aus dem traditionellen alpinen Kontext herausgenommen wird, wird durch Meinrad Koch in Dialog mit anderen Musikstilen gesetzt, verliert dabei aber kein bisschen seine Intensität und seine Schönheit.

Was ist Jodel? Stell dir vor, du würdest es einer Person erklären die noch nie dieses Wort gehört hat.

Jodeln ist eine wortlose Gesangstechnik und ein Naturjodel besteht meist aus mehreren Teilen. Dabei wird zwischen Brust- und Kopfstimme abgewechselt. In der Region rund um den Säntis singt eine Person eine Melodie. Eine zweite Person singt die zweite Stimme dazu. Anschliessend kommt meist ein Chor, der einen Akkord dazu singt als musikalisches Fundament.

In der Schweiz bestehen ja verschiedene Jodeltraditionen. Wie unterscheiden sie sich untereinander und auch in Bezug auf andere Alpenregionen Europas?

Es gibt die Theorie, die besagt, dass sich die Landschaft in den Jodelmelodien widerspiegelt. Und tatsächlich: In der hügeligen Landschaft des Appenzells klingt der Jodel oft tänzerisch und verspielt, manchmal aber auch melancholisch und langsam getragen, während beispielsweise in Österreich und Bayern oft mit verspielten, rhythmischen Wechseln und mehrstimmigen Harmonien gejodelt wird.

Wo genau bist du geboren? An welche Erlebnisse als Kind erinnerst du dich gerne?

Ich bin in Gonten im Appenzell Innerrhoden auf einem Bauernhof aufgewachsen. Eine Kindheit zwischen grünen Wiesen, dem Rhythmus der Natur und der Musik: Von klein auf war ich von Appenzellermusik, Traditionen und Bräuchen umgeben – das hat mich tief geprägt. Das Öberefahre – also der Alpauf- und -abzug – ist eine wunderschöne Tradition, die jedes Jahr wiederkehrt. Wenn die Kühe mit ihren Glocken den Takt vorgeben und wir Sennen gesanglich den Rest beisteuern, entsteht ein einzigartiger Klangteppich. Wenn möglich, bin ich auch heute noch dabei – es ist einfach ein spezieller Moment, der Heimat, Musik, Familie und Natur verbindet.

Woran erinnerst du dich wenn du an deine ersten Jodel denkst, was du persönlich erlebt hast dabei?

Meine ersten Jodel erinnere ich vor allem vom Öberefahre, wenn wir mit den Kühen auf die Alp oder wieder ins Tal zogen. Die Stimmen der Sennen, das Echo in den Bergen und das Glockengeläut der Kühe – all das hat mich tief beeindruckt. Auch zu Hause wurde musiziert, da meine Eltern in der Volksmusik aktiv waren. Diese Erlebnisse haben meinen Zugang zur Musik und zum Jodeln stark geprägt.

Wie lernt man eigentlich zu jodeln? Gibt es Lehrer oder sogar Jodelschulen? Hattest du selber einen Jodellehrer an den du dich gerne erinnerst?

Jodeln kann man sich selbst beibringen – aber es hilft, eine Anleitung zu haben. Ich habe es zu Hause gelernt, durch Zuhören und Nachahmen. Später nahm ich Gesangsunterricht mit Fokus auf klassischen Gesang, um meine Technik zu verfeinern. Eine grosse Inspiration war Nadja Räss, die mittlerweile in Luzern ein Volksmusikstudium mit der Vertiefung Jodel aufgebaut hat. Dort kann man Jodel studieren – von der traditionellen Technik bis hin zu modernen Interpretationen.

Du bist bekannt dafür schon immer neue Wege für den Jodel gesucht zu haben, unabhängig, frei und offen für Experimente. Kannst du erklären worin deine Suche besteht?

Neugierde! Ich sehe Tradition nicht als festes Korsett, sondern als Fundament, das Raum für Neues lässt. Ich liebe es, die Essenz des Jodelns zu bewahren, aber sie mit anderen Musikstilen zu verbinden, den Jodel in neue Kontexte zu setzen und ihn in die Gegenwart zu holen. Mein Ziel ist, dass Tradition nicht museal verstaubt, sondern lebendig bleibt – indem man sie weiterentwickelt und den aktuellen Zeitgeist einfliessen lässt. Ich glaube, dass die wahre Kraft der Tradition darin liegt, indem man das Beste aus der Vergangenheit in die Gegenwart holt und mit neuen Ideen verbindet. So bleiben Traditionen relevant – werden zu einem festen, aber anpassungsfähigen Bestandteil unseres Lebens und unserer Identität.

Einmal habe ich dich in einem Video gesehen in dem du gerappt hast und getanzt wie ein Schauspieler auf einer Theaterbühne. Wie bist du dazu gekommen und was hat dir daran Spass gemacht?

Das war eine dieser Geschichten, die aus einer kleinen Begebenheit etwas Grösseres machen: Ein Kollege hatte bei einem TV-Auftritt den obersten Hemdknopf nicht zu. Daraufhin gab es Kritik vom Trachtenverband – was uns dazu veranlasste, uns intensiver mit Trachtentraditionen auseinanderzusetzen. Aus dieser Reflexion heraus entstand ein Bühnenstück, in dem wir spielerisch mit Tradition und Moderne experimentierten. Und ja – plötzlich fand ich mich rappend und tanzend auf der Bühne wieder. Die kreative Auseinandersetzung mit Tracht und Musik, der fortlaufende Dialog zwischen Vergangenheit und Zukunft – genau dafür brenne ich.

Was waren die Konsequenzen des Films Beyond tradition auf dein Leben und deine Musik? Magst du ein paar persönliche Erlebnisse schildern, die dich berührt haben während der Filmarbeit?

Es war eine grosse Anerkennung meines/unseres künstlerischen Schaffens – aber mein Leben hat sich dadurch nicht grundlegend verändert. Das Schönste an der Arbeit am Film waren die Begegnungen: In Norwegen durfte ich mit Marija Rentiere zusammentreiben, in Georgien mit einem Chor auf der Bühne stehen und ein Rugguusseli (traditionellen Naturjodel) anstimmen. Diese Momente haben mich tief bewegt und gezeigt, dass Musik überall auf der Welt eine verbindende Kraft hat.

Was für Musik hörst du sonst noch gerne?

Ich bin musikalisch ziemlich offen. Aktuell läuft bei mir viel Patent Ochsner – die Mischung aus poetischen Texten und berührender Musik fasziniert mich. Aber je nach Stimmung kann es auch etwas völlig anderes sein.

Wie ist dein Bezug zur Natur? Wo und wie erlebst du sie und wie inspiriert sie deine Art zu jodeln?

Die Natur ist für mich Kraftquelle und Inspirationsraum zugleich. Sie erdet mich, bringt mich zur Ruhe und öffnet gleichzeitig Raum für Kreativität.

Wenn ein junger Mensch gerne jodeln würde, welchen Weg würdest du ihm empfehlen?

Probier es einfach aus! Folge deinem Instinkt, hör dir verschiedene Stile an und finde heraus, was dich berührt. Ein Gesangschor oder ein paar Stunden bei einer guten Lehrperson können helfen, das Grundhandwerk zu erlernen – aber das Wichtigste ist die Freude an der Musik!

Was sagen deine Kinder und deine Frau zu deinem Musikerleben?

Meine Frau und Kinder lassen mich musikalisch wirken, und das schätze ich sehr. Bei meinen Kindern ist es mir wichtig, die Leidenschaft für Musik weiterzugeben. Ob sie irgendwann selbst jodeln oder Musik machen, ist ihre Entscheidung – aber ich hoffe, sie spüren die Magie, die Musik im Leben entfalten kann.

Welche sind deine nächsten Projekte und verrätst du uns deine stillen Träume?

Derzeit bin ich gemeinsam mit meiner Bühnenpartnerin Melanie Dörig noch bis Ende 2025 mit unserem Programm Wiibli ond Mandli unterwegs. Anschliessend ist eine kreative Pause geplant. Wie es danach weitergeht? Es gibt viele spannende Ideen, doch eine endgültige Entscheidung steht noch aus. Sicher ist jedoch: Der Fokus bleibt darauf, das kulturelle Erbe der Appenzeller Musik zu bewahren, die Traditionen zu respektieren und gleichzeitig Raum für Innovation zu schaffen. Die Reise bleibt aufregend!