In Santa y Andrés (2016) geht es um eine Landarbeiterin die loyal gegenüber ihrem Revolutionskomitee mit der Überwachung eines homosexuellen Schriftstellers betraut wird, um diesen daran zu hindern während eines Kongresses ausländische Journalisten zu kontaktieren.

Lechuga, ähnlich wie Tomas Gutierrez Alea in Erdbeer und Schokolade (1993), geht von der Begegnung zwischen zwei Figuren aus: einem Übertreter und einem Wächter der Ordnung. Aber während sich in Erdbeer und Schokolade beide Charaktere in einem städtischen Kontext näher kommen, die Liebe zur Literatur teilen und am Ende Verständnis über die jeweils andere Art sich als Teil der Revolution zu verstehen entwickeln, bleiben in Santa y Andrés offene Feindseligkeit und Missverständnisse unüberwindbar.

Carlos Lechuga synthetisiert in der Figur Andrés', dargestellt von Eduardo Martínez, konkrete Erfahrungen verschiedener kubanischer Schriftsteller, womit er sich wegen historischer Ungenauigkeit angreifbar macht. So zeichnet der Film für die einen ein zu düsteres Bild, während anderen die Darstellung der Demütigungen nicht weit genug geht. Im Gegensatz zu den Geschichten, in denen die Figuren Erfolge und Fehler der Revolution und ob es besser sei, zu bleiben oder zu gehen verhandeln, präsentiert Santa y Andrés die Umgebung so feindlich und düster, dass es kaum zum Zögern reicht.

Carlos Lechuga greift zu starken visuellen Metaphern, die zur Interpretation einladen. Indem der Regisseur ästhetische Innovationen wagt, greift er auch zu einem Modus der Autofiktion und fügt sich als Freund in die fiktive Vergangenheit der Intellektuellen-Figur Andrés in ein Foto ein, um als enger Freund unter anderen Künstlern, die womöglich verfolgt wurden oder in die Ferne gingen, zu erscheinen. Die Dialoge zwischen Santa und Andrés suggerieren dies.

Als habe der Regisseur seine Ablehnung vorausgeahnt

Zweifellos war der Regisseur sich des schwierigen Themas bewusst: Repression und Zensur Intellektueller im ländlichen Kontext. Santa y Andrés wurde sowohl in Havanna auf dem Festival Internacional del Nuevo Cine Latinoamericano, wie auf dem Havanna Filmfest en New York abgelehnt. Der Film sorgte bereits lange im Vorfeld für Kontroverse und Äußerungen von Filmemachern, Festivals und Beamten die öffentlich wurden. Carlos Lechuga mag den Finger in die Wunde gelegt haben, doch ging es den Filmemachern wohl weniger um den Inhalt des Films, als um die Verbreitung des Indepedent Films. Viele – auch jene die sich einschalteten – hatten den Film gar nicht gesehen. Bis er nach Deutschland auf das Filmfest München kam, war es still um ihn. Die Konstellation der ungenauen Charaktere in einem bestimmten historisch-geographischen Kontext hinterlassen Zweifel, sowohl an der Qualität des Films, wie an den Absichten des Regisseurs. Jedoch lässt er viel Raum für Interpretationen, die Dialoge sind insofern gut.

Eine Exegese dessen was scheint, aber nicht ist

Wir versuchen hier Mal eine völlig abwegige Interpretation, die biblische Motive erkennt und zwischen den Testamenten springt. In jener Szene, in der Andrés an seiner Rolle als Schriftsteller für die Gesellschaft zweifelt, klettert Santa (Lola Amores) mit der Agilität einer Schlange auf einen Baum, um Früchte zu ernten, die Andrés in Heimarbeit zu Konfitüre verarbeitet. Er, der – wie ein Einsiedler lebt –, isoliert und hoch oben, dem Geiste widmet, versteckt das Manuskript seines neuen Buches in der Kloake, also dem Ort, an dem genau das was unser Innerstes durchkreuzt und wo wir lieber nicht genau hinschauen endet.

Andrés findet in Eigenproduktion und dem fliegenden Verkauf von Konfitüre ein Auskommen und sucht dabei eine reduzierte Beziehung mit der Gemeinde zu erhalten. Santa zeigt stattdessen, dass diese Beziehung Hingabe, Leidenschaft und Liebe erfordert, womit Andrés, hier Adam, eine Erkenntnis erlangt, die er zuvor nicht zu haben schien. Santa gerät jedoch schon vorher zu einer Art Maria, die mit ihrem Sohn leidet, hier Andrés, und zu dessen Leidensweg und Erlösung beiträgt. Sie, die in der Regel das Haar mit einem Tuch bedeckt hält, löst ihre langen Locken und trägt ein schönes Kleid – an Maria Magdalena erinnernd –, um Andrés zu verführen und den irdischen Freuden zu nähern. Aber Andrés pflegt eine höhere und homosexuelle Liebe. Mit der Bibel in der Hand könnten wir in Andrés einen Jesus Christus erkennen, dessen Himmelfahrt – die Flucht über das Meer – unausweichlich ist. Und während Andrés seiner Auflösung und dem Verlust der Identität als Schriftsteller entgegen geht, muss Santa sich mit dem Wissen um die Mystik, derer sie teilhaben durfte, auf der Insel bestehen und die Gülle der Rindviecher kehren, von denen sie umgeben ist.

Lechugas visuelle Metaphern sind vielfältig und beflügeln die Phantasie des Zuschauers. Derart, dass für einen Bruchteil einer Sekunde das Bild des toten Ernesto „Che“ Guevara in Bolivien gedanklich aufblitzt, in jener Szene, in der Andrés sich im Krankenzimmer von dem Lanzen-, nein, dem Messerstich zwischen die Rippen, erholen soll. Zugefügt wird ihm der Stich von einem, der nicht wissen kann was er tut.