Dieses Gespräch mit Dr. Michael Laitman ist die Fortsetzung von anderen Gesprächen, die ich mit ihm hatte und durch die ich in die Kabbalá eingetaucht bin. Ich habe mir die Freiheit genommen, den Akzent am Ende zu setzen, sodass er der Aussprache im Hebräischen entspricht und so die Brücke zu Rav Laitman intakt zu lassen. Rav Laitman nennen ihn seine Studenten aus Zuneigung und Respekt, obwohl er kein Rabbiner, sondern ein Wissenschaftler und Philosoph ist.

In der Vergangenheit habe ich ihn sagen hören:

Musik hat die großartige Eigenschaft, die Verbindungen zwischen Gegensätzen ausdrücken zu können. Sie ist in der Lage, unsere Emotionen auf die abstrakteste Weise auszudrücken. Daher ist sie ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens. Es hat mich nicht mehr überrascht, dass er so gut verstanden hat, was Musik ist, als ich erfuhr, dass Dr. Laitman als Kind Klavier gespielt hat. Und wenn man ihn eine Melodie singen hört, fällt auf, dass er zwar keine ausgebildete Stimme hat, aber sehr gut intoniert hat, was auf ein musikalisches Ohr hindeutet.

Bei einer anderen Gelegenheit sagte er:

Komponisten haben ein inneres Ohr. Sie spüren ihre innere Welt durch Klänge. Es gibt verschiedene Musikstile und Komponisten. Manchmal ziehen sich Komponisten zurück, um sich selbst zu hören, aber eigentlich ist ein Komponist das Ergebnis der Gesellschaft als Ganzes. Der Unterschied zwischen einem mittelmäßigen und einem brillanten Komponisten ist also der Grad, in dem er in der Lage ist, den Schmerz und die Hoffnung der Gesellschaft als Ganzes zu fühlen. Dies hat nichts mit seinem spirituellen Niveau zu tun. Auch ein brillanter Komponist kann ein primitiver Mensch sein. Ein Komponist sollte versuchen, das Geheimnis des Lebens zu lernen, um die höchste Stufe der Komposition zu erreichen.

Ein Student fragte ihn, was Musik sei, worauf er antwortete:

Musik ist eine Sprache, die die tiefsten Gefühle eines Menschen ausdrücken kann. Sie kann eine Person anregen und erheben, die Stimmung und die Richtung der Gedanken verändern. Je nach Stil kann uns die Musik von einem Ort zum anderen transportieren. Musik weckt sofort Erinnerungen in einem Menschen und erzeugt besondere Gefühle. Worte dringen durch den Verstand in uns ein, und wir sind gezwungen, einen Mechanismus der Relation/des Vergleichs, das Gedächtnis, zu aktivieren. Musik hingegen nimmt sofort die Emotion aus der Erinnerung und weckt sie in uns, ob wir wollen oder nicht. Es dringt in die Person ein, ohne um Erlaubnis zu fragen. Musik verbindet uns mit den Bedingungen der Umgebung, in der sie gehört wird: mit Zeit, Raum, Bewegung und Ereignissen; all dies wird zusammen mit dem gehörten Klang sofort in unserem Gedächtnis wachgerufen. Musik ist die Welt und alles, was sie enthält. Es gibt etwas in der musikalischen Harmonie, das der höheren Ganzheitlichkeit in der Natur ähnlich ist. Das ist der Grund, warum Musik uns begeistert. Es gibt nichts Bedrohliches in der Musik und sie bringt stille Freude, Tränen und etwas, das sehr innerlich, persönlich und tief ist. Die ganze Natur spielt Musik und Musik kann heilen.

Im Laufe der Jahre hatte ich das Gefühl, dass all diese Fragen seiner Schüler auch meine waren, und doch gab es mehr Zweifel in mir, mehr Dinge, die ich ihn fragen wollte. Da ich so sehr in die Welt der Oper eingetaucht bin, die mir mein täglich Brot gibt, wird mir jedes Mal, wenn ich kabbalistische Musik höre, bewusst, wie weit sie von der physischen Welt entfernt ist, von der Welt der körperlichen Wünsche, von der Welt des Egos, denn ihr Wesen wird nur von unserem Streben nach einer höheren Welt wahrgenommen, einer Welt, die von den Fehlern des Egos korrigiert ist. Schon oft habe ich mir die Aufnahmen von Rav Laitmans Lehrer, dem Rabash, angehört, wie er die Melodien seines bedeutenden Vaters und Lehrers Baal Hasulam singt. Aber jetzt war ich bereit, mich mit dem Lieblingsschüler des Rabash über die Fäden, die die Unendlichkeit mit der Musik verbinden, zu unterhalten. Oder ist Musik eher eine Tür?

Und so kam der Tag, an dem ich die Gelegenheit hatte, mit ihm über Musik zu sprechen, während eines Interviews, das für Israels Kanal 66 aufgezeichnet wurde. Die Moderatorin war Norma Livne, die in Lateinamerika geboren wurde. Sie und ich sprachen also auf Spanisch, für Rav Laitman wurde alles ins Hebräische übersetzt und was er sagte, wurde für mich ins Spanische übersetzt. Ich werde nicht einen Transkript des ganzen Programms aufzeigen, sondern die Punkte nehmen, die mir am relevantesten erscheinen.

Die Moderatorin fragte Rav Laitman:

Was sind die verschiedenen spirituellen Zustände, die eine Person durchläuft, wenn sie kabbalistische Musik hört?

Ich weiß nicht, Oper ist etwas, was viel mehr als nur Musik ist, es umfasst alles, was der Mensch in unserer Welt produziert und kreiert. Es ist wirklich die größte Schöpfung, die wir in unserem kulturellen Leben haben. Die Kabbala gibt uns all das aus dem Inneren, sie (kabbalistische Musik) kann uns sogar mit ein paar einfachen Tönen begeistern, und wenn der Mensch dazu noch richtig darauf ausgerichtet ist, so tritt er in die gleiche Welle dieser Melodie ein. Auch wenn es die kleinste oder einfachste Melodie aus der Weisheit der Kabbala ist, das wichtige ist, dass diese Melodie Schwingungen in der Seele erzeugt. Dadurch wird der Mensch sehr angeregt. Auch wenn es nur einfache Töne sind, erwacht er innerlich. Es erweckt ein Meer in ihm, viel mehr als eine Symphonie oder eine Oper. Aber auch wenn ich Oper höre, habe ich einen ganz besonderen Eindruck. Es gehört zu den größten Schöpfungen der Menschheit, es umfasst alles, was die Menschheit kulturell vollbringen kann. Obwohl ich nicht aus der Welt (der Oper) komme, denke ich, dass die Oper das Genre ist, das am meisten und am besten die Schöpfung, die menschliche Natur und die Beziehung zwischen den Menschen ausdrückt; es ist das, was dem – was die Kabbala ausdrücken will – am nächsten kommt.

Warum löst die Oper so viele Emotionen aus?

Die Oper erzeugt so eine große Emotion, weil sie wirklich alles beinhaltet. Zunächst einmal ist der Prozess selbst langsam, sehr gut durchdacht, sehr psychologisch. Auch, wenn die Geschichte einfach ist… Cio Cio San, Madama Buterfly, Puccini… Verdi…; die Geschichte ist eine Geschichte, aber ebenso – ich weiß nicht, wie ich es sagen soll – denke ich, dass wir unterrichten sollten, wie Oper die Menschen verbindet. Ich erinnere mich, als ich in Moskau oder London in die Oper ging und diese Schlangen von Hunderten von Menschen sah, die letztendlich nur Hunderte unter Millionen (Opernbesucher) waren, die es nicht wirklich verstehen. Deshalb ist Bildung notwendig, genau wie auch für die Weisheit der Kabbala.

Dann war ich an der Reihe, ihn zu fragen. Ich spürte einen Sturm in meinem Kopf, also versuchte ich, mich so kurz wie möglich zu fassen.

In einem Webinar sagten Sie, dass in der spirituellen Welt Handlungen/Zustände bestimmen, was spirituelle Zeit ausmacht. Die Musik hat Strukturen, in die die Stille integriert ist, also Momente, in denen nichts passiert, die aber Teil der melodischen Struktur sind, wie Pausen oder Atemzüge. Was ist Stille in der spirituellen Welt?

Ohne Pausen würden wir nichts hören können. Die Pause ist wie die Vorbereitung des Kli, (Gefäßes) und die Pausen müssen in uns nicht weniger klingen als die Töne, die wir hören, denn wenn ich einen Ton höre und dann eine Stille, dann ist es nicht Stille, sondern es ist derselbe Ton, der umgekehrt in mir zu wirken beginnt, weil er die Stille erzeugt hat; ohne den Ton gäbe es keine Stille. Die Stille ist also der Ton, den ich jetzt höre... Die Stille, die später erscheint, gehört zu diesem vorherigen Ton und verbindet ihn mit dem folgenden. Weil wir in allen Dingen - auch im gesprochenen Wort, und nicht nur in musikalischen Werken - nicht ohne Pause auskommen können, ohne die Übertragungen zu unterscheiden, die wir zwischen dem einen und dem nächsten finden, denn in der Weisheit der Kabbala ist das die Erschaffung des Kli, des Gefäßes, des Mangels, denn ich kann einer Stille nicht richtig zuhören, wenn es nicht vorher eine besondere Pause gibt, und diese Pause muss von dem besonderen Klang kommen, der vorher kam, und dann, auf diese Weise fühlen wir die Botschaft, die in der Melodie ist.

Viele der Melodien der Kabbalisten sind vor allem aus den Psalmen von König David konstruiert. Wenn nun die Psalmen bereits spirituelle Schriften sind, was trägt dann die Musik bei, oder sind in den Psalmen Text und Musik ineinander integriert?

Nun, wir hören, dass es musikalische Werke gibt, seit wann, weiß ich nicht genau, denn die Menschen haben alles musikalisiert, was vor ihnen war. Zum Beispiel König Davids Harfe, wir wissen nicht wirklich, wie er seine Psalmen gesungen hat, denn er war als Instrumentalist und als Komponist bekannt. Es gibt einen großen Unterschied, nach der Weisheit der Kabbala, wie wir die Melodien hören, zum Beispiel die von Baal Hasulam, der viele komponiert hat... Wir benutzen sie, weil ein besonderer Geist (Ruach) in ihnen ist und deshalb respektieren wir sie so sehr, es ist Teil unseres Studiums.

Gibt es Melodien für die verschiedenen geistigen Welten: Adam Kadmon, Azilut, Beriya, Yetzirah, Asiyah, oder ist es eher allgemein, und jeder nimmt sie aus seinem eigenen Bereich wahr?

Alle Melodien (Kabbalisten) sind in Atzilut, das ist der Ort, von dem aus die ganze Botschaft wirklich ausgedrückt werden kann, nicht weniger als das, das heißt, auch die Musik und die menschliche Stimme (die alle Instrumente einschließt), müssen schon im Grad von Azilut sein.

Warum hat Baal Hasulam mehrere Melodien für denselben Text komponiert? Zum Beispiel komponiert er auf den Text von Bnei eichalah mehrere Melodien. Drückt er damit Dinge aus verschiedenen (spirituellen) Bereichen aus?

Ich weiß nicht, vielleicht sind es verschiedene Versionen von verschiedenen Zuständen, denn der Zustand von Bnei eichalah (Kinder des Palastes) kann von der Seite in Dur, oder von Moll kommen und es hängt davon ab, am Ende erreicht man einen Zustand einer besonderen Erhebung, die Schabbat genannt wird, und man gelangt dorthin auf verschiedene Arten. Ich denke, die langsame Version dieser Melodie kommt Baal Hasulam am nächsten, sie ist ihm am nächsten, so empfinde ich das.

Das ganze Interview verging wie im Fluge und ich hätte immer wieder fragen können: Was ist eigentlich Musik? Wie klingt das Universum? Was ist das Universum? Dies war nur ein kleiner Einblick in diese Welt und vielleicht ist das alles, was wir im Moment verdauen können.

Wenn ich auf diese Gespräche zurückdenke, stelle ich fest, dass ich jetzt noch mehr Fragen habe als zuvor. Vielleicht erwacht nach einer Pause ein neues Verlangen, und wenn es kommt, kommen wir vielleicht der korrigierten Welt näher, der Welt des Unendlichen, die die Kabbalisten Einsof ("ohne Ende") nennen. Wir haben zumindest die Musik der Kabbalisten. Hören wir es uns an und fragen wir weiter.