Nach 19 Monaten Haft wurde der frühere brasilianische Präsident Luis Ignacio Lula da Silva in der Stadt Curitiba freigelassen, wo er wegen passiver Korruption zu 8 Jahren und 10 Monaten Haft verurteilt wurde, ohne dass das Gerichtsverfahren abgeschlossen war. Der Oberste Gerichtshof entließ ihn mit der Begründung, dass der Prozess nicht abgeschlossen sei, und verfügte seine Freilassung. Es sind noch 9 weitere Klagen wegen Korruption und Geldwäsche anhängig.

Der frühere Präsident hat alle Anschuldigungen zurückgewiesen, Schuldgeständnisse oder verkürzte Gerichtsverfahren nicht akzeptiert. Er hat klar gesagt, dass es sich um eine politische Verfolgung handelt, die nur versucht, seine Person, seine Partei, die Arbeiterpartei, und die Linke zu diskreditieren. Der Richter, der ihn beschuldigte und inhaftierte, wurde in der Regierung des ehemaligen Militärs Jair Messias Bolsonaro zum Justizminister ernannt.

Lula hatte vor einigen Monaten erklärt:

„Sie müssen den Prozess nur unparteiisch analysieren, um zu erkennen, dass Moro entschlossen war, mich zu verurteilen, noch bevor er die Anzeige der Staatsanwaltschaft erhielt. Er befahl, in mein Haus einzudringen und mich ohne schriftliche Aufforderung zur Zeugenaussage vorzuladen. Er hat mein Telefon, das meiner Frau, meiner Kinder und sogar meiner Anwälte angezapft - etwas sehr Ernstes in einer Demokratie.“

Brasilien ist mit 8,5 Millionen km 2 und 210 Millionen Einwohnern das fünftgrößte Land der Welt. Der frühere Präsident Lula, Sohn einer armen Familie, erzählte, er habe zum ersten Mal im Alter von 7 Jahren Brot probiert (A.d.Ü: in Brasilien sind Bohnen das Essen der Arment). Er war sowohl als als Metallarbeiter und Gewerkschaftsführer gegen die brasilianischen Militärdiktaturen aktiv.

Er erlangte zweimal die Präsidentschaft der Republik (2003-2006 und 2006-2010), womit er das Machtmonopol in einem Land brach, in dem weiße konservative Sektoren mit engen Verbindungen zu Bankwesen, Industrie und Land, traditionell ihre Herrschaft in einem multikulturellen und multiethnischen Land ausgeübt haben. Zu den wichtigsten Meilensteinen seiner Präsidentschaft gehört, dass fast 30 Millionen Brasilianer durch das „Null Hunger“- Programm aus der Armut befreit wurden, welches als der weltweit größte Transfer öffentlicher Mittel in arme Sektoren gilt. Regie führte José Graziano, den Lula 2002 zum außerordentlichen Minister für Ernährungssicherheit ernannte. Jahre später, ab 2012, wurde Graziano zweimal hintereinander zum Generaldirektor der FAO gewählt.

Lula ist national und kontinental führend in Lateinamerika. Seine Freilassung hat Präsident Bolsonaro und seinen Justizminister sehr nervös gemacht. Er erklärte: "Die Mehrheit des Kongresses kann das Gesetz oder die Verfassung ändern", so dass sie den ehemaligen Präsidenten erneut inhaftieren könnten.

Nach seiner Freilassung erklärte Lula, dass er sich dem politischen Kampf seines Landes anschließe, um die derzeitige Regierung abzusetzen, die einen ausgeprägten neoliberalen Akzent in wirtschaftlicher und einen konservativen in politischer Hinsicht hat. Er hat Begeisterung über die Grenzen Brasiliens hinaus geweckt und wurde vom gewählten Präsidenten Argentiniens, Alberto Fernández, begrüßt, der wie viele andere politische Persönlichkeiten Lateinamerikas ein aktiver Verteidiger des ehemaligen Präsidenten war und sogar nach Rom reiste, um sich mit Papst Franziskus zu treffen, um für Lulas Freilassung zu intervenieren.

Brasilien ist aufgrund der Größe seiner Wirtschaft die wichtigste Macht auf dem Kontinent. Wenn es Lula gelingt, sich von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu befreien, wird er 2022 mit 77 Jahren wieder für die Präsidentschaft kandidieren können. Das ist die große Angst der konservativen Sektoren Brasiliens, die in Lula eine Bedrohung für den Lebensstil einer Minderheit sehen, die Privilegien genießt, von denen ein Großteil der brasilianischen Gesellschaft ausgeschlossen ist.

Übersetzung von Anke Kessler.