Eva Presenhuber freut sich, die fünfte Einzelausstellung mit dem kanadischen Künstler Steven Shearer zu präsentieren.

Seit mehr als zwanzig Jahren arbeitet Shearer mit einer großen Bandbreite an Materialien, darunter Druck, Skulptur, Malerei, Zeichnung und collagierte found photography. Für seine Portraits, die er in Innenräumen verortet, ist Shearer international bekannt. Diese Portraits rufen Figuren aus vergangen Musik-Subkulturen auf und beziehen sich in ihrer Ausführung auf Stile von Fauvismus und Symbolismus bis zur Deutschen Romantik. Indem Shearer das perspektivische System der Renaissance rekonfiguriert, erzeugt er komplexe perspektivische Systeme innerhalb seiner Kompositionen, die eine Verbindung zwischen Betrachter und Gemälde entstehen lassen.

Die Ausstellung präsentiert Gemälde und Zeichnungen, von denen die meisten Archetypen von Künstlern im Atelier mit ihren Musen darstellen. Wobei die Personen eher Effigien – puppenhafte Figuren, die Persönlichkeiten darstellen und repräsentieren – ähneln als Portraits von tatsächlichen Personen. In vielen Fällen scheint das Interieur, das die Figuren umgibt, ihre jeweilige Psychologie, wie im Symbolismus üblich, zu spiegeln.

Atheist’s Commission (2018) stellt einen Künstler dar, der dem Betrachter in einer offenen und konfrontativen Weise entgegentritt: Die Arme weit ausgestreckt, den Körper und die gestreifte Hose tief in eine Couch versunken. Über der gemusterten Couch ist seine Auftragsarbeit: Die Version eines religiösen Gemäldes, das den Torso und den Kopf eines Körpers zeigt, der sich einmal über die Leinwand streckt. Der Körper ist zierlich; unter der fahlen, pinken Haut scheinen dünne, fein ausgeführte Adern hindurch. Das Fleisch ist einerseits vage sexualisiert, andererseits gedunsen leichenhaft. Es ist, als würde der Künstler auf die Scheinheiligkeit religiöser Gemälde anspielen, in denen die Darstellung von totem Fleisch in Extase den Geist des Körpers darstellt, der in der physischen Welt zwangsläufig mit Tod und Verfall endet. Mit den überladenen Goldverzierungen, die den aufstrebenden Körper umgeben, stellt das Gemälde eine atheistische und anmaßende Aktualisierung eines religiösen Motivs dar.

In einem anderen Gemälde, Uncle Hermann (2018), hält ein Künstler die kleine Skulptur einer Frau, die ein Kind wiegt. Mit einem improvisierten Vorhang im Hintergrund, einer alten Schürze und der karikierten Körperlichkeit, in der der Künstler die Figur hält, scheint das Bild eine B-Version der klassischen Erzählung des Künstlers im Atelier zu sein.

Tatsächlich sind die Skulptur und die Farben grün, gelb und pink als color-block im Gesicht der Figur den Arbeiten des Schweizer Malers Hermann Scherer ähnlich – einem weniger bekannten Kollegen Ernst Ludwig Kirchners aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Die klangliche Ähnlichkeit von Shearer und Scherer ist kein Zufall. Manchmal nutzt Shearer subtile Echos aus der Kunstgeschichte, um seine eigene künstlerische Subjektivität zu verordnen. Die Szene verdichtet die Zeit, die der Künstler arbeitend im Atelier verbracht hat, möglicherweise monatelang. Gleichzeitig stellt man sie sich als eine Geschichte vor, in der der Künstler Roulette mit seinen Nachkommen spielt.

The Late Follower (2017) erinnert ebenfalls an eine vergangene Ära samt Setting. Das Gemälde ist das Portrait eines abgeschnittenen Körpers. Es ist der Torso einer Statue auf dem Bock eines Bildhauers. Die Figur ist mit einer solchen Aufmerksamkeit für den menschlichen Ausdruck ausgeführt, dass die Statue zwangsläufig menschlich wirkt. Die Figur ist muskulös, entschieden nicht ausgekehlt, hat blaue katzenartige Augen und trägt ein geschupptes Kettenhemd. Die Arbeit erinnert an Shearers Vivisektionszeichnungen, die Figuren aus der Sphäre der Untergrund- Musik mit Fantasien von Selbstverstümmelung verbinden und damit den Körper im Verfall untersuchen. Die Statue wird von unfertigen Leinwänden, Möbeln und einer geisterhaften Figur gerahmt, die wirkt, als würde sie einen Pinsel über eine Leinwand führen und die teilweise von einem Stapel weiterer Leinwände verdeckt wird. All diese Effekte tragen zu einem Trompe-l'oeil-Effekt bei. Die Statue ist ein Gemälde im Gemälde, unabhängig davon wie real sie wirkt.

Shearers Gemälde sind so sehr in die Kunstgeschichte eingebettet, dass man annehmen könnte, das jedes einzelne einen bestimmten Vorläufer hat, was aber nicht unbedingt der Fall ist. Die Ähnlichkeit, die die Gemälde erzeugen, basiert nicht auf einer konkreten Person, sondern wird von einer Verdichtung von Gesichtern der Vergangenheit und der Gegenwart hervorgerufen. Shearer schafft sein eigenes Universum an Archetypen, in dem die Charaktere über die Bilder hinweg miteinander verwandt zu sein scheinen. Allerdings ist die Verwandtschaft nicht die einer Familiengenealogie. Es scheint so, als hätten die Figuren sich gegenseitig geschaffen, als wären die kleinen Figuren in The Chiseller’s Figurines (2018) lebendig geworden und stammten aus einem anderen Gemälde, oder als würde der Maler aus Working from Life (2018) an den anderen Gemälden in der Ausstellung arbeiten. Die Verzerrungen und Spiegelungen, die sich aus de