Es hatte etwas Warmes, Ewiges an sich.
Es wird bleiben, was wir für andere waren,
Bruchstücke, Fragmente von uns,
die sie zu sehen glaubten.
Es bleiben die Träume von uns, die sie genährt haben
und wir waren nie dieselben,
sondern immer wieder jene schönen Fremden,
jene Passagiere der Nacht, die sie erfunden haben
und die flüchtigen Schatten
in alten vergessenen Spiegeln gleichen.(Mikhaël Hers: Passagiere der nacht [Originaltitel: Les passagers de la nuit], Nord-Ouest Films, Frankreich 2022)
Inspiriert hat mich Mikhaël Hers‘ Film Passagiere der nacht, der im Paris der achtziger Jahre spielt – ein Film über die Kraft und Bedeutung von Beziehungen. Es ist nicht der Inhalt des Films – er erzählt die Geschichte der 50-jährigen Elisabeth, gespielt von Charlotte Gainsbourg, die aus ihrer verzweifelten Labilität zu Optimismus und Lebensmut zurückfindet –, sondern seine Melancholie, die fragmentarische Erzählweise, das Unausgesprochene zwischen den Dialogen, das über den Bildern schwebt und allem eine einfühlsame, zarte Leichtigkeit verleiht, wie es im kurzen Schlussmonolog so poetisch formuliert ist.
Dieses Undefinierbare, kaum zu Beschreibende, die tastende Sehnsucht nach Lebendigkeit und das unausweichlich Vergängliche eines sich im ständigen Übergang befindenden Seins schwingt auch in den Bildern der Monotypie-Serie City of dreamers (2025) und den Pastellen mit, genau wie die Frage, was es eigentlich bedeutet, ein Mensch zu sein – jemand, der fühlt, träumt, Beziehungen zu den anderen braucht, um existieren zu können. Der Illusionen und Wünsche hat, Verliebtheit, Schmerz und Genuss empfindet, und das in einer immer mehr aus der Kontrolle geratenden und hochgradig technisierten Welt, in der sich das gereizte Gefühl zunehmender Machtlosigkeit gegenüber allen sich anbahnenden Katastrophen ausbreitet. Am Ende sind wir moderne Höhlenmenschen, deren Grundbedürfnisse sich seit Jahrtausenden nicht geändert haben. Und solch ein Grundbedürfnis ist Nähe und Verbindung; danach suchen wir immerzu, ob nun bewusst oder nicht, denn es ist essenziell. Die Bilder sind ein Ensemble aus Porträts, Höhlenbildnissen und menschenleeren Gegenden, posthumanen Landschaften.
Ein Junge steht, nur mit einem Handtuch bekleidet, auf einer Brachfläche, und über ihm hängt eine trübe Sonne: Der letzte Mensch. Was, wenn es nun so wäre, so lakonisch und so unpathetisch, wie das Bild mit dem Titel kollidiert? Wenn da wirklich der letzte Mensch steht mit seinem dürftigen Handtuch und etwas benommen in die lebensfeindliche Umgebung grinst? Wir sind ja alle noch Höhlenmenschen, die aber inzwischen eine Atombombe bedienen können. Die Höhlen erlauben jedoch noch eine ganz andere Assoziation, sie sind gleichsam eine Einladung, in unser Unbewusstes hinabzusteigen und jene verborgenen Schätze zu heben, die den Kern unseres Wesens ausmachen. So heißt es in Goethes Zueignung: „Wie viel bist du von andern unterschieden? / Erkenne dich, leb mit der Welt in Frieden!“.
Und vielleicht ist das auch die Antwort auf die Frage nach unserem Menschsein, eine Frage, die Kunst immer wieder stellt und stellen wird: unsere Fähigkeit, miteinander in Austausch zu treten, abstrakt zu denken, die Perspektiven zu wechseln. Und eine Welt zu erschaffen, die wir dank unserer Vorstellungskraft imaginieren können. Dazu braucht es Mut, Zuversicht und Bereitschaft. Wir leben alle in der City of dreamers.
(Text von Ulrike Theusner, 2025)