Im August 2021 ging in ganz Deutschland eine öffentliche Toilette durch die Medien. Die Toilette selbst war dabei unspektakulär, es war eine, wie es sie tausendfach in Deutschland gibt. Aufmerksamkeit erregte die Bezahlung: Männer konnten kostenlos auf Toilette gehen, während Frauen 20 Cent zahlen mussten. Begründet wurde dies damit, dass Männer durch die kostenlose Nutzung motiviert werden sollten die Toilette auch zu nutzen1. Zugegeben: das ist ein sehr plakatives Beispiel, wenn auch kein Einzelfall. Es zeigt, dass viele Projekte aus männlicher Perspektive geplant werden.

Planungsbüros und Tiefbauämter sind dominiert von Männern, weshalb Städte, aber auch Dörfer auf deren Bedürfnisse zugeschnitten sind. Männer bewegen sich jedoch ganz anders fort als Frauen. Nach wie vor geht meist der Mann einer Vollzeitarbeit nach, während die Frau sich um die Care-Arbeit kümmert, das heißt Kinderbetreuung, Pflege oder Hausarbeit. Auch wenn diese Rollen gerade aufgebrochen werden, ist diese Aufteilung nach wie vor die häufigste.

Der Weg zur Arbeit gestaltet sich meist so: vom Haus geht es direkt zum Auto, mit diesem wird zur Arbeit gefahren und am Abend dann das ganze wieder zurück. Vollzeit Berufstätige sind dabei im Schnitt 59 Kilometer pro Tag unterwegs2. Die Wege von Menschen, die sich um Care-Arbeit kümmern, sehen hingegen ganz anders aus. Ein Tag könnte beispielsweise so aussehen: morgens werden die Kinder in den Kindergarten gebracht, dann wieder nach Hause oder zur Arbeit. Im Anschluss werden die Kinder wieder abgeholt und der Einkauf wird erledigt. Am Nachmittag werden die Kinder in den Sportverein gebracht und wieder abgeholt. Es werden also viele Begleit- und auch Freizeitwege zurückgelegt. Im Schnitt sind Hausfrauen und -männer mit 24 Kilometern pro Tag trotzdem weniger unterwegs als Vollzeit Berufstätige, benötigen für ihre Erledigungen jedoch lange, da sie oft langsamere Verkehrsmittel nutzen als Vollzeit Beschäftigte, die meist das Auto nehmen.

Neben diesen Zahlen gibt es jedoch nur sehr wenige Daten zur geschlechterspezifischen Mobilität. Nach wie vor wird selten die Unterscheidung gemacht zwischen Frauen und Männern, geschweige denn werden weitere Menschen der FLINTA, das heißt Lesben, inter-Personen, nicht-binäre Menschen sowie trans- oder agender-Personen berücksichtigt.

Durch die männlich geprägte Planung wird die Infrastruktur also darauf ausgerichtet, dass Vollzeit arbeitende Männer möglichst schnell mit dem Auto vorankommen. Wer zu Fuß, mit dem Rad oder dem öffentlichen Verkehr vorankommen möchte, hat dabei häufig das Nachsehen. Denn auch die Fahrpläne des öffentlichen Verkehrs sind ganz auf die Vollzeit arbeitende Bevölkerung ausgerichtet. Während morgens die Taktung sehr hoch ist, wird sie über den Tag verteilt meist wieder reduziert – zum Leidwesen derer, die nicht zur Rush Hour unterwegs sind. Dies ist in der Regel keine böse Absicht. Es wurde und wird schlicht nicht anders gelehrt und hat sich so verfestigt. Erst langsam kommt Veränderung in den Gang.

Es ist jedoch nicht nur die Mobilität, die ganz auf die Bedürfnisse von Männern ausgerichtet ist, wie das Beispiel der Toilette aus Osnabrück zeigt. Auch diese Situation werden die meisten Frauen kennen: nachts auf dem Nachhauseweg hat man das Handy am Ohr und gibt vor zu telefonieren, den Schlüssel immer zwischen den Fingern parat oder das Pfefferspray griffbereit in der Tasche. Häufig auch alles drei. Grund dafür ist, dass Infrastruktur nicht so gebaut wird, dass sich alle Menschen sicher fühlen und sogenannte Angsträume erst gar nicht entstehen. Die Folge: 83 Prozent der Frauen zwischen 16 und 39 Jahren gehen seltener aus dem Haus, um Gewalt und Belästigung aus dem Weg zu gehen3.

Eine Lösung ist die intersektionale Stadtplanung. Intersektionalität bedeutet, dass Wechselbeziehungen zwischen sozialen Ungleichheiten, zum Beispiel reich und arm betrachtet werden4. Diese Lösung wurde schon 1980 von Dolores Hayden vorgeschlagen. Ihrer Idee nach sollen in der Planung von Wohngebieten sowohl Hausfrauen/-männer aber auch Vollzeitbeschäftigte gleichberechtigt miteinbezogen werden. Sie forderte aber auch mehr soziale Durchmischung in Wohngebieten und die Einstellung staatlicher Programme und Gesetze, die das Rollenbild der Frau als unbezahlte Arbeitskraft zu Hause manifestieren. Für die Realisierung hat sie sogenannte Homes-Gruppen entwickelt. Homes steht für „Homemakers Organization for a More Egalitarian Society”, was in etwa für “Hausfrauen für eine gleichberechtigte Gesellschaft“ steht. Die Gruppen sind dabei gleichberechtigt geplante und sozial durchmischte Wohngebiete. In fußläufiger Entfernung gibt es dort einen Kindergarten mit Küche, die das Mittagsessen vor Ort zubereitet, aber auch Essen auf Rädern anbietet, eine Wäscherei, eine Küche, ein Lebensmittellager, Carsharing-Parkplätze, einen Gemeinschaftsgarten und ein Büro, das älteren Menschen zu Hause Unterstützung anbietet, aber auch arbeitenden Eltern unter die Arme greift, wenn deren Kinder krank sind5. Die meisten Erledigungen des Alltags sind so in fußläufiger Entfernung erreichbar.

In die Tat umgesetzt wurden ihre Ideen nur partiell. Ein Beispiel dafür ist die Frauen-Werk-Stadt in Wien, ein Wohngebiet, das nur von Frauen geplant und 1997 fertiggestellt wurde. In diesem Wohngebiet ist alles in wenigen Minuten erreichbar: Geschäfte, Kindergärten, Gemeinschaftseinrichtungen, Ärzt:innen und sogar ein Polizeiwachzimmer. Besonderes Augenmerk wurde auch auf großzügige Freiflächen zum Spielen und Begegnen gelegt. Aufgrund des großen Erfolgs des Projekts wurde Frauen-Werk-Stadt II ins Leben gerufen mit ähnlichen Voraussetzungen. Hier wurde dann der Fokus auf altersgerechtes Wohnen und Leben gelegt6.

Wenn jedoch nur neue Wohngebiete mit anderen Augen betrachtet werden, wird eine Veränderung hin zu einer inklusiven Stadt entsprechend lange dauern. Es muss jedoch nicht immer gleich ein ganzes Wohngebiet umgeplant werden, auch einzelne Maßnahmen können umgesetzt werden. So hat die Stadt Umeå einen Tunnel am Bahnhof so gestaltet, dass sich alle Menschen sicher fühlen. Breite Eingänge sorgen dafür, dass viel Licht hineinfällt, in der Mitte gibt es einen weiteren Ausgang, es gibt keine Möglichkeiten sich zu verstecken und runde Ecken am Ausgang sorgen dafür, dass das Ende besser gesehen werden kann. Aber auch die Naturgeräusche, die über Lautsprecher abgespielt werden, sorgen für eine ruhigere Atmosphäre. Der ganze Tunnel wird zudem nicht nur als Durchgangsweg genutzt, sondern als eine Art Mini-Museum. An den Wänden entlang sind Zitate der schwedischen Autorin Sara Lidman zu lesen. Vorbeigehende können sogar auf Abspielknöpfe drücken und sich Textpassagen ihrer Bücher anhören7.

In der Theorie gibt es inzwischen genügend Konzepte und auch Praxisbeispiele zeigen, wie es gehen kann. Für eine Umsetzung im Alltag braucht es jedoch mehr als das. Zu warten, bis Universitäten den Lehrplan anpassen, um eine neue Generation von Stadtplaner:innen zu entwickeln, ist dabei nicht notwendig. Schon jetzt können Städte für ein Umdenken sorgen.

Ein erster Ansatz wäre, Frauen bei gleicher Qualifikation bei Einstellungsgesprächen zu bevorzugen. Allerdings gibt es noch nicht genügend Stadtplanerinnen, um Tiefbauämter und Planungsbüros ausgeglichen besetzen zu können. Aus diesem Grund sind die jetzigen Stadtplaner:innen gefragt, jedoch auch Politiker:innen. Bereits zu Beginn der Planung eines Stadtviertels, aber auch kleinerer Projekte wie eines Tunnels, sollten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die Bedürfnisse aller Menschen berücksichtigen. Dafür sollten alle Menschen, die betroffen sind, mit an einen Tisch geholt werden. Dazu gehören nicht nur Menschen verschiedener Geschlechter, sondern auch Menschen mit Behinderung oder aus unterschiedlichen Altersgruppen. So werden die Interessen und Bedürfnisse aller Gruppen berücksichtigt und Geld gespart, wenn so Fehlplanungen vermieden werden.

Ein weiterer Ansatz ist Stadtplaner:innen, Polizist:innen und allen Stadtangestellten spezifische Trainings zu Intersektionalität anzubieten, nicht nur in der Stadtplanung, sondern in allen Bereichen. Wichtiger Bestandteil ist außerdem die gezielte Förderung von Frauen und Mädchen in ihrer Ausbildung, um deren Anteil bei der Stadtplanung zu erhöhen.

Der Weg zu einer Stadt, in der alle Menschen ihre Wege nach ihren Bedürfnissen sicher und gemütlich zurücklegen können, ist noch ein langer. Eine lebenswerte und die Gleichberechtigung fördernde Stadt ist dabei leicht zu erkennen: Kinder fahren ohne Sorgen mit ihren Freund:innen Fahrrad, Menschen in Rollstühlen können sich ohne Hindernisse auf dem Gehweg fortbewegen, Eltern mit Kinderwägen müssen sich nicht zwischen Autos und Hecken hindurchzwängen, alte Menschen sitzen auf Bänken, die sie zum Erholen einladen und junge Menschen können auch nachts ohne Sorge vor einem Angriff nach Hause gehen. Das klingt einfacher umzusetzen als es tatsächlich ist. Zeit wird es.

Anmerkungen

1 NDR. (10. August 2021). Abgerufen am 03. Februar 2022 von Nur für Männer gratis: Protest wegen WC in Braunschweig.
2 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. (2019). Mobilität in Deutschland - Ergebnisbericht. Bonn: 29.
3 MDR. (08. Marz 2021). Abgerufen am 03. Februar 2022 von Aus Angst vor Gewalt: Frauen schränken ihre Freiheit ein.
4 Heinrich-Böll-Stiftung. (18. April 2019). Abgerufen am 03. Februar 2022 von Was ist Intersektionalität?
5 Hayden, D. (1980). What Would a Non-Sexist City Be Like? Speculations on Housing, Urban Design, and Human Work. Signs, 5(3), S. 181f.
6 Stadt Wien. (kein Datum). Abgerufen am 03. Februar 2022 von Alltags- und Frauengerechter Wohnbau.
7 Stadt Umeå. (kein Datum). Abgerufen am 03. Februar 2022 von About The gendered landscape.