Diese Ausgabe soll Antworten auf Fragen geben, welche in der momentanen Debatte der Venezolanerinnen eine grosse Rolle spielen. Die erste bezieht sich auf die Wahlsituation, wo es unter anderem eine intensive öffentliche Debatte über das Selbstverständnis der Kandidaturen innerhalb des Chavismus gibt. Die zweite Frage beschäftigt sich mit dem Verschwinden eines historischen Kämpfers der venezolanischen Linken, wo inzwischen zu einer kollektiven Suche im ganzen Land aufgerufen wurde. Und in der dritten Fage geht es um eine kurze Einschätzung dessen, was die Pandemie bisher für die venezolanische Bevölkerung bedeutet hat. Zum Schluß gibt es wieder einige kurze Nachrichten.

Wo ist Carlos Lanz?

Dies ist die Frage, die sich verschiedene politische, soziale und militante Organisationen in Venezuela seit fast zwei Wochen täglich stellen. Im sozialen Netzwerk Twitter liefen die Drähte heiss und in verschiedenen Straßen kann man Wandgemälde mit dieser Frage zu sehen. Damit soll die Suche nach diesem Genossen intensiviert werden.

Für seine Familie fungiert sein Sohn Alex Lanz als offizieller Sprecher. Seinen Aussagen zufolge verließ Carlos Lanz am 8. August sein Haus und seitdem ist sein Verbleib unbekannt. Der Generalstaatsanwalt der Republik, Tarek W. Saab, erklärte vor etwas mehr als einer Woche, dass sie dabei seien, die Geheimdienstaufgaben zu entwickeln, und dass sie für spezialisierte Teams der Polizeikräfte verantwortlich seien. Der Sprecher der Familie Lanz teilte mit, dass Mitglieder der Regierung mit ihm kommuniziert und ihn über das Verfahren im Zusammenhang mit der Durchsuchung informiert hätten, aber bis heute gibt es keine offizielle öffentliche Erklärung seitens der bolivarischen Regierung dazu.

Carlos Lanz ist ein militanter Revolutionär, der sich seit den sechziger Jahren sehr aktiv politisch engagierte. Er ist Soziologe, Autor zahlreicher Bücher und der Bruder von Rigoberto Lanz, einem der linken venezolanischen Intellektuellen, die für das Verständnis des Landes von großer Bedeutung sind. In seiner politischen Laufbahn hat er zur Organisation der Bevölkerung und des kritischen Denkens in Venezuela und Lateinamerika beigetragen. Insbesondere hat er sich systematisch mit den neuen Formen der Aggression gegen Venezuela auseinandergesetzt. In der bolivarischen Revolution hat er seit dem Verfassungsgebungsprozess von 1999 an einem großen Teil der Bildungsreform mitgewirkt und zur Entwicklung der "Arbeiterkontrolle" in Alcasa beigetragen, das zu den in der Eisenzone im Süden des Landes ansässigen Unternehmen gehört.

In verschiedenen Foren wurden zahlreiche Hypothesen diskutiert. Seine Familie geht von einer "politische Entführung" aus. Leider verringert sich mit jedem Tag, an dem man ihn nicht findet, die Wahrscheinlichkeit ihn noch lebend zu finden.

Bricht der Chavismus auseinander?

Im Vorfeld der Parlamentswahlen ist in den Reihen des Chavismus die Debatte über die revolutionäre Einheit wieder aufgeflammt. Im Prinzip handelt es sich um eine Debatte über taktische Positionen, die einige grundlegende Spannungen zum Ausdruck bringt. Konkret strebt die Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas PSUV bei den Wahlen die Festigung ihrer Reihen an, die ihre Hegemonie in der bolivarischen Revolution zeigen soll. Demgegenüber finden wir kleinere Organisationen, die sich als Chavistas verstehen, aber ihre Autonomie beanspruchen und sich als Revolutionäre Alternative des Volkes bezeichnen. Viele rechte Beobachterinnen glauben, dass dies der Ausdruck des Auseinanderbrechens des Chavismus ist, der von ihnen gewünschten Implosion, die der Anfang vom Ende der bolivarischen Revolution wäre. Es scheint mir, dass es sich dabei aber mehr um eine Wunschvorstellung der Oppositionsorganisationen handelt, die durch ihre eigenen ständigen Fehler und Fehlschläge frustriert sind.

Wenn man den Chavismus analysiert, ist es wichtig zu verstehen, dass er das Erbe einer charismatischen Führung ist, die organisatorische Strukturen, wie jene, die die nicaraguanische und kubanische Revolution aufrechterhalten, im hinter sich gelassen hat. Präsident Chávez hat zwar unermüdlich die politische Organisation der Bevölkerung gefordert und gepredigt, aber zum Zeitpunkt seines tragischen Todes war deren Entwicklung noch nicht gefestigt. Als also der Anführer, der die Spannungen in diesem Prozess gehandhabt und eine Ordnung aufgebaut hatte, starb, begannen die verschiedenen politischen Akteurinnen einen Streit, um ihren jeweiligen Standpunkt durchzusetzen und sicherzustellen, dass dieser sich bei der Weiterentwicklung der Revolution durchsetzt. Dazu griffen sie auf verschiedene ihnen zur Verfügung stehende Ressourcen zurück.

Die politischen Akteurinnen, die über die neue Zusammensetzung der Macht streiten, legen ihre Loyalität gegenüber Chávez jeweils unterschiedlich aus. Sie bedienen sich seiner vielen geäußerten Gedanken, um ihre jeweiligen Ansätze zu legitimieren und dafür einen fruchtbaren Boden zu finden und werden da auch fündig, da es in der politischen und diskursiven Entwicklung des Führers unterschiedliche Reden oder Reflexionen gibt, die zum Teil sogar gegensätzliche Positionen zu einem Thema darstellen können.

Um ein Beispiel zu nennen: Ein Chavista mag heute behaupten, dass ein dritter Weg gangbar ist (d.h.:jenseits Kapitalismus und Sozialismus) und politische Reflexionen von Chávez finden, die diese Behauptung untermauern, auch wenn der Präsident sich politisch später weiter entwickelte und sich selbst dann als Sozialist, ja sogar als Kommunist, verstand und bezeichnete. Wer sich für die Arbeiterkontrolle in den Betrieben einsetzt, findet bei Chávez einen Diskurs, der diese Position legitimiert, und einen, der diese in Frage stellt und die Rolle der Privatwirtschaft hervorhebt.

Seit einiger Zeit findet innerhalb des Chavismus eine Neuorganisierung dieses Prozesses - vor dem Hintergrund der Aggression gegen das Land. Diese Auseinandersetzung findet in einem politischen Teil des Chavismus statt, der an der Spitze steht – ausgenommen einiger historisch-politischen Fraktionen wie etwa die Kommunistische Partei Venezuelas. Präsident Maduro forderte in diesem Kontext dazu auf direkt hinterfragt zu werden und übernahm die Verantwortung für die aktuelle Auseinandersetzung, als Antwort auf die intern geäusserte Kritik. Ich denke, dies ist eines der wenigen Male, wo unterschiedliche Positionen öffentlich deutlich gemacht wurden. Maduro sah sich dabei selbst als eine Führungspersönlichkeit, die den Fragen zu hört ohne seine Position aufzugeben.

Was sind die Auswirkungen für die Zukunft? Wahrscheinlich wird ein anderer Chavismus - als der ursprüngliche - mit vielfältigen Ausdrücken, die Richtung des revolutionären Prozesses immer wieder in Frage stellen. Ein Chavismus, in dem durch rechte Widersacherinnen in Frage gestellte Verhaltensweisen zur Lösung des Konflikts beitragen werden. Jemand mag dann vielleicht den einheitlichen Charakter des Chavismus in Frage stellen und damit teilweise Recht haben, aber wir können sagen, dass es Aspekte gibt, die von allen Akteurinnen ohne Zweifel verteidigt werden. Dies sind zum Beispiel der antiimperialistische Charakter der Revolution oder die Verteidigung der Souveränität, während es bei der Definition des wirtschaftlichen Rahmens Divergenzen geben mag.

Die heute zu beobachtenden anhaltenden Spannungen, die im Wahlprozess zum Ausdruck kommen, werden sich vorraussichtlich auch wieder abschwächen. Kein Zweifel sollte jedoch daran bestehen, dass die Aggressionen der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer Verbündeten auf einen vereinten Chavismus treffen.

Wie schlimm sind die Auswirkungen des Covid-19?

Wir erreichten den Höhepunkt einer Woche radikaler Quarantäne im Rahmen des Konzepts, das die bolivarische Regierung sieben mal sieben nennt und das darin besteht, alle sieben Tage, je nach den Indikatoren jeder regionalen Zone, den Betrieb einer bestimmten Anzahl von wesentlichen Wirtschaftsaktivitäten zu genehmigen. Besonders ist die Ankunft von 230 kubanischen Ärzten hervorzuheben, die das Kontingent, das sich im Land befindet, entlasten sollen. Ausserdem wurde im Gebiet der Hauptstadt die Präsenz der öffentlichen Sicherheitskräfte verstärkt, um die Bewegungen der Menschen zwischen den einzelnen Stadtvierteln und den Randbezirken der Stadt zu kontrollieren und zu beschränken. Schliesslich sind in Caracas mit 48% weiterhin die meisten Covid19-Fälle konzentriert.

Dabei sei aber darauf hingewiesen, dass die Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitssystem gering sind, denn in Bezug auf die gesamte Region, den Kontinent und die Welt deutet die Entwicklung der venezolanischen Indikatoren auf eine Strategie zur Eindämmung des Virus hin - ohne das ansteigen der Zahlen in den letzten sechs Wochen leugnen zu wollen. Gravierender sind sind dagegen die Auswirkungen im wirtschaftlichen Bereich, da die venezolanische Wirtschaft unter einer erheblichen Schrumpfung leidet (hauptsächlich aus externen Gründen wie die Strafsanktionen) und dadurch die von der bolivarischen Regierung geplanten Gesundheitsmaßnahmen und die erhoffte Erholung in einigen Schlüsselbereichen der Wirtschaft verlangsamt haben.

Nach eingehender Prüfung der von der bolivarischen Regierung herausgegebenen offiziellen Informationen wurde festgestellt, dass bis zum 22. August 38.957 Menschen positiv auf Covid-19 getestet wurden und davon 73% (28.453) bereits wieder genesen sind. Dabei können wir sagen, dass die meisten von ihnen keine Symptome mehr haben und weiter unter medizinischer Beobachtung stehen. Ausserdem wurden von der Gesamtzahl der Infektionen 82% durch kommunale Übertragung verursacht. Aus den offiziellen Zahlen lässt sich ableiten, dass im August 51% der Gesamtzahl der Fälle diagnostiziert wurden.

Global gesehen stellt sich das laut dem Covid 19 Statistical Report des venezolanischen Zentrums für China-Studien vom 21. August wie folgt dar:

  • Venezuela ist bis auf Platz 58 (vor zwei Wochen lag er noch auf Platz 67) und hat 0,17% der diagnostizierten Fälle.
  • Bei den aktiven Fällen fällt es auf Platz 50 zurück (vor zwei Wochen lag es noch auf Platz 34) und hat 0,16% der Gesamtzahl gemeldet, was bedeutet, dass die Zahl der genesenen Personen im Steigen begriffen ist.
  • Venezuela liegt bei den Todesfällen auf Platz 74 (letzte Woche war es auf Platz 82) und hat 0,04% der durch das Virus Getöteten gemeldet. Venezuela liegt mit einer Sterblichkeitsrate von 0,83% und einer Erholungsrate von 71% immer noch an achter Stelle in Bezug auf die südamerikanische Region.

Die regionale Sterblichkeitsrate liegt bei 3,30 und die Erholungsrate bei 74,31%. Die venezolanischen Fälle machen 0,68% und die Todesfälle 0,17% der Gesamtzahl aus. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese gleich geblieben ist, aber die Erholungsrate und die Sterblichkeitsrate im Vergleich zur letzten Woche leicht gestiegen sind.

Kurz zum Schluss

  • Wie gebe ich Directv zurück? Neulich widmete ich mich der Untersuchung des neuen Directv-Programmsystems, dem System, das ich seit Jahren besitze. Sender wie Globovisión oder PDVSA-TV, die unter der Regie von AT&T - der amerikanischen Muttergesellschaft von Directv – noch empfangen werden konnten, sind nun nicht mehr verfügbar. Der russische Sender Rusia Today ist ebenfalls nicht mehr zu empfangen. Offensichtlich wurde pragmatisch entschieden, bestimmte Kanäle zu sperren, um so einen fast vollständigen Zugang zur Plattform zu gewährleisten. Dies ist keine neue Praxis, denn bei früheren Gelegenheiten hat die bolivarische Regierung die Ausstrahlung bestimmter Kanäle auch erst eingeschränkt um sie dann wieder in das Angebot der Betreiber aufzunehmen.

  • Im Bereich der Medienkommunikation werden weiter täglich Kämpfe gegen Falschmeldungen geführt. So behauptete Kolumbien, dass Venezuela die Grenzübergänge für zurückkehrende Migrantinnen gesperrt hätte. Unser Außenminister Arreaza bestritt dies um seinerseits die von Duques Regierung angeordnete Umsiedlung von Migrantinnen von Bogotá an die Grenze anzuprangern. Ebenso behauptete die US- Regierung, dass Hunderte von Venezolanerinnen auf ihrem Territorium gestrandet seien ohne der staatlichen venezolanischen Fluggesellschaft Conviasa zu erlauben, diese zurückzuholen, während die spanische Regierung und die venezolanische Regierung diese Woche vereinbarten, fast dreihundert europäische und venezolanische Bürger jeweils zurückzuschicken.

Übersetzung: Achim Schuster.