"Versinke denn! Ich könnt' auch sagen: steige!
's ist einerlei. Entfliehe dem Entstandnen
In der Gebilde losgebundne Reiche!
[...]
Dein Wesen strebe nieder;
Versinke stampfend, stampfend steigst du wieder."

(Mephistopheles im ersten Akt Johann Wolfgang von Goethe, Faust II, 1832)

Die Galerie Thaddaeus Ropac zeigt ihre siebte Einzelausstellung mit neuen Werken von Anselm Kiefer. Unter dem Titel Im Gewitter der Rosen versammelt Kiefer einen Zyklus von Leinwänden, übermalten Collagen, Aquarellen und Skulpturen, denen die thematische Dialektik von Krieg und Frieden, Liebe und Schmerz, Schönheit und Zerstörung gemeinsam ist. Diese Leitmotive speisen sich in erster Linie aus drei literarischen Quellen: Dem 1953 verfassten Gedicht Im Gewitter der Rosen von Ingeborg Bachmann (1926-73), dem mittelalterlichen Liebesgedicht Under der Linden von Walther von der Vogelweide (c.1170-c.1230) und Arthur Rimbauds (1854-91) frühem Sonett Le Dormeur du val (1870). Es ist nicht nur die analytische Reflexion über die Funktionsweisen und über die Ikonographien verschiedenster Mythen, seien es christliche, kabbalistische oder germanische, die Kiefer in den letzten Jahren beschäftigte, sondern auch immer wieder literarische Motive, die er in seinen Werken aus unterschiedlichen Jahrhunderten miteinander in Beziehung setzt.

"Ich denke in Bildern. Dabei helfen mir Gedichte. Sie sind wie Bojen im Meer. Ich schwimme zu ihnen, von einer zur anderen. Dazwischen, ohne sie, bin ich verloren. Sie sind die Haltepunkte, wo sich in der unendlichen Weite etwas zusammenballt. Aus dem interstellaren Staub, ein bisschen Materie im Abgrund der Antimaterie. Manchmal verdichten sich die Trümmer von Gewesenem zu neuen Worten und Zusammenhängen", so Anselm Kiefer in seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche im Jahr 2008.

Bedingungsloser als Ingeborg Bachmann hat niemand nach 1945 die Frage von Krieg und Frieden zum Zentrum des Schreibens gemacht. Sie hat sich den destruktiven Erfahrungen ihrer Zeit ausgesetzt und dem fortdauernden Kriegszustand der Welt ihre Utopie eines gelungenen Lebens entgegengesetzt. Im Gewitter der Rosen, ein Gedicht, dessen hermetischer Stil mit der Lyrik Paul Celans vergleichbar ist, führt ein Bild ein, um das sich alle weiteren Metaphern gliedern: Zum Gewitter lassen sich Nacht und Donner zuordnen und zu Rosen Dornen, Laub und Büsche, die zugleich wiederum die Wolken versinnbildlichen. Die semantisch durch das Gewitter suggerierte Dynamik wird formal mit Gegensatzpaaren aufgegriffen. Die formale Ungleichmäßigkeit hinterlässt ein Gefühl der Bewegung, die ungerichtet ist.

So auch die Darstellungen von Pflanzen, Halmen, Wolken vor dunklen, fast schwarzen Feldern in den Leinwänden Anselm Kiefers, welche die Motive des Gedichts und ihre Dialektik aufnehmen. Die Elemente wirken wie durch einen Sturm durcheinandergewirbelt. Der neue Zyklus von Anselm Kiefer weist einen zunehmend malerischen Stil auf, obwohl auch für diese neuen Werke, bei denen die für Kiefer so typische Materialästhetik von sedimenthaft, Schicht für Schicht aufgetragenen Strukturen vorherrscht, niemals ein Pinsel verwendet wurde.

Zuweilen wird die Farbe auf die Leinwand geschleudert und erzeugt Elemente, die an die Drippings des europäischen Informels und des amerikanischen Abstrakten Expressionismus erinnern.

Walter von der Vogelweides in Mittelhochdeutsch verfasste Lied Under der Linden ist dem Zyklus der sogenannten Mädchenlieder zuzuordnen und thematisiert wohl das Liebeserlebnis eines einfachen Mädchens mit ihrem höfischen Geliebten. Das in dem Gedicht erwähnte Blumen-Bett und die gebrochenen Blumen und Grashalme fügen sich in die ikonographischen Sphären von (gebrochenen) Halmen, Ähren und Blumen ein, die Anselm Kiefer verstärkt seit der Arbeit an den Werken aus den Serien Für Paul Celan, Die Ungeborenen und Morgenthau Plan verwendet.

Der in der Natur (auf dem Gras) liegende Mensch ist auch das Hauptmotiv in Arthur Rimbauds Gedicht Le Dormeur du val, das er als Sechszehnjähriger unter dem Eindruck des Deutsch- Französischen Krieges schrieb: Hier ist der Schläfer ein von deutschen Truppen erschossener, junger Soldat. Dieses Frühwerk ist eines der beliebtesten in Anthologien und Schulbüchern publizierte Gedicht Rimbauds.

Die steigend steigend sinke nieder (2011) betitelte monumentale Skulptur, die im Garten der Galerie aufgestellt wird, verkehrt das vegetabile Motiv des (gebrochenen) Halmes: Kiefer lässt hier Güsse langstieliger Sonnenblumen von der Decke einer Vitrinen-Skulptur hängen und greift damit ein Motiv aus Johann Wolfgang Goethes Faust II auf: Im ersten Akt der Dichtung muss Faust zu den Müttern hinabsteigen, um Helena heraufzubeschwören. Dieses Reich der Mütter ist eine Sphäre des Gestaltlos-Unwirklichen, der Leere. Dieser Abstieg wird bei Goethe aber zugleich wie ein Aufstieg beschrieben – ähnlich des kabbalistischen Motivs des Auf- und Abstiegs zu den Sieben Himmelspalästen.

Die Sphäre der Mütter wird ebenso in der Skulptur Regina Coeli (2010) berührt: Diese Bezeichnung ist ein Ehrentitel für Maria, der Königin des Himmels. Der Himmel mit seinen Gestirnen wird hier durch ein historisches Planetenmodell symbolisiert, das auf den Schultern dieser Frau der Antike thront. Der Zusammenhang makro- und mikroskopischer Strukturen – einem Thema, mit dem sich Anselm Kiefer, inspiriert nicht zuletzt durch die Lehre Robert Fludds (1574-1637), seit vielen Jahren auseinandersetzt – zieht sich leitmotivisch auch durch die Salzburger Ausstellung: Den Halmen, Ähren, Feldern, Blumen und Büschen stehen himmlische Sphären, unterirdische Paläste, Naturgewalten und weite Horizonte gegenüber.

Zur Ausstellung erscheint ein Buch mit einem Text von Orhan Pamuk.