Kunst um 1800 stellt den gleichnamigen Ausstellungszyklus der Hamburger Kunsthalle in den Mittelpunkt: Von 1974 bis 1981 widmete sich die legendäre Ausstellungsreihe in neun Teilen der Wirkmacht von Kunstwerken im »Zeitalter der Revolutionen« und prägte Debatten über die gesellschaftliche Relevanz von Kunst, die bis heute nachwirken. Die Ausstellungen revidierten Narrative der europäischen Kunstgeschichte, indem sie Themen und Künstler ins Zentrum stellten, die mit den Konventionen ihrer Zeit brachen: Ossian, Caspar David Friedrich, Johann Heinrich Füssli, William Blake, Johan Tobias Sergel, William Turner, Philipp Otto Runge, John Flaxman und Francisco Goya. Die gegenwärtige Ausstellung Kunst um 1800 kommentiert und aktualisiert aus einer heutigen Perspektive die historischen Ordnungen und Präsentationen der Dinge, die unter der Regie des damaligen Direktors Werner Hofmann entstanden. Dazu werden über 50 Gemälde, Bücher und graphische Arbeiten der Sammlung der Kunsthalle aus der Zeit um 1800 in ein Zusammenspiel mit über 70 ausgewählten Leihgaben und Werken zeitgenössischer Künstler:innen gebracht. Das komplexe Gefüge im Kuppelsaal versteht sich als eine kritische Edition der Ausstellungen der 1970er Jahren und unternimmt zugleich einen Remix der künstlerischen Formen und Formate um 1800.
In zehn Stationen entfaltet Kunst um 1800 mit damals gezeigten Werken ein Panorama der Epoche und widmet sich Themen wie Aufklärung, Gewalt, Träumen, politischer Landschaft, Industrialisierung sowie Revolution und Freiheit – stets aus heutiger Perspektive. Darüber hinaus werden punktuell Aspekte betont, die im Zyklus der 1970er Jahre fehlten oder nur ansatzweise zum Vorschein kamen, jedoch für die Zeit um 1800 relevant sind: Feminismus, jüdische Aufklärung, Sklaverei, Abolitionismus und die Haitianische Revolution. Im Zeitalter der Vernunft entstanden zentrale Leitbilder der bürgerlichen Gesellschaften in Europa wie Fortschritt, Liebe oder Arbeit. Die Kunstwerke der Zeit machen zugleich auf die Widersprüche in den Prozessen der Moderne aufmerksam: Wie verändern sich die Beziehungsweisen der Menschen um 1800 durch die Ausweitung von Industrialisierung, Kapitalismus und Kolonialismus?
Ausstellungsort ist – wie damals – der Kuppelsaal im Obergeschoss des 1919 eingeweihten Erweiterungsbaus. Er diente in den 1970er Jahren als zentraler »Denk-Raum« sowie als kuratorisches Experimentierfeld. Die gegenwärtige Ausstellungsarchitektur gestaltete Marten Schech in Form einer skulpturalen Intervention: Binnacle (Round lodge with three corners). Der Künstler bezieht sich auf den kreisförmigen Grundriss und erweitert die Architektur durch An-, Ein- und Umbauten. Das Ensemble changiert zwischen Massivbau und Kulisse; Kalkfarbe und Oberflächenstruktur greifen die Außenmauern barocker und klassizistischer Bauten auf. Im Eingangsbereich findet sich dieser Putz in einem Innenraum wieder – als Teil eines Displays, das sich Träumen um 1800 widmet. Die Textur entfaltet eine unheimliche Materialität und wirkt wie der verdrängte ästhetische Rest eines Ancien Régime. Das Nebeneinander von perfekten und ruinösen Oberflächen kommentiert die Funktion des Museums als eine Institution, die Kunst für die Ewigkeit bewahren will. Innen und Außen, Skulptur und Interieur oder Anfang und Ende überkreuzen sich fortwährend und werden in der gesamten Ausstellung ineinander verwirbelt.
Mit diesem skulpturalen Raumerlebnis verfolgt Kunst um 1800 eine praktische Ästhetik, in der Absicht, künstlerische und kuratorische Verfahren zu einem komplexen Gefüge zusammenzuführen. Die Ausstellung in Form eines Essays ermutigt ihr Publikum, die gezeigten Werke während des Besuches eigenständig miteinander in Verbindung zu bringen. Unter der monumentalen Kuppel wird die Kunsthalle so erneut zum Ort des Experiments. Zeitgenössische Arbeiten von Mark Dion und Sigmar Polke zur Französischen Revolution sowie von Kara Walker zur Sklaverei ergänzen das Ensemble – oder wirken ihm entgegen. Zudem hat Suzanne Treister eine Lichtprojektion für Kunst um 1800 entworfen. Für die Dauer von vier Monaten erstrahlt mit Intergalactic social systems (2025) eine Vision am Firmament der Kunsthalle, die sich gegen Universalismen richtet und die Konstellationen der Ausstellung in ein technoschamanisches Licht taucht.
















