Ian Waelder verbindet in seiner Ausstellung thereafter erstmals Fassade, Atrium und Arkadenhalle der Kestner Gesellschaft zu einer räumlichen Erzählung zwischen Innen und Außen, Vergangenheit und Gegenwart. Seine Werke setzen an Grenzen des Erinnerbaren an: familiäre Spuren, biografische Brüche, alltägliche Überreste – nicht als Belege, sondern als fragile Träger einer Geschichte, die sich einer linearen Erzählung entzieht.
Im Zentrum von Waelders Einzelausstellung steht ein labyrinthischer Raum aus Pappe, der Assoziationen an einen Umzugskarton weckt. Der seitlich versetzte Eingang der Arkadenhalle lenkt den Blick abseits eindeutiger Wege. Im Inneren verdichten sich Skulpturen, Zeitungscollagen, eine Klaviermelodie und das Material Pappe und Licht zu einer vielschichtigen Collage – darunter ein mit Haferflocken und Butterspuren überzogener Zeitungsartikel mit der Überschrift „Erbarmen“, eine deformierte Schuhleiste mit porzellanartiger Nase mit dem Titel Sprain (38) (2023) sowie Formeinlagen der Werkreihe Bystander (2025) mit heraushängenden Schnürsenkeln. Es sind Spuren häuslicher Routinen, die sich einer konkreten Erinnerung entziehen und doch eine eigentümlich vertraute Atmosphäre hervorrufen.
In unregelmäßigen Abständen ertönt eine kurze Klaviermelodie, eingeleitet vom Aufschlag fallender Wassertropfen. Diese klangliche Geste verweist auf eine persönliche Spur: Erinnerungen an Kindheitsmelodien und die Musik seines Großvaters begleiten Waelder derzeit in seinem Residenzstudio der Stiftung Laurenz-Haus in Basel, wo er zufällig ein Klavier vorfand und eine fragmentarische Melodie einspielte. Der Künstler, dessen jüdisch-deutscher Großvater 1939 nach Chile floh, verwebt akustische und materielle Fragmente zu einer Poetik des Erinnerns, in der das Unvollständige Gestalt annimmt.
An der Fassade warten die Self-portraits as my father’s nose (2025) – maßstabsgetreu vergrößerte Nasenskulpturen aus Samen, entstanden in Zusammenarbeit mit seinem Vater – darauf, von Tauben und anderen Vögeln gefressen zu werden. Ihre Umrisse könnten als fragile Spuren sichtbar bleiben. Im Café Tender Buttons zeigt ein Triptychon aus Rohleinenbildern einen Jungen beim Laufen, der sich wie in einem filmischen Zeitraffer aus dem Bildraum vorwärts zu bewegen scheint – eine stille Geste der Erinnerung, wie ein cineastischer Rückblick in die Vergangenheit. Waelders Materialeinsatz und seine Werke verweigern sich eindeutiger Lesbarkeit und Zeitlichkeit. Sie fassen Erinnerung nicht als Rekonstruktion, sondern als tastende Bewegung entlang von Leerstellen, Verschiebungen und sedimentierten Oberflächen – dort, wo das Abwesende am stärksten gegenwärtig ist.