Die Galerie Eva Presenhuber freut sich, mit Slow life strategies maybe die sechste Einzelausstellung des norwegischen, in New York lebenden Fotografen Torbjørn Rødland zu präsentieren.
Wenn es darum geht, das Ei der Realität aufzuschlagen, dann ist Torbjørn Rødland ein versierter Koch in der kosmischen Küche. In seinen Fotografien trennt und verbindet er Vertrautes und Unheimliches, Innerlichkeit und Emotionalität, Zärtlichkeit und Gewalt – wie exquisite Zutaten in erfahrenen Händen. Das Paradoxe wird in Bildern lebendig, die widersprüchliche Gefühle hervorrufen: Begehren und Widerwillen – oder Gelassenheit selbst dort, wo man Schmerz vermuten würde. Rødlands Werk fängt damit die existenzielle Doppelbödigkeit individueller Erfahrung ein – neben der zähen Beharrlichkeit all der Moralbegriffe, die unser Zusammenleben bestimmen.
In Norwegen geboren und stets mit einem Fuß in den Vereinigten Staaten, verbrachte Rødland die vergangenen drei Jahrzehnte viel auf Reisen; sein Werk ist ebenso tief in der Kenntnis uralter Archetypen verwurzelt wie in der Vielschichtigkeit der Gegenwartskultur. Fotografien wie Cinnamon roll (2015) und All our pretty songs (2021-2023) erinnern dabei nicht zufällig an jene Memento-mori-Stillleben des 17. Jahrhunderts, die den Betrachtenden ihre eigene Endlichkeit, die konstante Präsenz des Todes und die Prozesse physischen Verfalls vergegenwärtigen. Auch in Turnstile gate no. 1 und no. 2 (beide 2020) schichtet Rødland historische Filter über seine Bildfindungen – und führt die Idee eines auf moralischen Prinzipien basierenden Universums fort: in der Andeutung einer auf dem Kopf stehenden Kreuzigungsszene, dem gleichzeitigen Zitat der Figur des “Gehängten” aus dem Tarot, und (vielleicht am deutlichsten) in der zwischen tradierten Geschlechternormen pendelnden dargestellten Person. Besonders interessant an diesen unterschiedlichen Deutungsweisen ist weniger die Eindeutigkeit des einen oder des anderen Aspekts, als vielmehr die untrennbare Gleichzeitigkeit des Nebeneinanders. Stets in makellose Bildkompositionen gefasst, besitzen Rødlands Fotografien die eigenwillige Qualität, erzählerisch präzise und von mythologischer Tiefe zu sein. Sie verbinden die Innen- mit der Außenwelt und eröffnen den Blick auf die schiere Unermesslichkeit menschlicher Erfahrung.
Zugleich locken uns Rødlands Fotografien in das fantastische Reich des Märchens: ein Genre, in dem klare Vorstellungen von Gut und Böse regieren, wo sich Wunder und Übernatürliches ereignen. In The ring (2017) könnten die sich berührenden Hände ebenso als Symbol von Gemeinschaft wie des gewaltsamen Zugriffs gelesen werden. Oder verweist das Bild auf die zahlreichen Allegorien rund um magische Ringe, geschenkte wie gestohlene? Rødland zeigt in dieser Arbeit jüngere neben älterer Haut, hellere neben dunklerer – in einer Verbindung, die sich als alchemische Vereinigung von Gegensätzen verstehen ließe.
Doch auch wenn beim Betrachten von Rødlands Werk die Paradoxa von Magie und Religion verschwimmen, so bleiben seine Arbeiten doch fest in der Realität verankert. Jedes Bild ruft ein ganz bestimmtes Lebensgefühl und eine nachvollziehbare Stimmung auf; selten zeigt Rødland etwas, das uns nicht auch in unserem Alltag begegnen könnte. Dennoch ist man beim Betrachten der in der Ausstellung gezeigten Fotografien oft verblüfft über die eigene Unfähigkeit, die sich stellenden Fragen nach dem Wer, Was, Warum, Wo und Wie des Gezeigten eindeutig zu beantworten. In Rødlands Arbeiten werden die seltsamen Unstimmigkeiten der Realität zur geschätzten Besonderheit, und das Alltägliche wird durch seine immanente Durchdringung mit dem Unheimlichen zu etwas Kostbarem. Seine Fotografien vermitteln uns das Gefühl, eines ganz konkreten Geschehens teilhaftig zu sein – und gleichzeitig zu erleben, dass sich etwas wie von Geisterhand ereignet.
In einer Gegenwart, in der sich ein Bild der Wirklichkeit ebenso per ChatGPT wie durch eine Ayahuasca-Session oder während eines nüchternen Spaziergangs durch die Nachbarschaft erzeugen lässt, bieten Rødlands Fotografien einen Eindruck unserer mehrdimensionalen Konstruktion von Wahrnehmung. Seine Bilder erinnern uns daran, was es heißen könnte, tatsächlich an etwas zu glauben – und zugleich all die wertenden Urteile unseres bewussten Denkens hinter uns zu lassen: falsch, richtig, schön, hässlich. Zeit mit diesen Arbeiten zu verbringen – das ist an sich bereits eine Form von Achtsamkeit und Slow Life – und erlaubt uns, das ewige Versteckspiel mit uns selbst zu verstehen. Wer Geduld hat, findet darin vielleicht einen Weg, das Leben selbst zu definieren.
(Text von Isabel Parkes)