Mit ihrer kraftvollen Originalität und ihrem einzigartigen Blick ist die in Deutschland geborene Schweizerin Meret Oppenheim (1913–1985) nach wie vor eine der dynamischsten Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Obwohl sie in einem Atemzug mit einigen der einflussreichsten Kunstströmungen ihres Jahrhunderts wie Dadaismus und Surrealismus genannt wird, ist sie doch keiner Richtung zuzuordnen. Ihr vielseitiges, Grenzen überschreitendes Oeuvre wird ab Juni in einer Ausstellung, die Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Design umfasst, von Hauser & Wirth in Basel präsentiert. Meret Oppenheim setzte sich in ihren Arbeiten humorvoll, intellektuell absolut eigenständig und kritisch mit Themen auseinander, die auch heute noch relevant sind: Sexualität und Identität. Die in enger Zusammenarbeit mit dem Kurator und Kunsthistoriker Josef Helfenstein geplante Ausstellung umfasst Werke aus den 1930er- bis 1970er-Jahren, darunter einige, die bisher nur sehr selten öffentlich gezeigt wurden.

In Berlin geboren, zog Meret Oppenheim schon als Kind nach Süddeutschland und in die Schweiz, wo sie unter anderem in Delémont und Basel lebte. Im Alter von 18 Jahren ging sie 1932 nach Paris, um Künstlerin zu werden. Diesen Meilenstein markiert ein selten gezeigtes Exponat: ein Aquarell, das Oppenheim noch im gleichen Jahr auf Briefpapier des Hotels Odessa in Montparnasse malte. Kurz darauf war sie selbst Teil einer Kunstszene, der neben vielen anderen Persönlichkeiten auch Alberto Giacometti, Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp sowie André Breton und Max Ernst angehörten. Schon zu dieser Zeit war Oppenheims Werk äusserst vielfältig. Es umfasste Zeichnungen, Ölgemälde, Collagen und Assemblagen, was oft vergessen wird aufgrund des internationalen Erfolgs von Objekt oder Déjeuner en fourrure (Frühstück im pelz) – Oppenheims berühmter Kaffeetasse, die sie samt Untertasse und Löffel mit Pelz bezog. Die aussergewöhnliche Einfallsreichtum der Künstlerin zeigt sich bereits in ihren ganz frühen Werken wie etwa Spaziergänger hinter zaun (1933), einer in der Ausstellung präsentierten Collage auf Papier. Oppenheim erweckt hier mit ungewöhnlichen Materialien − Kugelschreiber, Tinte, rosa Make-up und Fäden – mehrdeutige, in eindringlicher Weise beseelte Formen zum Leben.

1937 kehrte die Künstlerin Paris und ihrem durch das aufsehenerregende Objekt begründeten frühen Ruhm den Rücken und zog zurück in die Schweiz, nach Basel. Dort belegte sie an der Allgemeinen Gewerbeschule (der damaligen Kunstgewerbeschule) Kurse in Restaurierung, Konservierung und Malerei. In ihren Ölgemälden und Zeichnungen aus dieser Zeit verarbeitete Oppenheim im Rückblick auf die dunklen 1930er-Jahre und den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs persönliche und oft düstere Themen. Sie greift nun in ihrer Bildsprache zunehmend phantastische und mythische Motive auf, wie in den hier gezeigten Arbeiten Die erlkönigin (1940) und Daphne und Apoll (1943). Das letztgenannte, aussergewöhnliche Werk ist als Highlight der Ausstellung beispielhaft für Oppenheims Talent, bekannte Motive mutig umzudeuten − in diesem Fall den Mythos von Daphne und Apoll: Die Transformation bleibt hier nicht auf Daphne beschränkt, sondern auch Apoll wandelt sich.

Nach einer Schaffenskrise, in der relativ wenige, aber oft sehr persönliche Werke entstanden, wandte sich Oppenheim ab 1954 wieder mit Begeisterung der Kunst zu. Zu den hier gezeigten Arbeiten aus dieser Epoche gehört unter anderem Genoveva über dem wasser schwebend (Genevieve floating over the water) von 1957. Es ist eines der zahlreichen Werke, in denen sich die Künstlerin mit gesellschaftliche Konventionen und dem Konzept der Identität beschäftigt – hier am Beispiel der mittelalterlichen Legende von Genoveva, einer jungen Adligen, die von ihrem Ehemann des Ehebruchs bezichtigt und verbannt wurde. Andere Gemälde, etwa das selten gezeigte Le sang de l’astre (Das blut des gestirns) von 1956, bezeugen Oppenheims zunehmende Hinwendung zur Abstraktion, wobei sich die Künstlerin weder wiederholte noch eine bestimmte Stilrichtung favorisierte. Andererseits erinnert Idee für maske (1959) an die schon früher von ihr aus Fundstücken konstruierten Masken, die sowohl die Transformation der verwendeten Materialien versinnbildlichen als auch die durch die Maskierung transformierte Identität der Trägerinnen und Träger, einschliesslich ihrer Geschlechtsidentität.

Wie Marcel Duchamp, einer ihrer engsten Freunde aus den frühen Jahren in Paris, beschäftigte sich Meret Oppenheim in ihrem Oeuvre auch mit Leonardo da Vincis ikonischem Bild der Mona Lisa. In ihrer 1967 entstandenen Miniatur Das auge der Mona Lisa fokussiert sie sich auf das linke Auge der von Leonardo gemalten, geheimnisvollen und bis heute unbekannten Frau. Das Ergebnis ist ein Werk von verstörend intensiver Präsenz, da sich die Interaktion zwischen dem gemalten und dem betrachtenden Auge ebenso rätselhaft gestaltet wie Leonardos vieldeutiges Werk.

La dame bleue (1963) ist indessen ein wunderbares Beispiel für die Plastiken und Skulpturen, die Oppenheim in den 1960er-Jahren schuf: Die elegante, aufwärts strebende und sparsam kolorierte Form erinnert an eine weibliche Silhouette, während ihre blütengleiche, organische Abstraktion eine weitere Facette der stilistischen Vielfalt der Künstlerin vermittelt.

Auch wenn sie gerne und oft mit den Surrealisten assoziiert wird, hat sich Meret Oppenheim selbst stets dagegen verwahrt, von einer Bewegung oder Stilrichtung vereinnahmt zu werden. «Ich habe einfach immer das getan, was ich tun wollte. Alles andere ist nicht mit meiner Arbeitsweise vereinbar», sagte sie. «Die Festlegung auf einen bestimmten Stil hätte mich zu Tode gelangweilt.» Die Ausstellung zeichnet weniger die Entwicklung der facettenreichen künstlerischen Praxis Oppenheims nach, sondern feiert vielmehr deren Vielseitigkeit und Einzigartigkeit. In Anlehnung an ihr berühmtes Objekt oder Le déjeuner en fourrure (Frühstück im pelz) entstand 1970, mehr als ein Vierteljahrhundert später, das Eichhörnchen (Squirrel). Mit dem für sie so typischen Witz verwandelt die Künstlerin den Henkel eines Bierglases in einen flauschigen Eichhörnchenschwanz, als spielerischen Verweis auf Begriffe wie Männlichkeit, Erotik und das Makabre. Nebelblume (1974) zeigt dagegen, wie sich die Ausdrucksqualitäten der Malerei auf ein Minimum reduzieren lassen, indem die Vegetation durch Variationen eines einzelnen Farbtons in eine flüchtige Traumlandschaft verwandelt wird. Selbst in der letzten Dekade ihres Schaffens war das transformatorische künstlerische Werk Oppenheims noch durch die gleiche bemerkenswerte Vielfalt und enorme Kreativität geprägt, die ihr Publikum und die zeitgenössischen Kunstschaffenden noch heute faszinieren.

1984, ein Jahr bevor Meret Oppenheim 72-jährig starb, wurde ihr Werk mit einer grossen Retrospektive in der Kunsthalle Bern gewürdigt. Die Ausstellung beruhte auf einem der letzten Projekte der Künstlerin: der Planung einer möglichen Gesamtwerkschau, für die sie selbst mehr als 200 Miniatur-Zeichnungen ihrer eigenen Werke anfertigte. Fast vier Jahrzehnte später sollte dasselbe Projekt die Retrospektive Meret Oppenheim: Mon exposition inspirieren, die zunächst im Kunstmuseum Bern (2021–2022) gezeigt wurde, dann in der Menil Collection im texanischen Houston (2022) und schliesslich im Museum of Modern Art in New York (2022–2023).