In den letzten 100 Jahren wurde, insbesondere nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, das Leben der westlichen Welt auf dem Land und in der Stadt auf das Auto ausgerichtet (s. auch diesen Artikel Die Entwicklung der Stadt von heute). Es werden heutzutage nicht mehr Wege im Alltag zurückgelegt, sie sind aber bedeutend länger geworden. Laut der Studie „Mobilität in Deutschland“ des Bundesverkehrsministeriums ist die Anzahl der Wege zwischen den Jahren 2002 und 2017 annähernd gleichgeblieben, während aber die Weglängen um fast 20% zugenommen haben1. Der Grund des Weges, zum Beispiel Arbeit oder Einkauf, hat sich also nicht verändert, nur nehmen wir dafür längere Strecken in Kauf.

Mehr als 48 Millionen Autos rollen auf Deutschlands Straßen2 und auf 1.000 Einwohner kommen 569 Pkw. Dank des Autos wurde es möglich immer größere Strecken in immer kürzerer Zeit zurückzulegen. Dies gab den Menschen in Städten die Möglichkeit auch an den Stadtrand zu ziehen, ohne lange Wege zu Fuß zurücklegen zu müssen. Diese Entwicklung führte zur heutigen Zersiedelung, die überall in Deutschland zu beobachten ist.

Zersiedelung ist das „weitgehend ungegliederte Flächenwachstum der (Groß-)Städte in Form reiner Wohnsiedlungen“3. In den 1960ern sind in Westdeutschland insbesondere junge Familien an den Rand der Städte gezogen, da dort im Grünen Einfamilienhäuser gebaut wurden4. Auch Sozialwohnungen wurden überwiegend am Stadtrand gebaut, ohne jedoch die notwendige Serviceinfrastruktur, wie attraktive ÖPNV-Verbindungen, Supermärkte oder Arztpraxen bereitzustellen.

Dies ist insbesondere problematisch für Haushalte mit geringem Einkommen. Sie können sich häufig ein Auto nicht leisten oder müssen dafür auf andere Dinge verzichten. Das führt zu Mobilitätsarmut, das heißt „Betroffene können beispielsweise Jobangebote nicht annehmen, Einkäufe nicht erledigen und Freizeitangebote nicht nutzen“5.

Für Menschen in diesen sogenannten „Schlafstädten“ ist es entsprechend schwierig auch nur einkaufen zu gehen, ohne ein eigenes Auto zu besitzen. Die Ausweitung der Städte in den suburbanen Raum vergrößerte die Distanzen, die die Menschen in ihrem Alltag zurücklegen mussten6,7. Der VCÖ fand heraus, dass Menschen im Stadtzentrum Hamburg etwa elf Kilometer pro Tag im Auto fahren, während es für Menschen am Stadtrand fast 30 Kilometer sind. Ähnliche Ergebnisse gab es auch aus Wien, wo es 18 bzw. 35 Kilometer waren8.

Neben größeren Strecken stieg auch der Flächenverbrauch. Die Fläche, die ein Verkehrsmittel benötigt, ist abhängig von dessen Größe und Geschwindigkeit. Absolut betrachtet verbrauchen Busse und Bahnen wegen ihrer Größe am meisten Fläche. Wenn jedoch die Größe von Bussen und Bahnen und die Anzahl der Passagiere, die sie transportieren, mit denen eines Autos verglichen wird, wird klar, dass öffentliche Verkehrsmittel sehr viel effizienter sind. Je schneller die einzelnen Fahrzeuge sind, desto offensichtlicher wird der Vorteil gegenüber dem Auto für den öffentlichen Raum (Abbildung 1). Sicherlich auch deshalb kam die Europäische Kommission bereits 2004 zu dem Schluss, dass große Teile der Verkehrsfläche für öffentliche Verkehrsmittel oder von der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnten, wenn Verkehrsflächen effizienter genutzt würden9.


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Hinzu kommt, dass das eigene Auto meist nicht effizient genutzt wird. Im Pendelverkehr transportiert ein Auto in Deutschland durchschnittlich 1,2 Personen, im Alltagsverkehrs sind es 1,4 Personen10. Auch die Nutzung der Flächen ist zwischen den Verkehrsmitteln alles andere als gleich verteilt, wie eine Studie aus Berlin zeigt: 39% der Fläche ist für den Pkw-Verkehr reserviert11, es werden jedoch nur 26% der Wege mit dem sogenannten motorisierten Individualverkehr zurückgelegt12. Nur 3% der Straßenfläche wird hingegen für Radwege, abgetrennt vom Autoverkehr, genutzt. Tatsächlich werden mit dem Rad in Berlin 18% der Wege zurückgelegt.

Die Fokussierung auf den motorisierten Individualverkehr führte zur Marginalisierung anderer Verkehrsmittel. Teilweise wurde der ÖPNV komplett zurückgedrängt, wie in vielen Städten in den USA erkennbar, oder zumindest stark reduziert. Die Marginalisierung von Fußgänger:innen führt dazu, dass diese Umwege in Kauf nehmen müssen, um den motorisierten Verkehr nicht zu stören, und Fußwege von Einfahrten oder Ampeln unterbrochen werden, die ganz auf den Autoverkehr ausgerichtet sind13. Dadurch wird das Zufußgehen unattraktiv, was zur Folge hat, dass auch kürzeste Wege mit dem Auto zurückgelegt werden. Ein Viertel aller Pkw-Fahrten ist kürzer als zwei Kilometer14.

Die Fokussierung auf das Auto hat die Struktur unserer Städte so verändert, dass wir von diesem Verkehrsmittel in einem Maße abhängig wurden, dass ein Verzicht oder eine Reduzierung schwierig ist. Sie hat aber auch dazu geführt, dass Innenstädte verödeten und der Einkauf in der Shoppingmall auf der grünen Wiese attraktiver wurde. Andererseits gibt es kein Verkehrsmittel, das ineffizienter und teurer Menschen von A nach B bringt (wenn man Kurzstreckenflüge außer Acht lässt).

Eine Reduzierung des privaten Pkw-Verkehrs ist also nötig. Dies ist jedoch nur möglich, wenn sich Politik und Gesellschaft vom Mantra der autogerechten Stadt lösen und konsequent das Zufußgehen, das Fahrrad und der ÖPNV gefördert wird – nicht nur durch finanzielle Anreize, sondern auch durch Veränderungen der Infrastruktur und der Planung von Wohngebieten. Nur wenn alle Verkehrsmittel in allen Bereichen mitgedacht werden, ist eine Mobilitätswende möglich.

Anmerkungen

1 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. (2019). Mobilität in Deutschland - Kurzreport. Berlin: 9.
2 Kraftfahrt-Bundesamt.
3 Heineberg, H. (2016). Stadtgeographie. Heidelberg: utb.
4 Fuchte, K. (2006). Verkehr und Erreichbarkeit als Kriterien der Wohnstandortwahl. Dortmund: Institut für Raumplanung, Universität Dortmund: 17f.
5 Umweltbundesamt. (2020). Verkehrswende für ALLE: So erreichen wir eine sozial gerechtere und umweltverträglichere Mobilität. Dessau-Roßlau: 12.
6 Lutz, C. (2014). Cars and Transport: The Car-Made City. In D. M. Nonini (Ed.), A Companion to Urban Anthropology, 142–153. John Wiley & Sons: 145.
7 Fuchte, K. (2006). Verkehr und Erreichbarkeit als Kriterien der Wohnstandortwahl. Dortmund: Institut für Raumplanung, Universität Dortmund: 20.
8 VCÖ. (2010). Wie Wohnen Mobilität lenkt. VCÖ -Schriftenreihe ,,Mobilität mit Zukunft’’ (04/2010). Wien: 17.
9 Europäische Kommission. (2004). Reclaiming city streets for people: Chaos or quality of life? Brussels.
10 Umweltbundesamt.
11 Agentur für clevere Städte. (2014). Wem gehört die Stadt? Der Flächen-Gerechtigkeits-Report. Berlin.
12 Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz.
13 Gehl, J. (2015). Städte für Menschen. Berlin: jovis Verlag: 146f.
14 ADFC. (2018).