Die Werke von Jean-Honoré Fragonard haben für mich einen besonderen Zauber, sie vermitteln pure Lebenslust und sehr viel Leidenschaft. Ich lade Sie ein, mit mir einen sehr persönlichen Blick auf diesen außergewöhnlichen Meister zu teilen. Zugleich möchte ich Ihnen zeigen, wie Fragonard auch Ihr Leben bereichern kann.

Lassen Sie uns zuerst auf den Künstler und sein Umfeld schauen. Fragonard entwickelte sich im 18. Jahrhundert zu einem herausragenden Maler und Zeichner in Frankreich. Es war die Zeit des Ancien Régime, in der er 1732 im südfranzösischen Grasse das Licht der Welt erblickt. Die Familie zieht bald nach Paris, wo Jean-Honoré zunächst eine Ausbildung bei einem Notar beginnt. Allerdings wird er kurze Zeit später ein junger Künstler, der einige Monate bei Jean Siméon Chardin lernt. Ab 1749 ist er Schüler von François Boucher, der ihn zunächst ablehnt und schließlich doch protegiert.1 Etwas Besseres hätte Jean-Honoré nicht passieren können, da Boucher als Hofmaler von Ludwig XV. fungierte und die Malerei dieses Jahrhunderts entscheidend mit beeinflusste. Mit diesem Rückenwind bewirbt sich Fragonard um einen dreijährigen Studienaufenthalt an der französische Akademie in Rom. Im August 1752 gewinnt er den Rompreis der Akademie mit dem Bild Jerobeam opfert den Götzen.

Dieser Aufenthalt in Rom und anderen italienischen Regionen wird ihn nachhaltig prägen. Er taucht immer wieder in die mondänen Gartenanlagen der Villa d’ Este in Tivoli ab, in denen er auch zeichnet.2 Überhaupt entwickelt Fragonard ähnlich wie wenige Jahrzehnte zuvor Antoine Watteau die Zeichnung als eine der Malerei ebenbürtige Darstellungsform, der er sich mit großer Hingabe widmet. In Rom ist er überwältigt von der Ausstrahlung der Werke von Michelangelo und Raffael und leidet Monate darunter, diese Kunst vielleicht nie zu erreichen. Erst die Werke von Barocci, Pietro da Cortona, Solimena und Tiepolo geben ihm wieder Hoffnung, eines Tages mit ihnen konkurrieren zu können.3 Er fertigt zahlreiche Kopien alter Meister an. Wie bei seiner zweiten Italienreise über eine Dekade später besucht er neben Rom u.a. Florenz, Neapel und Genua.

Nach seiner Rückkehr avanciert Fragonard zum vorläufigen Mitglied der Akademie. Er wird aber nur zweimal im Salon ausstellen, sich von offiziellen Aufträgen des Hofes sukzessive zurückziehen und sich auf eine sehr vermögende private Klientel konzentrieren. Die sich ursprünglich andeutende ruhmreiche Karriere als Historienmaler schlägt er nicht ein. Fragonard wählt augenscheinlich einen freieren Weg, der sich als sehr einträglich erweisen wird und ihm größere Entwicklungsspielräume eröffnet. Dabei wird er einen ganz unverwechselbaren eigenen Stil entwickeln, mit dem er dennoch den Zeitgeschmack seiner vermögenden Auftraggeber trifft.

Im 18. Jahrhundert bleibt Frankreich tonangebend für die europäische Hofkultur und die Kunst. Noch zu Lebzeiten des Sonnenkönigs Ludwig XIV., der 1715 stirbt, deuten sich in dieser Kultur allerdings Veränderungen an. Nach seinem Tod schienen die Zeiten uneingeschränkter barocker Pracht, die sich gerade in Versailles zusehends ins Maßlose entwickelt hatte, vorbei. In und um Paris kristallisiert sich in der Kultur der Aristokratie zunehmend der Wunsch nach einer Verfeinerung des vormals Pompösen sowie nach einer intimeren Wohnkultur heraus. Nun werden die Stadtpaläste des Adels zum Treffpunkt der Gesellschaft4, die Dekorationen in den Salons und Räumen graziler. Formgebend in Stuck- und Holzarbeiten wird jetzt die elegante Schwingung einer Muschel. Abgeleitet aus dem französischen Wort für Muschelwerk, „rocaille“, erhält die gesamte neue Stilrichtung später die Bezeichnung Rokoko. Das Rokoko dominiert schließlich das Spätbarock, es ist der letzte, allerdings auch sehr tiefe Atemzug einer Kultur, in der insgesamt noch der europäische Adel Hauptauftraggeber ist. Die Kunst des Rokoko zeigt auch eine weiter fortschreitende Verweltlichung in der Themenwahl. Dies ist keinesfalls verwunderlich, da das 18. Jahrhundert unter dem massiven Einfluss der Aufklärung steht.

In diesem Umfeld einer sich verändernden Genusskultur schufen Künstler wie Fragonard Werke, in der sich oft bei näherem Hinsehen Witz, Intelligenz oder sogar Weisheit zeigen. Bereits Antoine Watteau wird zu einer prägenden Leitfigur der Veränderungen in der Malerei um 1700. Er initiiert eine Malweise, in deren Mittelpunkt immer wieder galante Feste in verträumten Parklandschaften stehen. Tiefere Aussagen von Watteaus Meisterwerken erschließen sich dem Betrachter, wenn er sich Werken wie der weltberühmten Einschiffung nach Kythera tatsächlich öffnet.

Mit Fragonard entwickelt sich ein Maler, der grundsätzlich noch dem Rokoko verpflichtet bleibt und dennoch ganz eigene Wege geht. Sehe ich seine Werke, denke ich, Fragonard „streichelte“ die Leinwand mit seinen Farben, tat dies aber anders als Watteau. Fragonard rückt etwas von der intimen Eleganz der Rokoko-Malerei ab. Weder folgt er ausschließlich der feinen galanten Erotik eines Watteau noch der eher offiziellen höfischen Eleganz Bouchers. Fragonard malt das Leben und die Natur in verwunschenen Parks. Das Leben geballt mit all seinen Leidenschaften und erotischen Begebenheiten bekommt bei ihm einen bodenständigen, sehr menschlichen Zug. Seine Darstellungen sind greifbar und dennoch nicht ohne Inszenierung. Fragonard baut Bühnenbilder und schafft beeindruckende Licht- und Kulissenwirkungen. Er nimmt die Impressionisten um etwa einhundert Jahre an manchen Stellen vorweg. Er brilliert mit Farben, die oft Lebensfreude und Heiterkeit zeigen. Als Maler einer zwanglosen, für das 18. Jahrhundert jedoch sehr deftigen Erotik provoziert er und testet Grenzen aus. Zugleich vermittelt er als ein großartiger Zeichner und Naturmaler Stimmungen. Fragonard bauscht Natur auf, indem er die Vegetation alter italienischer Gärten über einem geordneten Boden faktisch explodieren lässt. Trotz seiner großen Innovationskraft und Fantasie wird Fragonard das Rokoko nie ganz überwinden wollen und schließt sich den radikal neuen Trends am Vorabend und während der französischen Revolution nicht an. Fragonard ist ab den 1760er Jahren extrem gefragt und wird dennoch schon bald von den kommenden Ereignissen der Französischen Revolution künstlerisch überrollt werden. Der Ruf nach neuen Idealen wird immer lauter, der aufkommende Klassizismus vertritt die Interessen aufstrebender Kräfte offenbar noch besser. Nach seinem Tod 1806 gerät Fragonard lange Zeit in völlige Vergessenheit.

Dabei kann uns Fragonard mit seinen überwältigenden Parklandschaften und seinen erotischen Zeichnungen sowie Malereien auf einmalige und zeitlose Art den Zauber des Lebens aufzeigen. Seine Kunst erinnert mich an einen meiner ersten Arbeitsplätze. Als Teenager war ich Schloss- und Parkführer in Potsdam-Sanssouci, einer Anlage, die genau zu Lebzeiten Fragonards entstand. Wenn ich Fragonards Parkansichten sehe, spüre ich auf einmal wieder diesen Duft von Blumen und die Aura uralter Bäume im Park. Auch wenn er diesen Park nie malte und der Hausherr Friedrich der Große Watteau und nicht Fragonard sammelte, so ist dieser ein Spiegel seiner Zeit und gerade Sanssouci hat am Rande sehr natürliche, ja sogar wild wachsende Teile, die Fragonard ebenso gerne hätte festhalten können. Ich hatte dort, wo sich Natur und Kunst vereinen, viele Momente unbeschreiblichen Glücks. Sowohl die Werke von Fragonard als auch Sanssouci sind für mich bis heute Liebeserklärungen an das Leben. Fragonard kann zu Parkbesuchen gerade zu verführen. Schauen Sie einfach auf sein Werk Die Kaskade. Die Kulisse wird beherrscht von riesigen Bäumen. Dazwischen prescht rechts aus dieser Baumwand eine Art Wasserfall hervor, der auf einer tieferen Ebene - architektonisch „gebändigt“ - mit der untersten Stufe der Kaskade vergleichsweise moderat und prachtvoll ausläuft. Wenn wir uns zu der am Fuße der Kaskade anzutreffenden Figurengruppe dazu gesellen, können wir das laute Rauschen der Wasserströme hören und eine Mischung frischer Wasser- und Parkluft wahrnehmen. Ehrfürchtig zur rechten Baumwand positionierte Fragonard zwei Figurenpaare, deren Kleidung an die Antike erinnert. An die Antike knüpft auch die mächtige Kolonnade im Hintergrund an, die wie die Skulptur ein häufig verwendetes Stilmittel in den Gärten des Rokoko ist. Folgen Sie einmal Fragonards Park-Inspirationen. Alte Parkanlagen in ehemaligen Residenzstädten können gerade aktuell Entspannungs- und Kraftorte sein. Spuren und Skulpturen dieser Anlagen sind dabei häufig Ausdruck einer oft unterschätzten Weisheit der Kunst des Rokoko, da vieles auf den ersten Blick lediglich verspielt erscheint. Und selbst wenn es nur ein Spiel wäre, so kann es immerhin Ihre Sinne wecken und einfach Freude schenken.

Fragonard hatte offensichtlich auch seine Freude am Spiel. Beispielsweise mit seiner erfrischenden und großen Arbeit Das Spiel vom Pferd und Reiter. Die Farben sind brillant und verleihen dem Bild mit ihren Abstufungen eine unbeschreiblich schöne Tiefe. Alles atmet Licht, Natur und Spaß. Fragonard unterstreicht hier seine Besonderheit als Rokoko-Genie, welches Szenen so vermittelt, dass wir sie bis heute hautnah genießen können. Mit dem annähernd gleich großen Format war Ein Spiel mit dem Handschlag augenscheinlich als Pendant vorgesehen, etwa als weiterer Teil eines Dekorationsprogrammes. Zu diesen Farbkompositionen passt auch das noch größere Werk Blinde Kuh, in dem ich mich aufgrund meiner beschriebenen inneren Verbindung zu solchen Parkanlagen mit allen Sinnen verlieren kann. Es werden Feste des Lebens gefeiert, sowohl im Vordergrund als auch in der märchenhaften Tiefe des Parks. Und selbst wenn noch die Mode des Ancien Régime präsent ist, atmet alles Natürlichkeit, ungebremste Freude und überall lauert noch mehr Genuss. Die Gesamtkomposition brilliert durch eine atemberaubende Baumkulisse.

Apropos Genuss. Auf jeden Fall ist Fragonard ein Maler der Liebe, des erotischen Verlangens und des Flirts. Seine Bilder sind allerdings nicht immer eindeutig. Was passiert beispielsweise auf dem beeindruckenden Gemälde Der gestohlene Kuss genau? Offensichtlich haben die drei Hübschen Karten gespielt und der Junge in der Mitte hat einen Kuss gewonnen. Diesen will er sich sogleich auch bei dem Mädchen links holen, obwohl das Kartenspiel gerade noch im vollem Gange war, denn die einzelnen Karten purzeln den Tisch herunter. Das Mädchen jedoch wirkt sehr erschrocken und scheint sich dem Kuss alles andere als hingeben zu wollen. Wie stark ist ihre Abwehr und was wird in den nächsten Sekunden passieren? Die Szene erinnert mich an ein anderes Gemälde von Fragonard, Der Riegel. In dieser von Leidenschaft nur so durchtränkten Szene, in der die Luft brennt, bleibt über die tatsächliche Intention der Beteiligten und über den weiteren Verlauf oder das bereits Geschehene beinahe alles offen. Bei Fragonards weltberühmtem Werk Die glücklichen Zufälle der Schaukel hingegen steht das Begehren und die frivole Lust im Zentrum der Handlung.

Durch Fragonards gesamtes Œu­v­re zieht sich das Motiv des Liebesverlangens.5 Vielleicht erreicht diese Sehnsucht einen Höhepunkt mit seiner Fontäne der Liebe von 1785. Mit diesem Werk können wir den „ganzen Fragonard“ genießen. Seine Lieblingsthemen Liebe und Parks - und das alles ordentlich durchsetzt mit den auch bei Fragonard so bevorzugten Putten - kumulieren zu einer stürmischen Einladung an das dargestellte Paar, das Wasser dieser Liebesfontäne unbedingt zu trinken. Das Liebespaar selbst scheint schon vor dem Genuss völlig hingerissen. Wie zwei dramatisch fokussierte und perfekt aufeinander abgestimmte Balletttänzer nähern sich die Beiden dem magisch inszenierten Kelch mit dem Wasser. Einige der Putten, die eventuell sogar schon zu viel von dem Wasser, das kaskadenförmig aus dem Becken weiter nach unten fließt, getrunken haben, taumeln schon liebestrunken in Richtung des unteren Beckens. Dort liegen bereits weitere, vermutlich vom gesamten Liebesrausch vollkommen erschöpfte, aber hoffentlich glückliche Putten. Wie aufwühlend diese Einladung ist und welche magische Ausstrahlung von dem Getränk ausgeht, unterstreicht Fragonard mit dem wie im Sturm wehenden Haar der jungen Frau, welches dargestellt ist in einem mitreißenden, dynamischen Einklang mit ihren ebenfalls wehenden, spärlichen Kleidern. Alles ist inszeniert vor einem dunklen Hintergrund, der erneut an eine Parklandschaft erinnert. Dieser Hell-Dunkel-Kontrast unterstreicht die Magie des Augenblicks wie auf einer perfekten Bühne. Dieses Werk ist eine Hymne auf die Kraft der Liebe. Alles auf diesem Bild ist von einem machtvollen, unwiderstehlichen Impuls ergriffen. Dieser Impuls kann auch uns jederzeit erfassen.

Fragonard lädt uns zu großer Emotion und auch zu kleinem Humor ein. Er zelebriert Gefühle. Zerwühlte Betten, rote Seidenvorhänge, sich auftürmende Wolken mit umher tollenden Amoretten, von erotischen Impulsen aufgewühlte oder ergriffene Menschen und atemberaubende Parklandschaften sind immer wieder Bestandteile seiner unnachahmlichen Werke. Fragonard erfrischt und ergreift mit einer unwiderstehlichen Lebendigkeit.

Dieser Künstler kann uns in positive Stimmung versetzen, seine Bilder haben oft eine liebevolle Aura. Sie wirken zutiefst menschlich. Fragonard schafft deutlich mehr als erotische Inspirationen. Mit Werken wie der Fontäne der Liebe kann dieser Künstler die Liebe wie eine Urkraft voll zur Geltung bringen. Viele seiner Werke sind zudem deshalb so bereichernd, weil sie ungebändigte Lebensfreude vermitteln, unsere Fantasie beflügeln und pure Sinnlichkeit ausstrahlen. Damit sind sie gerade für die Gegenwart von unschätzbarem Wert.

1 Juliane Betz, Jean-Honoré Fragonard - Leben und Werk, in Fragonard, Poesie und Leidenschaft, Publikation anlässlich der Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe 2013-2014, S. 20.
2 Ebenda, S. 21.
3 Martin Schlieder, Made in heaven, ebenda S. 257.
4 Sybille Harksen,Rokoko, Leipzig 1983, 3. Auflage, S. IX.
5 Der Louvre, Museumsführer, Musée de Louvre, Paris 2005, S.207.