In Castiglione della Pescaia in der Toskana, dem stillen Örtchen am Meer, ganz in der Nähe der gestrandeten Costa Concordia, ist der Künstler Torsten Krutsch zuhause. Ich begegne ihm und seiner Familie unter den typischen maritimen Pinien zwischen blühenden Mittelmeergewächsen aller Art.

Die Idylle an der Oberfläche – das Leben könnte einfach schön sein, eine Etage tiefer im Studio aber brodelt es – die Weltpolitik zerrt an den Nerven der Menschheit, das Schiff liegt auf Grund und Torsten Krutsch kann nicht tatenlos zusehen.

Der Computer als Skizzenblock ist immer eingeschaltet, zusätzliche Ventilatoren kühlen Gerät und Kopf des Künstlers, der mir erhitzt von leidenschaftlicher Beteiligung erklärt, warum jeder einzelne etwas tun muss, warum man sich gemeinsam gegen die Macher der Wirtschaftspolitik erheben muss, warum es trotzdem Sinn hat, sich dem Wahnsinn in seinem "Mantel aus Kälte […]/ weil man Frierende besser regieren kann [...]" (1) entgegenzustellen. Dann führt er mich in sein aktuelles Projekt Liedermaler interpretiert Liedermacher ein, an dem er hart arbeitet. 2013 im Frühjahr soll alles fertig sein. Jeden Tag verbringt er deshalb bis zu 11 Stunden im Atelier, um seine INTERPRETATIONEN zu schaffen, die er aus dem starken persönlichen Bedürfnis heraus, den aufbegehrenden Weltbürgern zu zeigen, dass sie mit ihren berechtigten Protesten nicht allein stehen, entwickelt. Einen ebenso unbarmherzigen Spiegel will er den Mächtigen, die maßlos, unverantwortlich, umweltschädlich, gar menschenverachtend ihre weltumspannenden Machtgeflechte aus Politik, Geld- und Marktwirtschaft pflegen ohne jegliches Bewusstsein für Folgen, vorhalten. Von Müdigkeit keine Spur! Inspiriert vom Engagement der Liedermacher für Menschenrechte, Demokratie und soziale Gerechtigkeit sowie der aktuellen Streitschrift "Empört Euch!" von Stephane Hessel greift der Künstler Torsten Krutsch 27 Lieder der bekannten Musiker Konstantin Wecker und Hannes Wader aus den Jahren 1985 bis 2012 auf, um sich den brisanten Themen der anhaltenden globalen Wirtschaftskrise bildnerisch zu nähern, seiner eigenen Weltanschauung Ausdruck zu verleihen, seinen Teil dazu beizutragen, die Missstände anzuprangern und aufzurütteln, um Gefühle auszudrücken. Und beide Sänger unterstützen persönlich den Maler mit ihrem Songmaterial sowie der Zusage, auf den geplanten Vernissagen aufzutreten und die Hörbilder musikalisch zum Klingen zu bringen. Ein Gesamtkunstwerk soll es werden, in dem sich Musik und Kunst vereinen, das unter die Haut geht! Für eine lebenswertere Welt!

Nein, leichte Kost sind sie nicht, diese Hörbilder. Ich bekomme gleich als erstes „Im Namen des Wahnsinns“ gezeigt. Ein mittleres Format reicht aus, um mir vor Augen zu halten, dass es nicht gut um unseren Globus bestellt ist. Natürlich sagen mir das auch die täglichen Abendnachrichten, aber mit einer Gleichgültigkeit unter dem Deckmantel der Berichterstattung, dass ich lieber zu Bett gehen mag, als mich beeindrucken zu lassen. Da hilft auch die neudeutsche Schocksprache, wie ich sie nenne, nicht aus, um mich wachzuhalten. Doch mit Torsten Krutschs Malereien ist das anders, ich bin vom ersten Moment an aufmerksam, betrachte intensiv das Bild als Derivat unserer Zeit und höre zu. Er erzählt: „Als ich das Lied Im Namen des Wahnsinns hörte und erfuhr, dass es mittlerweile vor über 20 Jahren von Konstantin geschrieben wurde, konnte ich es nicht fassen, weil ich von der Problematik, die das Lied besingt, gerade erst heute Morgen in der Zeitung gelesen hatte. Aktueller ging es nicht. Und mir war noch nie so klar wie in jenem Augenblick, dass die Menschheit noch immer keine Lehren aus ihrer Geschichte gezogen hat. Extrem empört darüber, musste ich mir unbedingt Luft machen, ganz im Sinne von Kirchner, der jeden Künstler zum Kreis der Dresdner Brücke zählte, ‚der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt. (2) - Ich male, weil ich ein Bild hab!“

Die Malerei zum Musiktitel zeigt verletzte, tote Körper, angehäuft im Bildvordergrund. Links, etwas weiter hinten steht ein Mann, mit einem Schläger in der Hand oder ist es ein Ruder, von dem Blut tropft, und schaut zum Betrachter. Ich steh also mitten im Geschehen, welches ist meine Rolle? Opfer, Täter? Was ist hier geschehen? Religiös motiviertes Massaker, Regimegefallene, gestrandete tote Flüchtlinge, Opfer von Gräueltaten? Mein Blick führt zu der zentralen, mir den Rücken zeigenden Person, die sich gen Himmel reckt und eine Öffnung ins Himmelsgewebe reißt. Endlich ist der blaue Deckmantel versehrt und gibt den Blick auf die wahren Gesichter der Macht und des politisches Verbrechens jener frei, die mit Ihrer skrupellosen Politik in Vergangenheit und Gegenwart unsere Zukunft schreiben. „Der Wahnsinn schleicht durch die Nacht/ und nennt sich Recht und nennt sich Macht/ Verjagt die Sonne/ Löscht die Zeit/ Und stiehlt uns aus der Wirklichkeit.“ (3) Göttern gleich thronen sie scheinbar unantastbar über dem verursachten Menschheitsunglück. Aber bei Torsten Krutsch können sie sich nicht mehr verstecken, sie sind entlarvt und das ist ein Anfang!

„Künstler können die Welt vielleicht nicht verändern, sie können aber helfen positive Strömungen der Veränderung zu unterstützen.“ Dies will der Maler nicht versäumen, sonst müsste er sich „noch in der Urne vorwerfen, für seine Kinder selbst nichts gegen den WAHNSINN getan zu haben!“ Dann gerät er in Fahrt, in ihm kocht es: „Wenn Ackermann hustet, liegt doch die Merkel mit 200 Grad Fieber im Bett! – Solange dies eine Tatsache ist, habe ich den Mut, mich meines eigenen Verstandes zu bedienen, wie Kant bereits seinen Zeitgenossen vorschlug!“

Torsten Krutsch hat plötzlich aufgehört zu sprechen, es ist unerwartet still im Atelier. Er hat das Lied „Nun muss ich gehn“ von Hannes Wader aufgelegt und weist mit einer Handbewegung auf eine andere Malerei, die gegenüber auf einer Staffelei steht. Ich bin berührt, aber auf völlig andere Weise als einen Augenblick zuvor. Nicht das kämpferisch gesellschaftliche Element dominiert Lied und Malerei, nein, hier ist es das persönlich individuelle. Die Geschichte einer zerbrechenden Liebe: zunächst höre und sehe ich die Sorge um die Beziehung, die „früh verdorrt wie ein Baum/ in saure Erde gesetzt/ und der nicht mehr wächst/ um Früchte zu tragen“, dann den schweren Entschluss zur Trennung, „nun ist mein Entschluss/ endlich gefallen/ und wie ein Findling/ so wuchtig und stumm/ liegt er nun da“ (4) , aber am Ende gibt es einen Weg, der zwar in die Ungewissheit führt, dennoch einen hoffnungsvollen Neubeginn darstellt.

Ich bin froh, dass Krutsch der Hoffnung in seinen Bildern stets doch noch eine Chance gibt, sei es durch Farben oder Inhalte. Und er gesteht den Grund: „Beim Malen bin ich sehr, sehr angespannt, fiebere mit jeder einzelnen Begebenheit in den Songs mit. Es ist nicht ganz einfach, sich täglich mit solch brutalen Themen zu befassen, tief in die Unrechtsstrukturen einzudringen und danach nicht aufgeben zu wollen oder aggressiv angesichts allen Übels zu werden. Zum Glück ich bin immer noch komplett in meine Familie verliebt. Sie gibt mir den nötigen Halt und allen Grund zur Hoffnung.“

„Ich unternehme mit meiner Malerei den Versuch, möglichst nah an die Wahrheit heranzukommen. Wenn ich eben durch sie den Betrachter sensibel und betroffen, aufmerksam machen kann, dann ist das auf jeden Fall ein Schritt in ein besseres Morgen.“, sagt Torsten Krutsch zum Abschluss. Er will mit seiner Malerei etwas bewegen, vor allem das Denken anstoßen, uns wachrütteln. Dies tut er mit Leidenschaft, tiefgründigen Ideen und aus der Überzeugung heraus, etwas Richtiges zu tun. Den Weltenbrand der "Empörung" gegen ein gnadenloses Ausbeuten der Erde will er kontrolliert angefacht wissen und ihn mit seinen Bildern am Brennen halten.
Alles, damit wir uns entzünden!

Am 24. jeden Monats erscheint ein neuer Artikel von Katrin Wegener.
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1-Konstantin Wecker: Im Namen des Wahnsinns. Liedtext, Version von CD "Mey, Wader, Wecker - das Konzert“, 2003
2-Ernst Ludwig Kirchner: 1906 das Programm der Brücke zitiert nach 22/05/2012 http://de.wikipedia.org/wiki/Expressionismus
3-Konstantin Wecker: Im Namen des Wahnsinns. Liedtext, Version von CD "Mey, Wader, Wecker - das Konzert“, 2003
4-Hannes Wader: Nun muss ich gehn. Liedtext, Version von CD „Wecker & Wader - Kein Ende in Sicht“, 2010

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