Zentral für die Arbeiten der Künstlerin Astrid Klein ist die Reflexion von Repräsentationsmechanismen, (visuellen) Stereotypen sowie Machtstrukturen, die sowohl unsere Wahrnehmung als auch unser Denken lenken und bestimmen. Als Material für ihre Überlegungen dient ihr existierendes Bildmaterial, das sie gleichberechtigt mit Textfragmenten kombiniert, die auf einer intensiven Auseinandersetzung mit philosophischen, ästhetischen und wissenschaftlichen Theorien basieren. Indem Astrid Klein Bild- und Textelemente kontinuierlich neu arrangiert, transformiert und filtert, entstehen komplexe Kompositionen, die sich nicht auf eine eindeutige Aussage festlegen lassen. Viel mehr liegt das Aufspüren von Bedeutungen und die Herstellung semantischer Verknüpfungen innerhalb der Arbeiten in der Verantwortung der Betrachter_innen. Aber nicht nur auf der inhaltlichen Ebene werden Spannungsräume provoziert, sondern die Werke zeugen gleichzeitig auch von einer enormen Materialbeherrschung der Künstlerin. Immer wieder nimmt sie eine Befragung der Möglichkeiten und Grenzen verschiedener künstlerischer Formate vor, wobei insbesondere die Beschäftigung mit dem Potential der Malerei einen bedeutenden Stellenwert einnimmt.

Im Zentrum der aktuellen Ausstellung der Künstlerin bei Sprüth Magers steht die Präsentation der Werkgruppe der CUTs (1986/1996). Erstmalig wurden diese Collagearbeiten 2018 im Rahmen von Kleins großer Retrospektive in der Sammlung Falckenberg in den Deichtorhallen Hamburg-Harburg gezeigt. Als eine der ersten Künstler_innen arbeitet Astrid Klein mit transparentem Filmmaterial und setzt in der für ihre Werke charakteristischen Rhetorik Foto- und Textelementen einander dialogisch gegenüber. Das fotografische Material bezieht sie dabei in erster Linie aus einem Fundus, der auf ein kollektives Bildgedächtnis verweist. Indem die Künstlerin in das existente Bildmaterial interveniert, es verändert und neu arrangiert, thematisiert sie Blickregime und Darstellungsstrukturen, ebenso wie spezifische Repräsentationsmechanismen. Gegenüber den berühmten Collagen der 1970er Jahre wird in den CUTs zunehmend auch die räumliche Wahrnehmung der Bilder relevant. Als Trägermaterial für die Collagen verwendet Astrid Klein Transparenzfilm, dessen lichtdurchlässige Oberflächenbeschaffenheit Spuren des künstlerischen Arbeitsprozesses sichtbar werden lässt. Die Synthese von Licht und Material resultiert aber nicht nur in einer Offenlegung des Gerüstes der Arbeiten, sondern erweckt ebenso den Anschein einer zunehmenden Auflösung der Zweidimensionalität der Bilder wodurch sie einen skulpturalen Charakter erhalten. Aufgrund der Größe der Arbeiten wird es den Betrachtenden darüber hinaus möglich, abhängig von ihrem Standpunkt unterschiedliche Perspektiven auf die Collagen einzunehmen.

Demgegenüber wird im kleinen Ausstellungsraum eine Auswahl früher Zeichnungen der Künstlerin präsentiert. Diese bisher selten öffentlich präsentierten Werke sind von maßgeblicher Bedeutung für das Oeuvre Astrid Kleins und zeugen bereits von ihrem ausgeprägten Interesse an der Technik der Collage. Indem sie verschiedene Materialien miteinander arrangiert und das Zeichenpapier beispielsweise auf Alufolie montiert oder seine Oberfläche mit Transparenzpapier bedeckt, lässt sie unterschiedliche Schichten entstehen, die eine Erweiterung des Bildraumes nach sich ziehen. Dieser Prozess spielt aber nicht nur als formale Entscheidung der Künstlerin eine Rolle, sondern findet sich auch auf der inhaltlichen Ebene ihrer Arbeiten wieder. Auf der Papieroberfläche verbindet Astrid Klein Zeichnungen, Gedankenfragmente sowie literarische und philosophische Verweise. Sie eröffnet Denk-Räume, in denen politische, theoretische aber auch ästhetische Überlegungen miteinander in Korrespondenz gesetzt werden.

Neben den frühen Zeichnungen wird schließlich auch die Neonarbeit Untitled (insensible perceptions) (1998/2012) gezeigt. Die Auseinandersetzung mit Neonlicht nimmt insbesondere seit den 1980-Jahren einen bedeutenden Stellenwert als Ausdrucksmöglichkeit in den Werken von Astrid Klein ein. Ausgehend von Zeichnungen entwickelt die Künstlerin skulpturale Lichtgebilde, in denen gegenüber einer Befragung von Bildräumen verstärkt auch die Untersuchung von physischen Räumen in den Fokus rückt. In der Neonarbeit verbinden sich filigrane Neonröhren zu einem abstrakten, geschwungenen Schriftzug, der seine Umgebung in ein kühles Licht taucht. Gleichzeitig wird die Oberfläche des Lichtkörpers zum Trägermaterial für Textfragmente, in denen die Künstlerin Referenzen zu dem Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz sowie dem Dichter Wilfred Owen herstellt. Insbesondere diese Bezugnahme auf Owen, dessen Gedichte von Benjamin Britten für seine Komposition War Requiem adaptiert wurden, spielt seit den 80er Jahren eine entscheidende Rolle. Indem sie diese unterschiedlichen Verweise einander gegenüberstellt, erweitert Astrid Klein auf spielerische Weise den Bedeutungshorizont der Arbeit. Ausgehend von dem wechselseitigen Zusammenspiel zwischen Text und Licht thematisiert sie nicht nur den räumlichen Charakter des Materials, sondern hält die Betrachter_innen ebenso an, ihre gewohnte Wahrnehmung zu hinterfragen.

In ihrer Ausstellung bei Sprüth Magers führt Astrid Klein in dialogischer Gegenüberstellung Werke zusammen, die sich sowohl in ihrer formalen als auch inhaltlichen Ausrichtung gedanklich zueinander in Bezug setzen lassen. Sie wirft in den künstlerischen Arbeiten einen ordnenden Blick auf die sie unmittelbar umgebende Gegenwart, indem sie nicht nur physische, sowie psychologische und kulturelle Räume reflektiert, sondern auch verschiedene Parameter, die Wissensbildung und Erkenntnisgewinn bestimmen, in das Blickfeld der Betrachter_innen rückt.

Astrid Klein (*1951 in Köln) lebt und arbeitet in Köln. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Käthe-Kollwitz Preis der Akademie der Künste, Berlin (1997) und den KUNSTKÖLN-PREIS (den heutigen Künstlerpreis der Cologne Fine Art & Antiques) im Jahre 2001. Ihre Werke waren in einer Vielzahl institutioneller Einzelausstellungen zu sehen, u. a. Sammlung Falckenberg, Deichtorhallen, Hamburg Harburg (2018); The Renaissance Society, Chicago (2017); KW Institut for Contemporary Art, Berlin (2005); Contemporary Art Center, Vilnius (2003); Hamburger Bahnhof, Berlin (2002); Neuen Museum, Staatliches Museum für Kunst und Design, Nürnberg (2001); Kunsthalle Bielefeld (1989), Wanderausstellung der Kestnergesellschaft, Hannover; ICA, London; Wiener Secession und Forum Stadtpark, Graz (1989), sowie Museum of Contemporary Art in Seoul (1981). Ihre Arbeiten waren Teil wichtiger Gruppenausstellungen, u. a. Kunsthalle Düsseldorf (2016); Deichtorhallen Hamburg (2015); Städtische Galerie Karlsruhe (2013); Weserburg Bremen (2011); Pinakothek der Moderne, München; KW Institut for Contemporary Art, Berlin (2005). Zudem nahm die Künstlerin an der documenta 8 (1987) und an der 42ten Biennale in Venedig (1986) teil.