Sprüth Magers freut sich, Thomas Ruffs erste Einzelausstellung in der Galerie mit neuen Werken aus seiner jüngsten Serie press++ zu präsentieren, die hier zum ersten Mal zu sehen sind. In seiner vielschichtigen Praxis, die den sich ständig wandelnden Möglichkeiten der Fotografie nachgeht, setzt sich Ruff in Untersuchungen visueller und kultureller Phänomene mit der Frage auseinander, auf welche Weise Technologie unser Sehen beeinflusst. Dies manifestiert sich in einem weiten Spektrum an Themen und Methoden, die von Portraitfotografie und Dokumentationen aus dem Bereich der Astronomie bis hin zu Fotogrammen und mithilfe von Algorithmen erzeugten digitalen Abstraktionen reichen.

Als Ausgangsmaterial für seine Serie press++ verwendet Ruff Fotos, die in amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften der 1920er bis 1970er Jahre veröffentlicht wurden – Bildmaterialien, die aus unterschiedlichen Archiven und Kontexten stammen, unter anderem von Polizeibehörden, der NASA, Presseagenturen oder den Presseabteilungen öffentlicher Institutionen. Ab den 1930er Jahren war es nicht länger üblich, dass Presseabteilungen Papierabzüge von Fotografien per Post versenden, sie wurden teilweise auch telegrafisch verschickt und von den Zeitungen selbst ausgedruckt; dieser Prozess hinterließ Strukturen der Übertragung auf den Abbildungen.

Für die Arbeiten dieser Serie scannt Ruff zunächst jeweils die Vorder- und Rückseite eines Fotos ein und kombiniert die beiden Seiten dann digital, wobei er sowohl das eigentliche Motiv als auch Ausschnitte, retuschierte Stellen, Datumsstempel, handschriftliche Notizen und etwaige Verschmutzungen belässt. Die rückseitigen Vermerke sind mannigfaltig im Hinblick auf Linie, Farbe und die verwendeten Werkzeuge: ein roter Stempel, ein tintenblauer Fingerabdruck, ein Kugelschreiberschnörkel. Ruff selbst wies auf den mangelnden Respekt der Zeitungsredakteure im Umgang mit Fotografien hin, die die visuelle Erscheinung und Bedeutung eines Originals erheblich verändern können. Entgegen der üblichen Praxis, die Hand des Bildredakteurs nicht sichtbar zu machen, ist sie hier nun nach vorn und ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.

Die Porzellanhaut und der sinnliche Blick der Stars und Sternchen der Filmindustrie, die im Hauptausstellungsraum der Galerie versammelt sind, beschwören den einzigartigen Glanz Hollywoods herauf. Die Ausgangsfotos für diese Arbeiten sind die offiziellen Portraits, die Casting-Agenturen verwenden, um die Schauspielerinnen für Rollen zu vermitteln. Die Identität lässt sich anhand der auf der Rückseite der Portraits handschriftlich vermerkten Namen ermitteln: Portland Mason, Connie Russell, Rosemary Clooney. Manche Gesichter sind von farbigen Akzenten überlagert oder es sind angeheftete Zeitungsausschnitte mit der finalen publizierten Version ergänzt, wie bei press++33.08 – eine Ankündigung eines neues Stücks mit der Schauspielerin in der Hauptrolle, wodurch eine gespenstische Wiederholung eines Bildes im Bild entsteht. Andere Beispiele wiederum enthalten nur einen handschriftlich vermerkten Namen, der dazu dient, die abgelichtete Person zu identifizieren, oder einen eilig gesetzten Haken, mit dem ein Redakteur sein Einverständnis erklärt.

Eine weitere Gruppe von Arbeiten konzentriert sich auf Bildmaterialien, die von Presseabteilungen in Museen zur Verfügung gestellt werden. Ein großflächiger Stempelabdruck quer über einem Gemälde von Joan Miró weist als Quelle das Guggenheim aus und dieser Textzusatz vermischt sich mit den gewundenen Setzungen des Künstlers. Dem Text zu entnehmen sind auch Einzelheiten über den Weg, den die Fotografie bereits zurückgelegt hat: Ein Stempel bittet um Rücksendung an das Baltimore Museum of Art (‚Please return to the Baltimore Museum of Art’), während eine Bleistiftnotiz den Verweis auf das Ressort und die Zeitung enthält, in der es erschien (‚Sunday Sun Feature Sect.’). Die Glaubwürdigkeit der Anmerkungen und des gedruckten Texts ist allerdings nicht in jedem Fall gegeben, wie ein Bild von Chuck Close zeigt, das als Jasper Johns ausgewiesen ist – wobei sich die Frage erhebt, ob es mit dieser falschen Angabe auch wirklich veröffentlicht wurde oder es sich lediglich um eine Verwechslung in den Unterlagen handelt.

Obwohl die von den Redaktionen vorgenommenen Änderungen einerseits eine Beeinträchtigung des Originalbildes darstellen, wird andererseits eine kontextuelle Ebene hinzugefügt, die relevante Informationen bereithält und nachvollziehbar macht, inwieweit das Bildmaterial für einen bestimmten Zweck geändert wurde. Es wird möglich, die geschichtlichen, politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge zu studieren, in denen ein Bild entstand, und wie Bedeutung manipuliert und Bildaussagen verändert werden können. Erkennbar ist auch eine starke Ähnlichkeit mit Dada-Fotomontagen der 1920er Jahre, wenn auch ohne die surrealistischen Einflüsse und politischen Absichten dieser Vorgänger. Durch die Wiederverbreitung und Neuarchivierung fotografischer Bilder, die seit vielen Jahren ein zentraler Ausgangspunkt in Ruffs Praxis ist, ergeben sich eine Reihe von Fragen zum Wahrheitsgehalt und zur Vollständigkeit. In diesen neuesten Werken, die in der Ausstellung erstmals öffentlich zu sehen sind, wird das Bild einer Neubetrachtung unterzogen, und während wir dabei sind, es im Hinblick auf seinen künstlerischen Wert zu untersuchen, lösen sich die Verbindungen zum ursprünglichen Kontext und die in ihnen als Pressebild enthaltenen Informationen langsam auf.

Thomas Ruff (*1958 in Zell am Harmersbach, Deutschland) lebt und arbeitet in Düsseldorf. Von 1977 bis 1985 absolvierte er ein Studium an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. Zu den jüngsten Einzelausstellungen zählen unter anderem Präsentationen im Museum of Modern Art, Tokyo, reiste anschließend zum 21st Century Museum of Contemporary, Kanazawa (beide 2016); der Art Gallery of Ontario, Toronto (2016); dem S.M.A.K, Gent, reiste anschließend zur Kunsthalle Düsseldorf (beide 2014); sowie dem Haus der Kunst, München (2012). Im September 2017 eröffnet eine Einzelausstellung seiner Werke in der Whitechapel Gallery, London.