Das Museion – Museum für moderne und zeitgenössische Kunst eröffnet das Ausstellungsjahr 2013 mit der großen Werkschau einer der bedeutendsten Vertreterinnen der Gegenwartskunst: Rosemarie Trockel. „Flagrant Delight“ (vom 2. Februar bis zum 1. Mai 2013) zeigt mehr als 80 Arbeiten aus öffentlichen und privaten Sammlungen, die das lebendige und vielschichtige Werk dieser Künstlerin, von den berühmten Wollbildern über die Keramikarbeiten bis zu Skulpturen und Collagen, umfassend dokumentieren. Der Ausstellungstitel („Freches Vergnügen“) bezieht sich ebenso auf die Sinnlichkeit wie auf den eindringlichen und „unbequemen“ Charakter dieses eindrucksvollen künstlerischen Lebenswerks.

Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat Rosemarie Trockel (Schwerte, Deutschland, 1952) unterschiedlichste Medien und Materialien genutzt und stilistisch überaus vielseitige Werke geschaffen, die immer durch einen präzisen Blick und eine niemals verleugnete weibliche Positionierung auffallen. So setzen sich ihre bekanntesten Arbeiten – wie etwa die Wollbilder oder die Kochplatten – mit männlicher Dominanz, auch in der internationalen zeitgenössischen Kunstwelt, auseinander. Man spürt den Einfluss von Joseph Beuys, der, wie auch Rosemarie Trockel, in seinem Werk eher poetische Metaphern als geschlossene Zeichensysteme entwickelte. Die Poesie ihrer Arbeiten ist aber immer eigenständig.

Wie ein Vorwort weist die Wandzeichnung „Prisoner of Yourself” (1996/2012) schon im Erdgeschoss auf die Ausstellung hin – ein im Siebdruckverfahren auf den Verputz aufgetragenes Strickmuster, das, als „Pattern“, im Werk von Rosemarie Trockel häufig zitiert wird. Die Ausstellung im vierten Stock ist dann wie eine Installation konzipiert. Der Besucher wird hier dazu eingeladen, in die facettenreiche Welt dieser Künstlerin einzutauchen. Der Parcours spiegelt den metaphorischen und assoziativen Arbeitsstil von Rosemarie Trockel wider, die sich akademischen Klassifizierungen und chronologischen Rastern immer verweigert hat. Die Präsentation der miteinander vermischten Werkgruppen – Collage, Wollbilder, Skulpturen und Assemblagen – legt Verbindungslinien zwischen Themen, Formen und Materialien offen.

Das Werk von Rosemarie Trockel wird häufig mit ihren überwiegend mechanisch produzierten „Gemälden” aus Wolle gleichgesetzt. Damit reagierte die Künstlerin auf die Vormachtstellung von Männern in der Kunstwelt – mit der Nutzung “typisch weiblicher Materialien und Techniken” protestiert sie gegen die Ausgrenzung von Künstlerinnen. Dabei wollen diese Arbeiten allerdings keineswegs Beispiele weiblicher Handwerkskunst und Virtuosität sein. Deshalb stellt Rosemarie Trockel diese Bilder mit Hilfe computergestützter Verfahren und mit Strickmaschinen her – die Prozesse mechanischer Wiederholung sind wiederum der Ursprung zahlreicher Grundelemente ihres Oeuvres. Der Rückgriff auf serielle Fertigungstechniken provozierte eine Debatte über den Gegensatz zwischen Originalität und Reproduktion, Kreativität und Mechanik sowie Kunst und Kommerz. Im Museion sind zehn dieser berühmten Wollbilder aus den vergangenen 30 Jahren zu sehen, wie etwa das frühe Strickbild „Untitled” (1986), in dem die Künstlerin drei Farben einsetzt, die besonders häufig in Staatsemblemen vorkommen, und diese ironisch-hintergründige Melange dann zu einem handgefertigten bunten Wandrelief erweitert.

Im ästhetischen Universum von Rosemarie Trockel stehen serielle Mechanik und Verinnerlichung neben extravertieren, verspielten und barocken Formen. Das trifft auch auf die von der Künstlerin seit zehn Jahren produzierten Keramikarbeiten zu. Die Ausstellung im Museion stellt 15 Werke aus den Jahren 2009 bis 2012 vor, die eine scheinbar altmodische Kunstfertigkeit und Zufälliges, Geformtes und Ungeformtes kombiniert. Den zupackenden Witz der Künstlerin dokumentiert die Arbeit „Domino” (2008) – eine fragile Keramikskulptur in Form einer Absperrungskette, wie sie auch in Museen zum Einsatz kommt.

„Pattern is a Teacher” (“Das Muster ist der Lehrer”): Der Titel dieser Collage aus mit rotem Lackspritzern “verschmutzter” Wolle klingt wie eine Grundsatzerklärung und das ist kein Zufall. Schließlich geben Wiederholung und Regelmäßigkeit der assoziativen Arbeitstechnik von Rosemarie Trockel Halt und Richtung. Die übrigen Collagen in der Ausstellung verbreiten eine düstere, beunruhigende und expressive Stimmung. Die zirka 40 im Museion vertretenen Werke erlauben einen Überblick auf die seit 2004 entstandenen Arbeiten dieses Genres. Dabei sind viele Collagen Überarbeitungen oder Erweiterungen bereits existierender Konzepte und weisen häufig Bezüge zu früheren Werken auf. Das ist zum Beispiel bei der 1970 entstandenen Skizze „Childless Figure” der Fall oder bei Fotografien, die aus Trockels Videos oder aus anderen älteren Arbeiten stammen. Oft verweigert die Künstlerin den Zugang zu ihren inneren Bildern, indem sie einen Blickpunkt mit Hindernissen wie Zäunen, Brettern oder Fensterläden versperrt – und damit auch eine unüberwindbare Grenzlinie zwischen Öffentlichem und Privatem zieht.

Teil dieser Ausstellung sind natürlich auch zwei Exemplare der berühmten Kochplatten („Untitled”, 2000). Unter den im Museion gezeigten Skulpturen befinden neben figurativen Werken auch komplexe und bizarre Assemblagen. So bezieht sich die für die Sammlung des Museion angekaufte Lichtarbeit „Spiral Betty” ironisch auf die 1970 entstandene riesige Landart-Skulptur „Spiral Jetty” des US-Amerikaners Robert Smithson. Rosemarie Trockel verlagert Smithsons Spiralenstruktur jedoch auf den menschlichen Körper mit einem deutlichen Bezug auf die weiblichen Fortpflanzungsorgane. In „Studio 45: Haus für Läuse“ (1994) wird eine blonde Perücke zum Lebensraum für eine Laus. Schon in ihrer Jugend interessierte sich Rosemarie Trockel für Naturwissenschaften und die Verhaltensbiologie von Tieren. Nicht zuletzt deshalb hat sie immer wieder ideale Wohnstätten für unterschiedliche Arten entworfen – besonders bekannt ist ihr 1997 gemeinsam mit Carsten Höller für die documenta X entwickeltes „Haus für Schweine und Menschen”. Die jüngste Arbeit in der Ausstellung in Bozen ist das Wandbild „Still Life“ (2011) – eine optische Illusion aus 45 perspektivisch verschobenen Kreisen auf einer blauen Holzwand.

„Rosemarie Trockel nimmt in der Kunstwelt seit den achtziger Jahren – aufgrund ihrer unkonventionellen Haltung und ihres ironischen Blicks, der ihre für das Experiment jederzeit offene Kunst kennzeichnet – eine einzigartige Position ein. Nach den Einzelausstellungen von Künstlerinnen und Künstlern wie Carl Andre und Valie export setzt das Museion mit Rosemarie Trockel seine Reihe mit bedeutenden Vertreterinnen und Vertretern der Gegenwartskunst fort. Das Haus stellt damit Künstlerinnen und Künstler vor, die nicht nur die Entwicklung der Kunstgeschichte geprägt haben, sondern auch zu einem wichtigen Bezugspunkt geworden sind und zwar nicht nur für die junge Generation”, sagt die Direktorin des Museion, Letizia Ragaglia.

Zur Ausstellung erscheint bei BlackJack Editions in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Zürich, mit WIELS Zentrum für zeitgenössische Kunst, Brüssel, mit der Fundação Caixa Geral de Depósitos – Culturgest, Lissabon und mit dem Museion in Bozen ein Katalog.

Rosemarie Trockel wird 1952 in Schwerte in Westfalen geboren und wächst in der ländlich strukturierten Region Leverkusen-Opladen auf. 1971 beginnt sie einen Lehramtsstudiengang an der Pädagogischen Hochschule Köln mit den Hauptfächern Anthropologie, Soziologie, Theologie und Mathematik. 1974 wechselt sie an die Kölner Werkkunstschule und studiert bis 1978 bei dem Maler Werner Schriefers. 1980 trifft sie die Stadtplanerin und spätere Galeristin Monika Sprüht, mit der sie in die USA reist, wo sie die entscheidende Bekanntschaft mit den Konzeptkünstlerinnen Jenny Holzer, Barbara Kruger und Cindy Sherman macht. 1982 findet ihre erste Einzelausstellung in Köln und Bonn statt. 1988 wird für Rosemarie Trockel ein entscheidendes Jahr: Das Museum of Modern Art in New York zeigt ihre Arbeiten in einer Einzelausstellung. Zudem nimmt sie an der erfolgreichen Gruppenausstellung „Made in Cologne” teil. Im Rahmen der documenta X in Kassel baut Rosemarie Trockel 1997 gemeinsam mit Carsten Höller „Ein Haus für Schweine und Menschen”. 1999 stellt sie als erste Frau im Deutschen Pavillon in Venedig aus. Ihre Arbeiten sind weltweit in Ausstellungen, bei Biennalen und in öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten. In den vergangenen Jahren waren umfangreiche Einzelausstellungen zu sehen: im Lenbachhaus in München (2002), im Museum Ludwig in Köln und im Maxxi in Rom (2005), im Kunstmuseum Basel und im Kunstmuseum Bonn (2010). 2012 nimmt sie an der documenta XIII teil und zeigt Einzelausstellungen im Museum Reina Sofia in Madrid und im New Museum in New York. Für ihr Werk erhält sie zahlreiche Auszeichnungen, wie den Wolfgang-Hahn-Preis der Gesellschaft der Freunde für Moderne Kunst am Museum Ludwig in Köln (2004) oder den Kaiserring der Stadt Goslar (2011). Die Künstlerin lebt und arbeitet in Köln. Sie ist seit 1995 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und lehrt seit 1998 als Professorin an der Kunstakademie in Düsseldorf.

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Am Donnerstag ist der Eintritt von 18 bis 22 Uhr frei. An diesem Tag bietet das Museion um 19 Uhr eine Gratisführung durch die Ausstellungen an. Donnerstag, 07/03/13 Führung mit dem Kurator der Ausstellung Dirk Snauwaert