Das Zeichen und die Göttlichkeit sind am gleichen Ort und zur gleichen Stunde geboren.

(Jacques Derrida)

Munich sentimental könnte eine Rückkehr bedeuten an den Ort, an dem alles begann. Die Ausstellung würde dann verwerfen, was Marc LeBlanc festhält: Jeder Werkzyklus wird von einem neuen Künstlercharakter vorgeführt, und wenn Mayer dessen müde ist, sieht man nie wieder etwas davon. Derselbe LeBlanc aber nennt Tabu und Tod, das Verworfene im Großen und Ganzen. Es heißt: Wenn es eine Kontinuität gibt, dann liegt sie in dem, was Mayer malt.

Diese Kontinuität aber käme ohne den Künstler aus wie der Mond, der angezogen und nach außen bewegt wird und dadurch stabil auf Abstand gehalten. Entsprechend spricht Isabelle Graw von dem Schweigen, welches die Frauen in den Bildern von Hans-Jörg Mayer umhüllt. Als ob die Bilder Tatsachen wären und doch nicht Werbung und Nachrichten. Als ob sie nur dazu verführen könnten, Stücke der Welt zu verwerfen. 2022 hat jemand in der Galerie Christine Mayer es so viel wie abject, verwerflich genannt, dass Mayer überhaupt eine Frau malt und erst recht eine Frau als indische Göttin. Kein Anderer als Hans Sedlmayr wird der Sprecherin genauso gerecht wie dem, was sie vorbringt: Allgemein dürfen Kunstwerke nicht gemessen werden an dem, was sie darstellen.

Abjekt ist das Verworfene, das aber spricht. Ohne Wenn und Aber kann sich das gleiche nur als Welt darstellen, die aber schweigt. Die Analyse, unter der die Welt in Tatsachen zerfällt, wird immer umgekehrt werden in der Synthese. Auch in der Analyse, die zögert, sich durchzustreichen, kommt das Bild zu dem hinzu, was entweder philologisch oder geometrisch gesagt werden kann. 1988 heißt es im Katalog einer Gruppenausstellung im Kunstverein München zu Hans-Jörg Mayer: Zur Sprache und geometrischen Form kommt als drittes, wesentliches Element das Bild hinzu. Aber das, was Kant synthetische Erweiterung nennt, geht darüber hinaus. Es kommt zu dem Abschluss hinzu, der in der analytischen Erläuterung bereits vorliegt.

Das, was hinzukommt, ist daher ein Anfang, aber kein Ursprung. Hans-Jörg Mayer berichtet, dass er zuerst Wörter und Zeichen gemalt habe, weil ihm an der Akademie in München gesagt wurde, dass er nicht malen könne. Sogar die in Berlin entstandenen Gemälde sind als Malerei so wenig akademisch wie möglich. Institutionell könnte nur sein, die Fotografie als solche eine Institution zu nennen. Und sicher ist nur, dass diese Sicherheit nur zu ertragen sein wird mit der Versicherung, dass die zu einem großen Teil fotografischen Vorlagen doch feuchter Quellgrund seien oder lebendiger Ursprung.

Zu sagen, dass Munich sentimental sich auf L. A. confidential beziehen lässt, dass das eine eine Ausstellung ist und von 2025 und das andere ein Film und von 1997, ist im besten Falle verschwiegen. Zu sagen, dass sich mit einem Standort auch Emotionen verbinden, stiftet keine Einheit und schafft keinen Überfluss. Dagegen ist in dem Katalog des Kunstvereins von 1988 vielleicht mehr gesagt als gemeint, wenn es heißt, dass die sprachlichen Mitteilungen bei Hans-Jörg Mayer nicht als Verweise auf mögliche Bildinhalte funktionieren. Die Ausstellung in der Galerie Christine Mayer kann auf fast 40 Jahre verweisen. Dennoch meint Munich sentimental nicht Anfang und Ende oder Geburt, Sex und Tod. Diese Worte waren 1985 in einem Bild von Hans-Jörg Mayer genannt oder angebracht. In dem Titel G. S. T. sind sie abgekürzt. Schon damals waren die Lettern Überschuss oder Design, und es verbarg sich dahinter nichts, was nur wichtig ist, weil es allen auferlegt ist. Designiert werden Mann und Frau nicht als Vater und Mutter, aber als Vorsitzende.

In der Ausstellung Munich sentimental sind die Arbeiten von 2022, 2023 und 2025 sofort als Bilder zu identifizieren. Ihre Titel jedoch verweisen vor allem auf das, was zu ihnen und mehr noch zu ihren Gegenständen hinzukommt. Booster zeigt 2025 die teuerste Handtasche, und der Titel bedeutet so viel wie Verstärker, Rakete und Aufheller. Aller Voraussicht nach wird das Bild nicht den Preis von 500.000 Euro erzielen. Aber wie kann es um Erfolge gehen wie diesen? Wäre das Ziel erreicht, dann wäre der Künstler nicht länger gefesselt, sondern besiegt. Siegen würde das, was Mayer malt. Die Kontinuität, die LeBlanc darin liegen oder verborgen sieht, findet ein Ende als Anfang und doch nicht als Ursprung.

Daher kann Hans-Jörg Mayer das, was er malt, auch ausstellen. 1988 war im Kunstverein München der Aluguss Blonde zu sehen. 2025 aber versammelt Munich sentimental die Güsse Bonus, $55,95, 2for1, sexx, sweet, angel, shades, free free, und $2. In Aluminium und in Eisen scheint alles gesagt. Das heißt nicht, dass auch alles gezeigt wird. Es heißt vielmehr, dass das Was sich als Schrift darstellt. Diese ist nicht geborgen im Buch und sogar in der Zeit nicht abschließend unterzubringen. Ich erinnere mich an Seiten in Hand und Wort, auf denen André Leroi-Gourhan die Anordnung in der Werbung mit der in der Höhlenmalerei vergleicht. Gewiss hat Mayer in der Hans-Sachs-Straße gearbeitet. Er hat diese Werke 1987 und 1988 in der Gießerei Mayer in der Fraunhoferstraße ausführen lassen. Und er zeigt sie nun in der Liebigstraße in der Galerie Christine Mayer. Aber sollen wir nun von Inschriften reden oder von Bildern? Oder: Warum ist $55,95 sogar noch mehr ein Relief, nachdem der Künstler es mit Ölfarbe übermalt hat?

Alois Riegl hat die spätrömische Kunstindustrie als einen Übergang geschildert, der vom Haptischen zum Optischen hin verläuft. Aber dieser Kurs erweist sich als Rekurs, wenn das Sichtbare auch das Greifbare erneuert hervorbringt. So ist der Verfall der Außenwahrnehmung mit Händen zu greifen, der propagiert wird als Expansion in die Sichtbarkeit. Bleiben wird nur das Bild, das so wenig ein Abbild ist, wie es niemals ein Urbild sein kann. In Munich sentimental macht Hans-Jörg Mayer erneut lesbar, was Jacques Derrida sagt: Das Zeichen und die Göttlichkeit sind am gleichen Ort und zur gleichen Stunde geboren.

(Text von Berthold Reiß)