Noch immer fragst du mich nach der Richtung. Keinen Deut. In allen Windrichtungen verstreut. Blüten, Falsche Blüten. Iß das Fleisch des Störs, den du nicht gefangen hast. Noch immer willst du wissen. Beiläufig der Wind.

(Die letzten Zeilen. In: Franz Krahberger, Humbolts Reise. Roman. Wien, Log-Buch 11, 1990)

In seinen Notizen Über gewissheit geht Ludwig Wittgenstein der Frage nach, welche Grundgewissheiten es in Sprache und Denken gibt, aufgrund derer wir einander verstehen. Sein wortreiches Nachspüren solcher Gewissheiten gerät allerdings zu einer elliptischen Annäherung an die Einsicht, dass es die finale Vergewisserung letztlich nicht geben kann: Es gibt selbstverständlich scheinende Überzeugungen, aber keine unhinterfragbaren Annahmen im Sprechen über die Welt. Unsere Erfahrung und die Möglichkeit des Erkennens sind begrenzt – oder aber: fragmentiert.

Willem Oorebeek interessiert das Verhältnis von Schrift und Bild und deren Zusammenspiel in dem, was man visuelle Kommunikation nennt: Zeichensysteme, die aufeinandertreffen, sich gegenseitig kommentieren, die aber auch widersprüchlich aufeinanderprallen können. Er arbeitet mit massenproduzierten Bildern, die er mit verschiedenen Druckverfahren manipuliert und transponiert – „auslöscht“, wie er selbst es nennt. Banale, gleichwohl strategisch im Raum des Öffentlichen platzierte Kommunikationsobjekte werden so zu Bildflächen und in ihrer formbaren Struktur zwischen Abstraktion und Darstellung, Form und Zeichen exponiert.

Anziehend und gleichzeitig sich entziehend, präsentiert sich das Bild als Oberfläche, die Weltwahrnehmung suggeriert und doch den Zugang zur Wirklichkeit in ihrer insistierenden Präsenz blockiert. Oorebeek lenkt den Blick zurück auf das Sujet, das im Zuge seiner Transformation an Lesbarkeit verliert, und lässt die hinter ihm stehenden Bildpolitiken erkennbar werden.

Seine 144-teilige Wandarbeit The printing press as an agent of chance von 2022 entlehnt ihren Titel der richtungsweisenden Publikation von Elizabeth Eisenstein zur Geschichte des Buchdrucks und seiner Bedeutung für gesellschaftlichen Wandel. Oorebeek nutzt die Druckbögen aus der Produktion einer seiner Kataloge, die zu Beginn eines Drucklaufs verwendet werden, um die Farbdichte einer Offsetdruckmaschine auf die richtigen Werte zu bringen. Diese werden oft mehrfach verwendet, sodass Seiten sich überlagern. Inmitten dieses zufällig anmutenden All-Overs überdruckter Bilder und Seiten springt immer wieder ein Zeitungsfoto von Silvio Berlusconi, dem Begründer der Selbstmediatisierung der Politik, ins Auge. Seine Regierungszeit markierte eine neue Aufmerksamkeitsökonomie: die mediale Überlagerung des Politischen durch die visuelle Omnipräsenz des Trivialen.

Ganz anders, und dann doch gar nicht so sehr, ist der Bezug auf fragmentierte Wirklichkeiten und die mit ihnen verbundenen Affekte bei Jieun Lim. Sie geht in ihren Fotografien, Videos, Installationen und Soundscapes dem Erinnern und Aufzeichnen von Ereignissen und Situationen nach. Aus hermetisch anmutenden Gedankensplittern webt sie Erzählungen, die fiktiv wirken und doch Evidenz ausstrahlen, in ihrer nicht-linearen Struktur aber auch Zeit und Raum neu sortieren. Sie kreisen um Intimität und innere Emotionen, vermitteln ein tiefes Gefühl von Verlust und Entfremdung, und lassen als rhythmische Aneinanderreihung pluraler, vorsichtiger Perspektiven letztlich alles in der Schwebe. Dort, wo sie zusammentreffen, entsteht etwas Neues und doch Ungewisses, das sich weigert, einen Abschluss zu finden.

Bilder einer in rotes Licht getauchten, abstrakten Landschaft mit dem eingeblendeten Blick aus einem Flugzeug, unterlegt mit einer flüsternden Stimme, die von Symptomen spricht, deren Ursache verborgen bleibt. Sie spricht von der Liebe anderer, die sie belauscht, und vom Hype des Virtuellen, der um sich greift wie eine Epidemie. It itches when it is infected. Where the vaccine was injected. Where the scab formed. My symptoms resemble many stray words. Dicht belaubte Bäume, Vögel auf einem Dach, ein zartes Hüpfen auf dem Trampolin: Jieun Lims Arbeiten zeigen Dinge als Metapher, die auf das verweisen, was sich einer allein kommunikativen Sprache entzieht. Das innere Sprechen, das aus ihnen klingt, bildet einen Resonanzraum, der auf jene Ebenen zielt, wo Gewissheit keine Option ist: jenseits der Regeln des Pragmatismus und der Logik semantischer Präzision, reine Artikulation fragmentierter Subjektivität.

(Text von Vanessa Joan Müller)