CH/MS fragen STSTS. eine gekürzte fassung eines e-mail-gesprächs zwischen Claudia Heinrich/Matthias Schamp (CH/MS) und Steffen Schlichter/Stef Stagel (STSTS). erstveröffentlicht 2019 in der publikation "rack1-2019 buch" anlässlich des 25-jährigen STSTS jubiläums.
CH/MS: ihr nehmt als kunstschaffende ganz dezidiert auch autonome positionen ein. Sowohl die künstlerin Stef Stagel als auch der künstler Steffen Schlichter haben ein veritables werk vorzuweisen und sind auf ausstellungen, kunstmessen und in sammlungen präsent. Da drängt sich natürlich die frage auf, wie die gemeinsame arbeit mit dem jeweiligen individuellen schaffen zusammenhängt: ist das mehr so eine art überlappung zweier gleich schwingender geister. oder ein experiment, bei dem zwei vollkommen verschiedene künstlerische positionen zu einer neuen potenz verschmelzen? Gibt es ausfransungen, wo man z. b. Sagen könnte, diese gemeinsame arbeit tendiert jetzt mehr ins Schlichtermäßige oder jene ins Stagelmäßige? Oder sind die grenzen immer ganz klar – sowohl für euch als auch für die betrachter:innen?
STSTS: da muss/kann man sicher verschiedene phasen oder arbeiten unterschiedlich beurteilen. Ein grundsätzliches interesse an der zusammenarbeit bestand darin, dass wir gemeinsam zu anderen ergebnissen gelangten als jeweils allein. Zudem war eine gute basis dadurch gegeben, dass wir in den jeweiligen inhaltlichen hauptinteressen nicht so weit auseinander lagen. Sicherlich dadurch befördert, dass die zusammenarbeit eher – oder sagen wir weitgehend – harmonisch ablief und läuft, eher im sinne eines gegenseitigen zuspiels und einer damit verbundenen steigerung als einer verschmelzung. Immer sind dabei für die mit unseren individuellen arbeiten vertrauten betrachter:innen ablesbare elemente aus der jeweiligen arbeit eingeflossen. Als Stagel’sche komponenten könnten die projektionen mit diaprojektoren und diakarussellen gesehen werden sowie die verwendung von rasterstrukturen und kreidegrundoberflächen, während die Schlichter’schen "zutaten" aus klebefolien, industriematerialien sowie schwerlastregalen bestehen.
Reine STSTS-materialien oder -techniken gibt es wenige, etwa das mit baugittermotiv bedruckte klebeband ("basics lll"), das in steffens arbeit – trotz seiner verwendung unterschiedlichster, aber handelsüblicher klebebänder – nicht zu finden wäre. Für STSTS typisch ist die kombination von materialien und techniken, die durch die gemeinsame konzeption und/oder bearbeitung eine form finden, die in den einzelnen positionen nicht auftauchen würde. Zuweilen sind es auch themen und aufgaben, wie zum beispiel kunst-am-bau-projekte, die für uns einzeln nicht infrage kämen, aber in der zusammenarbeit kontur gewinnen. Schließlich gibt noch ganz klare werkgruppen von STSTS: die "hausgemachten platten", die "basics", die grafiken und natürlich die "rack"-installationen. Für uns beide ist immer ganz klar, ob es sich um eine Stagel-, Schlichter- oder STSTS-arbeit handelt, und das ist so auch im werkverzeichnis dokumentiert. dass es möglicherweise für die betrachter:innen zu "ausfransungen" kommt, stört uns nicht.
Am weitesten geht das symbiotische sicher in unserem ststs-fotoarchiv, das wir immer wieder für arbeiten heranziehen. Da ist kaum mehr eine spezifische handschrift erkennbar. Da wir immer wieder teils auch in der gleichen situation einen fotoapparat hin- und hertauschen, wissen wir gelegentlich oder nach einem gewissen zeitlichen abstand nicht mehr, wer letztendlich die aufnahme gemacht hat. Schön ist zuletzt die erfahrung, vor oder in einer gelungenen arbeit zu stehen und nur das ganze zu betrachten. Völlig egal, ob man überhaupt noch nachvollziehen kann, von wem welche idee, welcher bestandteil oder welche vorgehensweise im detail zu dieser arbeit oder installation beigesteuert wurde.
CH/MS: ihr zeigt ja beide in euren jeweils eigenständigen künstlerischen arbeiten eine tendenz, die geschaffenen werke nicht einfach als endgültig "abzuhaken", sondern sie im fluss zu belassen. D. h. sie selbst wieder als bausteine für weitere arbeiten bzw. installative zusammenhänge zu verwenden. Oder sie auch gleich wie glieder einer kette in serielle strukturen einzubetten. Damit überführt ihr die einzelnen werke ja gewissermaßen in zustände höherer komplexität. zumindest temporär. Denn oft werden z.b. nach einer ausstellung diese zusammenhänge ja auch wieder aufgelöst und die werke nun wieder separiert und als in sich abgeschlossene einheiten behandelt. aber diese tendenz zu immer mehr komplexität ist doch auffällig. kann man vielleicht sagen, dass ststs als projekt selbst so ein ausprobieren in hinblick auf komplexitätszugewinn ist?
STSTS: ja, das kann man so sehen.
CH/MS: die arbeit von ststs tritt ja nicht auf der stelle, sondern hat in den zurückliegenden 25 jahren eine entwicklung durchgemacht. diese entwicklung erfolgte sicher nicht einfach linear und kontinuierlich. Und verlief vermutlich auch nicht nur in eine einzige richtung. wenn wir uns recht erinnern, war [die rauminstallation] "backnanger heimatraum" [1994] ja eine weitgehend erzählerische arbeit. Die geschichte, die erzählt wurde, war zwar fiktiv und vor allem rätselhaft. aber doch eine geschichte. Und auch die flagge "Raumgestaltung Stagel/Schlichter", unter der ihr zeitweilig gesegelt seid, setzt ja andere vorstellungen frei als das eher permutative "STSTS". Wie würdet ihr in groben zügen diese entwicklung charakterisieren? Was trieb euch damals an?was ist es heute? Oder sind die grundlegenden impulse dieselben geblieben und die veränderungen beruhen vor allem auf der wahl der mittel?
STSTS: vielleicht könnte man den "backnanger heimatraum" weniger erzählerisch als spielerisch nennen. unser konzept beruhte auf dem von der stadt backnang vorgegebenen, quasi idealisierten erscheinungsbild und verband dieses mit der realität des vorgefundenen. Wappen, stadtsilhouette und stadtarchiv wurden zitiert und zerlegt und zudem formal einer verwandlung durch verschiedene künstlerische techniken unterzogen. Fundstücke in form von fotos oder kleinen objekten wurden hinzugefügt und das ganze schließlich in eine gesamtsituation überführt. zur vervollkommnung dieser inszenierung schien es uns passend (und einzig möglich), die gemeinsame autorschaft auch durch die benennung zu kennzeichnen. So kam es zu Raumgestaltung Stagel/Schlichter, quasi einem kleinen dienstleistungsunternehmen der anderen art.
Erzählerisch war hingegen "albenflora" für mara und karl-heinz mauermann, da hier der ausgangspunkt schon von vielerlei erzählebenen durchdrungen war. Aus familienfotoalben der mauermanns wählten wir aufnahmen, um sie mit zitaten, die wiederum nichts mit den ursprünglichen zeitgeschichtlichen oder familiären zusammenhängen zu tun hatten, zu verfremden und dadurch gleichzeitig allgemein gültiger und ja, auch rätselhafter zu machen. Formal griffen wir auf die präsentation als pflanzenbestimmungsschilder zurück, um die arbeit in den garten der familie mauermann und damit direkt in den ort des (früheren) geschehens zu integrieren.
Aber zurück zum zweiten teil eurer frage: sicher ist die entwicklung von Raumgestaltung Stagel/Schlichter zu ststs sehr wichtig, da wir somit einerseits dem zuordnungsdurcheinander bei der autorschaft entkommen konnten, andererseits aber auch die gemeinsame autorschaft klarer nach außen kommunizierten. Das labeling hat in diesem sinne gut funktioniert.
Der grundantrieb, situativ für räume oder orte zu arbeiten und die dafür passenden mittel jeweils neu zu definieren, hat sich aber gar nicht geändert – vom turmschulhaus in backnang damals bis hin zum frey-raum in stuttgart zuletzt, zwei arbeiten, die ganz augenscheinlich weit auseinanderliegen. Inzwischen haben wir einfach aber auch schon mehr erprobt, sowohl formen der recherche und dokumentation als auch der formalen umsetzung. Einzig die gewichtung der arbeitsformen hat sich teilweise verschoben: während ursprünglich alles auf die in-situ-situation bezogen war und nur sehr sparsam "hausgemachte platten" eingestreut waren, gibt es inzwischen mehr autonome werke in der fortsetzung der reihe, daneben auch druckgrafiken und arbeiten, die unterschiedliche techniken und materialien einsetzen und aufgrund verschiedener nachfragen entstanden sind. eine davon war die vertretung von ststs durch die galerie reinhold maas im handel und auf kunstmessen. allerdings haben wir den galeriekontakt immer auch als eine art situative auftragsstellung begriffen, was wir in der arbeit "rack 2-2016 shop" hoffentlich verdeutlichen konnten.
CH/MS: was uns auch noch interessiert: ihr zwei seid ja nicht nur in eurer gemeinsamen künstlerischen arbeit als ststs miteinander verbunden, sondern auch privat ein paar. Nun gibt es paar-konstellationen, bei denen sich diese ausgangslage ganz direkt im künstlerischen reflexionszusammenhang widerspiegelt. Beispielsweise im werk von anna und bernhard blume. Das ist bei euch anders. Aber trotzdem wird es ja sicher eine rolle spielen, dass ihr nicht einfach nur mal von zeit zu zeit für ein arbeitsvorhaben zusammenkommt, sondern insgesamt so eng verbandelt seid. Wie schätzt ihr das selber ein?
STSTS: tja, sicherlich ist es so, dass wir gar nicht die typische paar-konstellation reflektieren könnten oder wollen... und vielleicht ist es bei all der verbundenheit gerade der unerlässliche widerpart der kunst, der die auseinandersetzung immer wieder aufleben lässt, sie reizt und erneuert.
CH/MS: da müssen wir jetzt einfach nachhaken! wie kompliziert sich eine zusammenarbeit gestalten kann, sieht man ja schon an uns beiden und unseren debatten – wenn zwei versuchen, gemeinsam eine interviewfrage zu generieren… also: wie macht ihr das, wie kriegt ihr das hin – kunst und alltag, alltag und kunst? und ganz praktisch: entwickelt ihr ideen zu euren projekten am kaffeetisch oder beim familienausflug?
STSTS: da geht um zwei fragen: die klassische frage nach "kunst und alltag" und die frage nach der art der zusammenarbeit in diesem spannungsfeld. Zu ersterem kann man anmerken, dass wir atelier, lager und wohnung in einem haus haben und dabei der atelierraum das zentrum ist, das man automatisch beständig durchquert. Dies kann man direkt als bild der permanenten verzahnung der lebens- und arbeitsbereiche herannehmen. (Das funktioniert natürlich nur, weil wir – ganz im duchamp’schen sinn – das olfaktorische aus unserer produktion verbannt haben). Die ideen und ihre ausformungen kommen sowohl am schreib- oder kaffeetisch zustande als auch im atelier. Noch viel häufiger jedoch, wenn wir unterwegs sind – sei es zu fuß oder bei längeren autofahrten. gerade bei den STSTS-typischen ortsbezogenen projekten umkreisen wir im gespräch immer wieder die jeweilige situation, bis sich die verschiedenen aspekte, die uns daran interessieren, zu einem konzept ineinander fügen und sich idealerweise ein gefüge ergibt, bei dem sich die autorschaft der zusammengeführten einzelelemente – auch für uns – verwischt.
CH/MS: zum abschluss möchten wir gerne noch einen blick in die zukunft riskieren: 25 jahre STSTS [2019] – da stellt sich natürlich die frage, wie es weitergeht. gibt es schon konkrete pläne? Visionen? Ein vorhaben, das euch ganz besonders unter den nägeln brennt und das ihr unbedingt stemmen wollt?
STSTS: was uns bisher noch fehlt, ist unser gemeinsamer dreier-ausstellungsauftritt 1 + 1 = 3 (Stagel, Schlichter und ststs). Unser nächster sehr konkreter plan ist die abreise nach japan für einen dreiwöchigen aufenthalt. das wird mindestens unser fotoarchiv bereichern und darüber hinaus wahrscheinlich auch anderes bewirken. Mal sehen. Apropos fotoarchiv: auch noch ein thema, das auf weitere ausformungen wartet...